Mein Anschluss unter seiner Nummer

Unser Autor hat sein Handy in Nepal verloren. Er ließ es sperren - dann fand er heraus, dass er das Gerät trotzdem noch orten kann. Seitdem verfolgt er gebannt das Leben des neuen Besitzers. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Telefonverbindung.

Ein Telefon auf Reisen Am Flughafen in Kathmandu trennten sich die Wege unseres Autors und seines Handys. Einen Nepalesen hat es gefreut: Er hat das Telefon gefunden und seinem Vater gegeben, der es fleißig benutzt. Der Autor hat längst ein neues Handy - auf dem er dank Ortungsfunktion sehen kann, was der Nepalese so treibt.

Ich bin schon mal besser gelaunt aus dem Urlaub zurückgekehrt. Müde von zwei Bier am Flughafen, dreckig von zwei Wochen Himalaja merke ich kurz nach dem Start: Mein Handy ist in Kathmandu geblieben. Die tiefe Ledercouch am Terminal. Die weiten Taschen meiner Trekkinghose. Schlechte Kombination.

Ich ärgere mich zwei Wochen lang und kaufe dann ein neues iPhone. Ich gucke zu, wie ihm die Daten des alten zufliegen, die online als Sicherungskopie gespeichert waren. Alles ist wieder da: Fotos, SMS, meine Kontakte. Doch ein paar andere Kontakte stehen plötzlich auch in der Liste. Wer, zur Hölle, ist Sashi Papa? Wer Aayush Poudel? Und hätte ich mir einen Namen wie Sharma Bhattarai nicht gemerkt? Jemand muss das iPhone gefunden haben und es fleißig weiter benutzen.

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Ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich verstanden hatte, was da los war: Der Finder meines Handys benutzt zwar eine neue SIM-Karte – meine hatte ich sperren lassen. Aber iPhones haben eine Kennung, die ein Gerät dem Besitzer zuordnet und die man nur mit Passwort ändern kann. Immer, wenn man etwas speichert, schickt das Gerät eine Kopie ins Internet. Da mein altes und mein neues Handy mit derselben Kennung laufen, gleichen sie sich ständig ab. Denn wenn das Handy in der Sicherungskopie etwas findet, was es nicht kennt, lädt es das herunter.

15 Tage nach Urlaub, 18:53 Uhr. Ich habe gerade eine neue Funktion entdeckt: Ich kann mein altes Handy klingeln lassen, ferngesteuert. Das mache ich auch um 22:11 Uhr und um 23:24 Uhr.

Die Zeitverschiebung nach Nepal beträgt knapp sechs Stunden. Wenn jemand schon mein iPhone hat, soll er wenigstens schlecht schlafen.

Ich weiß inzwischen auch, wer es ist: Die neuen nepalesischen Kontakte in meinem Telefonbuch sind fast alle mit Facebook-Seiten verknüpft. Und obwohl sie Erwachsenen gehören, zeigen die Profilbilder meist Kinder oder Enkel – Familie scheint in Nepal etwas zum Angeben zu sein. Das Foto eines mürrischen, alten Mannes stach da heraus. Das Bild war unscharf, mit Grauschleier. Mein Handy machte solche Fotos, seit es einmal heruntergefallen war. Das Bild war vier Tage nach meinem Abflug hochgeladen worden. Die Facebook-Freunde des Mannes stimmten mit den Nepalesen in meinem
Telefonbuch überein. Ich hatte ihn. Bijay P., den neuen Besitzer meines iPhones. Die Sau.

20 Tage nach Urlaub, 2:30 Uhr. Ich kann nicht schlafen. Bijay ist seit Tagen verschwunden. Ist ihm etwas zugestoßen? Ich lasse den Bildschirm meines Telefons im dunklen Schlafzimmer aufleuchten. Zunächst passiert nichts. Dann taucht ein grüner Punkt über dem indischen Subkontinent auf. Er ist wieder da! Ich bin erleichtert.

Seit mir ein Freund gezeigt hat, wie ich mein altes Handy orten kann, hat sich mein Verhältnis zu Bijay verändert. Erst war er für mich ein weiteres Beispiel, dass die Welt schlecht ist und die Menschheit unehrlich – ich hatte ihm eine Nachricht mit Aussicht auf Finderlohn geschickt. Natürlich vergebens. Doch mit dem Programm »iPhone- Suche« bekomme ich alle Telefone mit meiner Kennung angezeigt, metergenau auf einer Landkarte. Oder auf einem Satellitenbild, mit dessen Hilfe ich mich bis in seinen Garten zoomen kann. Ruhige Gegend, nahe am Ganesha-Tempel. Wenn ich am Bildschirm Bijays Bewegungen verfolge, komme ich mir vor wie ein neugieriger Junge, der sich mit einer Lupe über einen Ameisenhaufen beugt. Nur dass ich meine Ameise, die durch Kathmandu wuselt, auf keinen Fall versengen will.

Schon weil die Geschichte ideal für Party-Gespräche ist. In der siebten Klasse haben wir alle auf Tamagotchis herumgedrückt, bunten Plastikkistchen, in denen virtuelle Haustiere gefüttert, gestreichelt und bespaßt werden wollten. Wenn ich jetzt in der Bar mein Handy zücke, freuen sich die Leute. Ein nepalesisches Tamagotchi – ist ja noch besser als früher! Jeder will mal gucken.

