1. Der Schnee, der uns alle zu Kindern macht
Ich werde den Abend nie vergessen. Es war der erste Corona-Winter, es gab in München Ausgangsverbote, um neun Uhr mussten alle zuhause sein. Aber dann fing es an zu schneien. Dicke Flocken fielen auf die Straßen, begruben die Gehwege, legten sich auf die Äste der Bäume. Menschen strömten in den kleinen Park im Viertel, rollten Schneemänner und Bälle für Schneeballschlachten. Um kurz vor neun war klar, dass jeder, der nicht eine Abmahnung riskieren wollte, jetzt nach Hause gehen muss. Die Leute lächelten sich an, liefen durch die gelben Schatten der Straßenlaternen zu ihren Wohnungen. Alles war für einen kurzen Moment gut. Schnee ist nicht mehr als gefrorenes Wasser. Aber Schnee wird für immer Erwachsene zu Kindern machen. Wie schön es ist, sich darauf verlassen zu können.
Dorothea Wagner
2. Der Herrnhuter Stern
Der Winter hat viele schöne Seiten, aber er kann auch sehr trist sein. Zum Beispiel wenn man morgens lange vor Sonnenaufgang in eine dunkle Küche und in einen Tag hinein schlurft, an dem einen eine Mathearbeit oder ein Zahnarztbesuch erwarten; beides vor Weihnachten leider keine Seltenheit. Um winterliche Dunkelphasen aufzuhellen, hängt bei uns in der Küche ein von innen beleuchteter Herrnhuter Stern – die kleine Variante in gelb, nur circa 13 Zentimeter hoch, aber erstaunlich hell und strahlend schön. Dieser Stern, vor über 200 Jahren von der Herrnhuter Brüdergemeinde, einer evangelischen Freikirche, erfunden und noch heute von deren Mitgliedern hergestellt, steht für den Stern von Bethlehem und ist somit eigentlich Weihnachtsdeko. Aber wir freuen uns immer so sehr darauf, dass wir ihn jedes Jahr ein paar Tage früher aufhängen und inzwischen erst im Februar wieder abnehmen. In dieser Zeit verbreitet er nicht nur Licht und Zuversicht, sondern kann auch ganz praktisch, Stichwort Mathearbeit, beim Erlernen der Geometrie helfen, da es sich bei seiner Grundform um ein Rhombenkuboktaeder handelt, einen geometrischen Körper, der bereits im dritten Jahrhundert vor Christus vom griechischen Mathegenie Archimedes entdeckt und beschrieben wurde.
Johannes Waechter
3. Theaterbesuche
Draußen ist es dunkel, die ersten Schneeflocken fliegen mir ins Gesicht, doch ich habe kaum Zeit, dies zu genießen – ich bin nämlich spät dran und eile im Schnellschritt zum Theatereingang. Was sich hektisch anhört, gehört für mich zu den schönsten Aktivitäten der Winterzeit und läutet traditionell meine Weihnachtszeit ein. Jedes Jahr versuche ich, Karten für ein Ballett zu ergattern und freue mich immer besonders, wenn es sich dabei um ein klassisches Stück handelt, wie »Der Nussknacker« oder auch »Dornröschen«. Die Theateratmosphäre ist saisonunabhängig schön – keine Frage. Doch insbesondere in der Winterzeit verspüre ich diesen besonderen Theater-Charme. Das Licht scheint wärmer, die Samtsitze sind extra weich, das Ensemble wirkt märchen- und die Musik zauberhafter. Sogar das Husten so mancher Gäste stört mich weniger. Ein weiterer Pluspunkt beim Theaterbesuch im Winter: Das Gesehene und Gehörte im Anschluss bei einer heißen Schokolade Revue passieren lassen und dabei weitere winterliche Abenteuer planen.
