Christine & Jochen

Die Moderatorin Christine Westermann hat ihren Traummann zweimal getroffen. Beim ersten Mal passierte nichts. Zwanzig Jahre später stand er wieder vor ihr. Und blieb.

Ich habe den Mann, der später mein Ehemann werden sollte, Anfang der Achtziger kennengelernt. Er hat mir gefallen, und ich ihm auch. Aber die Zeit war noch nicht reif. Ich glaube an solche Dinge: dass manches erst passiert, wenn es passieren soll. Jedenfalls habe ich zwanzig Jahre nicht an ihn gedacht. Und als er 2001 vor mir stand, habe ich ihn nicht wiedererkannt. Drei Monate später habe ich ihn gefragt, ob er mich heiraten will.

Aber von vorne: Jochen und ich haben uns in Marl im Ruhrgebiet kennengelernt, ich saß in der Jury eines Wettbewerbs des Arbeitsministeriums. Er war für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Wir haben uns gut verstanden, wir mochten uns. Abends sind wir zusammen mit dem Zug gefahren. Er musste nach Düsseldorf, ich nach Köln. Als der Zug in Düsseldorf hielt, blieb er sitzen, damit wir noch ein bisschen Zeit zusammen hatten. In Köln haben wir uns verabschiedet – und er hat den nächsten Zug zurück genommen. Ich dachte damals schon: Was für ein guter Typ! Aber wir beide waren in festen Beziehungen.

Heute weiß ich, dass Jochen während der nächsten zwanzig Jahre immer mal wieder an mich gedacht hat. Ich bekam jedes Jahr eine Weihnachtskarte von ihm, bis ich 1990 in die USA umzog. Dann gingen die Karten zurück – »unbekannt verzogen«.

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Im Jahr 2001 habe ich ein Buch geschrieben und meine ersten Lesungen gemacht, eine davon in Münster. Nach der Lesung bin ich mit Buchhändlern noch in ein Lokal gegangen, es war September und ein sehr warmer Abend. Wir sitzen also draußen, an einem belebten Platz, und da sehe ich einen Mann auf einem cremefarbenen Fahrrad vorbeifahren, weißes Hemd, Jackett, und eine Krawatte, die ihm lässig um den Hals baumelt. Ich habe ihn angeguckt und sofort Wehmut gespürt: Im nächsten Leben, dachte ich, suchst du dir genau so einen Mann. Keine Affären mehr, kein Herumirren, sondern einen wie ihn. Aber ich war sicher: Der hat sein Glück gefunden, ist verheiratet. Zwei Kinder, mindestens. Ich habe mich gezwungen, nicht mehr hinzugucken, weil es mich traurig gemacht hat. Und plötzlich steht er an unserem Tisch, sieht mich an und sagt: »Hier steckst du also.«

Was ich nicht wusste: Jochen lebte mittlerweile in Münster und hatte das Plakat für die Lesung gesehen, aber keine Karte bekommen. Abends hat er die Kneipen der Stadt abgesucht, eine nach der anderen, bis er mich gefunden hatte.

Er hat sich zu mir gesetzt. Und ich hatte minutenlang keine Ahnung, wer er war und woher ich ihn kannte. Er ließ mich raten, und er hat das sichtlich genossen.
Irgendwann dämmerte es mir: War da etwas mit einem Zug? Vor vielen Jahren? Die Buchhändler saßen verdutzt da, die waren plötzlich außen vor, und das haben sie auch begriffen und sind bald gegangen. Der Abend endete um fünf Uhr morgens vor meinem Hotel. Er hat mich nach Hause gebracht, aber es ist nichts passiert. Wir wollten einfach vorsichtig sein, uns Zeit lassen.

Zwei Wochen später haben wir uns wiedergetroffen, und als er seinen Arm um mich gelegt hat, war ich wieder 16. Das ist jetzt noch aufregend, wenn ich daran denke. Es ist oft schwer zu sagen, warum man einen Menschen liebt. Es sind viele Kleinigkeiten: Wie er seine Kaffeetasse hält. Wie er sich die Haare aus dem Gesicht streicht. Ich glaube, wenn ich Jochen heute ansehe, dann sehe ich immer noch den Mann mit der Krawatte auf dem cremefarbenen Fahrrad. Und dann spüre ich Liebe.

Drei Monate nach dem Wiedersehen habe ich ihm einen Heiratsantrag gemacht. Wir waren in Italien, saßen zu zweit am Küchentisch im Haus von Freunden, haben Scampi gegessen und eiskalten Weißwein getrunken. Auf dem Tisch lag Zeitungspapier für die Schalen, die Gläser waren fettverschmiert, mein Gesicht wahrscheinlich auch, ich glaube nicht, dass ich noch besonders attraktiv aussah. Ich dachte: jetzt oder nie. Und habe gesagt: »Ich muss dich was fragen, aber ich fühle mich wie im Schwimmbad auf dem Zehn-Meter-Brett, und ich weiß nicht, ob Wasser im Becken ist.« Er hat mich angeschaut und gesagt: »Spring ruhig. Das Becken ist randvoll.«

(Protokoll: Wolfgang Luef)

Illustration: George Butler