Und das, obwohl sich Bijay zuletzt nur wenig bewegt. Meist leuchtet der kleine grüne Punkt über seinem Haus. Ist ihm das iPhone vielleicht zu wertvoll, um es zu anderen Orten als den Reisterrassen auf der anderen Straßenseite mitzunehmen? Bauer ist er nicht, er hat an einer Uni namens »marjohn uk« studiert. Geht es ihm nicht gut, ist er einsam? Sein Facebook-Profil ist eines der wenigen ohne Fotos von Ehefrau oder Kindern.


Lass uns doch Briefe austauschen.

Fünf Wochen nach Urlaub, 17:27 Uhr. Ich will sein Freund zu werden, auf Facebook. Ich schreibe: »Lieber Bijay, ich bin mir sicher, dass du mein iPhone hast. Keine Angst, ich will es nicht wieder zurück und rufe keine Polizei. Aber ich würde dich gerne kennenlernen, da wir uns sonst nie über den Weg gelaufen wären. Lass uns doch Briefe austauschen. Um anzufangen: Ich bin 30 und lebe in Deutschland. Ich habe keine Kinder, wohne aber mit meiner Freundin zusammen. Du kennst sie ja, von den Fotos. So viel für heute. Viele Grüße!«

Dass Bijay auch mich ausspionieren kann, hatte ich bisher nicht bedacht. Auf dem Handy waren 1034 Fotos, viele von mir, die meisten albern: junger Mann mit aufgeblasenen Backen, junger Mann mit Plastikvogel, junger Mann mit Wurst. Letzteres habe ich auf Facebook als Profilbild. Bijay musste also wissen, wessen Anfrage er da annahm.

Er selbst schreibt nicht viel auf Facebook, aber nach wenigen Klicks weiß ich: Er hat wohl doch eine Familie. Einen Sohn, Bimit, Airport Manager für die Gulf Air in Kathmandu – ich ahne, wie mein Telefon zu Bijay kam. Außerdem eine Tochter, Bigya, verheiratet mit Sashindra. Vor Jahren sind sie ausgewandert, wie viele Nepalesen. Erst nach England, dann in die USA. Sie haben eine Tochter, Banshikha. Die wohnt aber bei Opa in Nepal. Zumindest sind die Wände auf ihren Fotos so scheußlich bemalt wie die in Bijays Wohnzimmer. Eine Ehefrau finde ich nicht.

51 Tage nach Kathmandu, 4:28 Uhr, 4:40 Uhr, 6:23 und 6:26 Uhr. Mein Handy klingelt. Am Nachmittag hatte ich einen Umsonst-Telefonier-Dienst installiert. Bijay in Nepal wohl auch. Bhai, Bigya und Maiju wollen ihn erreichen, wecken aber mich. Bigya spricht Englisch und klingt besorgt. Ich träume noch zu tief, um ein vernünftiges Gespräch zu führen.

Bijay ist wieder verschwunden. Ich mache mir inzwischen keine Sorgen mehr: Er scheint nicht immer den Akku aufzuladen, und wenn das Telefon aus ist, sendet es keine Position. Im Ortungs-Programm klicke ich das Kästchen »Bei Fund Benachrichtigung ausgeben« an, ich kann ja nicht immer nach ihm schauen. Obwohl es vor zwei Tagen kurz spannend wurde: Da habe ich zum ersten Mal live gesehen, wie er durch Kathmandu gefahren ist. Erst nach Westen, dann ins Zentrum. Dort blieb er eine Stunde.

52 Tage nach Kathmandu, 23:07 Uhr. Eine E-Mail. »Der Standort von iPhone von Moritz Baumstieger wurde aktualisiert. In der Nähe von Glen Carbon, IL 62034-1208 geortet.«

Glen Carbon? Illinois? USA?

Bijay und seine Enkelin sind zu Bigya geflogen. Die hatte ein paar Tage zuvor ein Bild von sich online gestellt. Im rosa Bademantel, an der Brust ein Neugeborenes, erschöpft und glücklich. Bijay P. gefiel das. »Unser wichtigstes Gut sind unsere zwei Enkelinnen und unsere zwei Enkel, um die sich alle unsere Bewegungen drehen. Gott schütze sie«, schrieb er auf Englisch. »Von einem Handy gesendet«, stand drunter. Welchem wohl?

60 Tage nach Abflug, 18:32 Uhr. Facebook vermeldet: »Bijay P. hat Kathmandu als Heimatstadt hinzugefügt.«

60 Tage nach Abflug, 18:33 Uhr. Facebook vermeldet: »Bijay P. hat Glen Carbon als neuen Wohnort hinzugefügt.«

Dass Enkeltochter Banshikha zur Mutter zieht – in Ordnung. Aber dass Bijay auch auswandert? Das finde ich nicht okay. Ich wollte ihn in Nepal besuchen, wenn er meine Briefe schon nicht beantwortet. Gefunden hätte ich ihn ja ganz einfach. Aber
Illinois?

Ich sehe mir Satellitenbilder von Glen Carbon an. Staubig, heruntergekommen, amerikanisches Niemandsland. Vor dem Haus, über dem jetzt Bijays grüner Punkt leuchtet, stehen drei große Pick-up-Trucks.

Zurzeit bleibt er meist im Haus, spielt vielleicht mit dem neuen Enkel, dessen Namen ich noch nicht kenne. Hoffentlich ist er ein guter Opa. Ein cooler ist er ja schon: Er hat ein iPhone. Geschenkt.

So sieht der neue Besitzer aus: Bijay P., aufgenommen mit der etwas unscharfen Kamera des gefundenen Telefons. Warum er so grimmig schaut, ist unklar. Auf die Mails des Autors hat Bijay leider nicht geantwortet.

Illustration: Lilli Carré