Anastasia Tolstunova
4. Omas Rezepte nachkochen
Meine Oma ist vor knapp zwei Jahren gestorben und ich vermisse sie sehr. Deswegen möchte ich an den kommenden kalten, dunklen Winterwochenenden die Gerichte nachkochen, die ich mir früher von ihr gewünscht habe. Fleischstrudel zum Beispiel oder Kartoffelnudeln. Ich bilde mir nicht ein, dass es bei mir so gut schmecken wird wie bei ihr – nicht nur, weil sie eben meine Oma war, sondern auch, weil ihre Rezepte gerne mal Mengenangaben enthalten wie »Mehl hinzufügen, bis der Teig recht ist«, oder einfach enden, weil der Rest für sie selbsterklärend war. Aber ich weiß, dass ich mich ihr nahe fühlen werde beim Kochen, beim Warten und beim Essen. Und ich hoffe, dass ihre Gerichte sie auch meinen Freunden und Mitbewohnern noch ein Stückchen näherbringen, denen ich nach ihrem Tod viel von ihr erzählt, die sie aber größtenteils nie kennengelernt haben. Das einzige Rezept, das ich schon erfolgreich ohne sie gekocht habe, ist das für Kartoffelnudeln, und das möchte ich gerne hier teilen (und mir dabei ihren unter einem verschmitzten Lächeln schlecht versteckten Stolz vorstellen, dass es in der Zeitung steht!):
Zutaten für eine kleine Reine, ca. 3 Personen:
4-5 omafaustgroße Kartoffeln
125 Gramm Mehl
1 Eigelb
Salz
3 EL Margarine
Dazu: Apfelmus und/oder Dickmilch
Zubereitung:
Die Kartoffeln am Vortag kochen (als Pellkartoffeln). Dann mit einer Gitterreibe reiben oder durch eine Kartoffelpresse drücken, das Mehl darüber sieben und in die Mitte eine Vertiefung drücken. Das Eigelb dazugeben und alles gut durchkneten, anschließend salzen. Die Margarine zerlassen. Dann aus dem Teig fingerdicke, etwa sechs Zentimeter lange Rollen formen und in die Reine mit der zerlassenen Margarine legen. Etwa eine halbe Stunde bei 200 Grad Celsius backen und mit Apfelmus und/oder Dickmilch servieren.
Agnes Striegan
5. Joggen gehen
Ich gebe zu: Das Aufraffen zu einem Lauf fällt im Winter schwerer. Man muss viel mehr anziehen, so geht es schon mal los. Und nach dem Joggen muss man direkt wieder nach Hause, weil man, sobald man nicht mehr läuft, friert. Und dann sollte man gut planen, wenn man zumindest einen Teil des Laufes noch oder schon bei Tageslicht machen möchte. Geschenkt. Denn all diese kleinen Nachteile werden überstrahlt von diesem Gefühl, das sich einstellt, wenn ich an einem kalten, klaren Wintertag durch Wälder oder über Felder laufe. Die trockene, eiskalte Luft fühlt sich an wie pure Energie in meinen Lungen, nichts kann frischer und sauberer schmecken als Waldluft im Winter. Es fühlt sich an, als sei der Sauerstoff plötzlich zur Energiequelle geworden, besser als ein Power-Gel oder Iso-Drink. Die anderen tragen dicke Jacken, Mützen und Schals. Man selbst friert, sobald man warmgelaufen ist, auch in dünner Sportkleidung nicht, im Gegenteil. So fühlt sich Unbesiegbarkeit an.
Aber das vielleicht Schönste ist das Geräusch, das meine Laufschuhe auf einer unberührten Schneedecke machen. Ein trockenes Knirschen und Knarren, das mich jedesmal kriegt: Ich fürchte, die Menschen in den dicken Jacken fragen sich manchmal, wieso dieser Typ beim Joggen eigentlich gar so bescheuert vor sich hingrinst. Ich möchte ihnen im Vorbeilaufen zuflüstern: »Eh nur im Winter.«
Wolfgang Luef
6. Die Sauna
Wenn es sich ergibt, gehe ich das ganze Jahr über in die Sauna. Sogar bei dreißig Grad auf Bali. Am schönsten ist Sauna aber im Winter, mit Schnee, möglichst an einem See, in den man danach kurz eintaucht. Einmal bin ich barfuß im Bademantel durch kniehohen Schnee 300 Meter zu einer kleinen Sauna an einem Bach gelaufen, auf Schloss Elmau war das, der Rückweg mit warmen Füßen war natürlich leichter. Ich glaube, das war mein schönstes Saunaerlebnis. Ich bekomme selten eine Erkältung, ich bilde mir ein, das käme vom vielen Saunieren. Deswegen mache ich das allerdings nicht. Ich gehe, weil es mir den Kopf frei macht, weil die Hitze Sorgen schrumpfen lässt, weil ich gut nachdenken kann in der Sauna. Ich gehe da meine To-do-Liste durch. Nach dem zweiten oder dritten Aufguss habe ich sie in der Regel vergessen. Ach ja, die anderen Saunagänger. Natürlich stört Gequatsche die Stille in der Hitze. Nach dem zweiten oder dritten Aufguss hört man aber auch die Nebenleute nicht mehr.
Lars Reichardt
7. Den Sommer puzzeln
In der kalten Jahreszeit gibt es nichts Schöneres für mich, als nach einem langen Spaziergang nach Hause zu kommen, dicke selbstgestrickte Socken anzuziehen, meinen Lieblingstee zu kochen und es mir entweder mit einem Buch und Kuscheldecke auf der Couch gemütlich zu machen – oder zu puzzeln. Hier empfehle ich die »Feel-good-Puzzles«, aus der Reihe EMF-Puzzles, die mit ihren wunderschön illustrierten Motiven das Gefühl des Sommers verlängern. Da liegen Menschen an Stränden, Camper stehen in malerischen Landschaften und wilde Tiere in leuchtenden Farben blicken durch Palmenblätter. Mit diesen Puzzlen bringe ich Leichtigkeit in triste Wintertage und kann sowohl Zeit allein wie auch zu zweit verbringen.
Stefanie Rabensteiner
8. Richtig faul sein
Natürlich wäre es schön, wenn wir in Deutschland auf Skiern zur Arbeit fahren oder wie Bambi durch schneegesäumte Landschaften tapsen könnten. Leider gleicht die Topografie weiter Teile des Landes in den Wintermonaten jedoch keinem Disney-Film, sondern vielmehr einer trüben, endzeitlichen Dystopie von Grautönen. Ich verstehe das als Blankoscheck zur Faulheit. In seiner Tristesse erteilt einem der Winter die Absolution zum Nichtstun. Es ist die einzige Jahreszeit, die einen – im Gegensatz zu ihren drei aufdringlich geschäftigen Geschwistern – guten Gewissens in den eigenen vier Wänden verweilen lässt. Geh schwimmen!, blökt der Sommer. Geh spazieren!, fordert der Frühling. Mach was mit Kastanien!, verlangt der Herbst. Nur im Winter, wenn ich aus dem Fenster schaue und die Autos in der Nachmittagsdüsterkeit durch die Pfützen brausen, bleibe ich unbehelligt. Kein vorwurfsvoller Aufruf, etwas zu unternehmen. Kein schlechtes Gewissen, wenn man Glühwein-gepeinigt doch nur den ganzen Tag im Bett liegen möchte. Einfach Harry Potter gucken, eine ganze Jahreszeit lang.
Sven Fröhlich
9. München im Winter
Nach einer Jugend am Niederrhein und vielen Jahren in Hamburg kannte ich richtigen Winter nur aus Astrid-Lindgren-Büchern. Darin fuhren Bauern im Pferdeschlitten übers tief verschneite Land zur Kirche oder zum Markt, darin liefen Kinder Schlittschuh oder bauten Schneemänner, darin stiefelte der Wichtel Tomte Tummetott nachts durch den Schnee und hinterließ kleine Fußstapfen. Der Winter in München ist, sagen wir, fast so. Verschneit wirkt die Stadt irgendwie überschaubar, klein und gemütlich, und es macht gute Laune, zu sehen, wie junge Leute ihre Ski und Snowboards zum Bahnhof tragen, um mit dem Zug in die Berge zu fahren, wie Kinder auf dem Kanal Schlittschuhlaufen oder an der Emeransmühle den steilen Hang hinunter rodeln und danach mit ihren Familien ins Wirtshaus einkehren, sich den Schnee von den Schuhen klopfen und heiße Schokolade bestellen. Es macht auch gute Laune, sich bei blauem Himmel und Sonne nach draußen zu setzen und in eine Decke zu hüllen, wenn nicht gerade Fön ist und man mittags im T-Shirt in der Sonne sitzen kann. Im Winter in München kann man Kraft schöpfen für den nächsten Sommer, der bestimmt kommt. Denn dann ist es vorbei mit dem Zauber des Winters in München, in dem es manchmal fast so still ist wie im Kinderbuch von Astrid Lindgren.
Gabriela Herpell
10. Weihnachtslieder
Wenn irgendwann Ende Oktober irgendwo im Netz zum ersten Mal wieder Mariah Carey in ihrem samtrotenen Weihnachtsfraukleidchen auftaucht, ergreifen die meisten Menschen, die ich kenne, die Flucht. Und ja, »All I want for christmas« ist auch nicht mein Lieblingslied. Aber es läutet eine musikalische Etappe ein, auf die ich mich das ganze Jahr freue: die der Weihnachtslieder. Ich mag es, wenn mir im Einkaufszentrum »Winterwonderland« um die Ohren säuselt, Bryan Adams im Radio »Something about christmastime« zum Besten gibt und ich zu Hause endlich meine gesammelten Weihnachtsalben rausholen kann. Das zarte Glockengeläut, die altbekannten Melodien – sie machen jedes Jahr aufs Neue meinen Alltag ein bisschen leichter, ein bisschen festlicher. Zumindest bilde ich mir das ein. Oder ist es einfach Wunschdenken? Vielleicht höre ich »Let it snow« einfach nur so gerne, weil es so weit entfernt von meinem tatsächlichen Alltag ist:»The weather outside is frightful, (soweit entspricht es meist der Realität) the fire is so delightful, (welches Feuer?), and since we've nowhere to go (höre ich, während ich vom Weihnachtskonzert der Musikschule, zur Weihnachtsfeier des Fussballvereins und danach zum Weihnachtstheater der Grundschule hetze) - let ist snow, let it snow, let it snow (natürlich schneit es nicht)«. Aber träumen ist schließlich erlaubt. Erst recht im Winter. Meine Lieblingsversion von »Let it snow« singt übrigens, mit Banjo unterlegt, das Duo She and Him.
Maria Sprenger
11. Weihnachtliches Nachbarschaftsgrillen
Ich bin in einer Wir Kinder aus dem Möwenweg-Straße aufgewachsen. Kleinstadt, kaum Autos, viele Kinder, bei denen man klingeln konnte, wenn man Einrad fahren oder eine Hütte aus Gartenabfällen bauen wollte. Eine unserer erwachsenen Nachbarinnen hatte die Angewohnheit, Einladungen zu spontanen Feiern mit Straßenmalkreise vor die Häuser zu schreiben. Und weil sie am 24. Dezember Geburtstag hatte, stand da irgendwann: gemeinschaftliches Grillen am Heiligen Vormittag. Die Nachbarin wohnt längst nicht mehr in der Straße, aber das weihnachtliche Nachbarschaftsgrillen wurde zur Tradition. Einmal im Jahr kommen alle zusammen, auch die Kinder, die inzwischen erwachsen sind und teils weit weg leben. Es gibt Bratwürste, Glühwein, Plätzchen und immer mal wieder auch Schnaps. Wir tauschen uns darüber aus, was der jetzt macht und wo es die hin verschlagen hat, schwelgen in Erinnerungen, lachen über das neue, bunte Rentiergeweih, das jemand aufgesetzt hat. Am frühen Nachmittag, wenn es am schönsten ist, gehen wir nachhause. Dann beginnen in den Familien die feierlichen Stunden. Nachbarschaftsgrillen am Heiligen Vormittag mag ungewöhnlich klingen, aber ich kann es nur empfehlen – ich freue mich jedes Jahr darauf.
Agnes Striegan
12. Der rote Himmel
In keiner anderen Jahreszeit gibt es so kräftig pinke Sonnenauf- und Untergänge wie im Winter. Das hängt vor allem damit zusammen, dass es bewölkter ist und mehr regnet – also den eigentlichen Schattenseiten des Winters. So schön rot wird der Himmel nämlich vor allem, wenn sich viele Wasserpartikel in der Luft befinden. Sie brechen das kurzwellig rote Licht der tiefstehenden Sonne und lassen den Himmel besonders intensiv strahlen. Die Röte sagt zudem das Wetter recht zuverlässig voraus (Morgenrot: Schlechtwetter droht, Abendrot: Gutwetterbot). Aber ganz abgesehen davon: Wenn die Wolken leuchtend rote Sprenkel auf klarblauen Untergrund malen, wie soll man da etwas anderes als Ehrfurcht spüren?
Jule Ahles