Spül mit dem Feuer

Wenn Sie Ihre Spülmaschine für praktisch halten und sich weiter keine Gedanken machen, riskieren Sie Ihre Beziehung: Nirgends lauert so viel Konfliktpotenzial wie beim Einräumen des Geschirrs.


Faustregel I: Die Anzahl der Möglichkeiten, eine Spülmaschine zu bestücken, verhält sich proportional zu den Möglichkeiten, sich darüber zu streiten.

Diese Maschine wurde gebaut, um Probleme zu lösen. Zum Beispiel das mit dem angebrannten Rest Suppe am Topfboden. Oder dem Lippenstift auf dem Weinglas. Manche Menschen benutzen sie auch, um Lachs zu garen: in Plastikfolie verpacken, dann 120 Minuten bei 60 Grad. Nur, bitte, kein Spülmittel verwenden. Eigentlich aber soll das Ding Teller, Tassen und Besteck säubern; rund 200 Einzelteile wurden dafür verbaut, zehn Jahre haben die Ingenieure geforscht und entwickelt. Jetzt sieht diese Maschine fast so gut aus wie der Mann, der sie entworfen hat. Gerhard Nüssler, Chefdesigner für Hausgeräte bei Siemens, weißes Hemd, kurze braune Haare, Augen wie George Clooney, sagt stolz: »Ihre Aufgabe ist es, Geschirr zu spülen. Das macht sie perfekt.«

Doch, das ist das Paradox, schafft die Spülmaschine mehr Probleme, als sie löst. Jeder Büromensch kennt den Zettel in der Gemeinschaftsküche: »Das Geschirr räumt sich nicht von allein ein.« Im Internet wird ausführlich über das gespannte Verhältnis von Spülmaschinenbetrieb und Beziehungspflege debattiert: Auf brigitte.de sorgte allein die kurze Erzählung eines jungen Mannes für eine zwanzig Druckseiten lange Diskussion. Er hatte die Spülmaschine nach einem späten Essen nicht eingeräumt, also machte sie Schluss. Einfach so. Was dann zu tun ist, erklären die Redakteure von Gentlemen’s Quarterly. Punkt 8 ihrer Serie »So retten Sie Ihre Beziehung«: Aufgaben klar verteilen, einer räumt die Spülmaschine ein, der andere trägt den Müll runter. »Geschirrspüler«, sagt Wilhelm Schmid, Autor viel gelesener Sachbücher zum Thema Liebe, »sind prädestiniert dafür, immer wieder ein Streitpunkt in einer Beziehung zu werden.« Die Spülmaschine als Mikrokosmos aus verhärteten Ketchup-Resten, Maschinensalzstand und Drei-Phasen-Tab, in dem sich die großen Regungen der Liebe vor allem zu einem Gefühl verdichten: Zorn?

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Man will das eigentlich gar nicht so recht glauben, aber Wolfgang Schmidbauer, Paartherapeut aus München, versteht es schon: »In Beziehungen gibt es keine Kleinigkeiten«, die Machtfrage, um die Paare immer wieder streiten, könne sich an vielen Dingen entzünden. »Da ist die Spülmaschine ein gutes Beispiel.«

Aber warum nicht die Waschmaschine? Der Espressoautomat? Das Bügeleisen? Warum ausgerechnet der Geschirrspüler? Wilhelm Schmids Erklärung geht so: »Die Spülmaschine ein- und auszuräumen ist eine der lästigsten Arbeiten im Haushalt. Und es ist im Vergleich zur Waschmaschine kompliziert.« Während die einfach zu beladen und die Programmwahl eindeutig ist, tun sich beim Geschirrspüler mit jedem Schritt neue Fragen auf: Vorher abspülen, ja, nein? Besteck sortiert oder im Mikado-Stil? Gabeln und Messer mit dem Kopf nach oben? Oder doch nach unten? Was ist mit den Weingläsern? Gemeinsam mit den Tassen? Und wie war das noch mal genau mit den Plastikschüsseln? Weil das sowieso jeder anders hält, geben die Hersteller ihren Geschirrspülern nur rudimentäre Gebrauchsanweisungen mit auf den Weg: Leichtes Geschirr oben, schweres unten. Noch so eine Faustregel, die man sich offenbar merken sollte: Die Anzahl der Möglichkeiten, eine Spülmaschine in Gang zu setzen, verhält sich proportional zu den Möglichkeiten, sich zu streiten. Bei aller Liebe. Oder, um es mit Bruno, dem genervten Protagonisten in Dominik Grafs Film Komm mir nicht nach, zu sagen: »Vor allen Dingen kommen Teller nach vorn, damit hinten Platz für die Töpfe ist. Okay?! Noch nie davon gehört?!« Jo, die Frau in dieser Szene, wendet sich konsterniert ab.

Spricht man Freunde auf das prekäre Verhältnis Mensch–Maschine–Mensch an, weiß fast jeder eine Geschichte zu erzählen: Da ist zum Beispiel die Freundin, deren Charakter sich in ihrer Art, die Spülmaschine einzuräumen, spiegelt: unfassbar chaotisch; der Ehemann, der den Salat mit Walnüssen garniert, deren Reste die Düsen des Spülarms verstopfen; das Geräusch des Rotors, der einem nachts den Schlaf raubt, weil er in regelmäßigen Abständen über den Boden des Topfes schabt. Wilhelm Schmid hat der Spülmaschine in seinem neuesten Buch Liebe – Warum sie so schwierig ist einen kleinen Abschnitt gewidmet. Er empfiehlt eine Art Hauswirtschaftslehre für beziehungsgestresste Paare: »Wie bestücke ich die Spülmaschine, wie setze ich sie in Gang?«

Der Mensch und sein Alltag sind vielfach beschrieben. Es gibt soziologische Studien zum Wäschewaschen und psychologische Erörterungen des Bügelns. Die Spülmaschine aber ist das einzige unter den alltäglichen Geräten im Haushalt, das noch nicht ausführlich untersucht worden ist. Ein Grund dafür ist sicher, dass sie bis in die 1990er-Jahre noch als Luxusgut galt. Damals hatten nicht einmal die Hälfte der Haushalte eine Spülmaschine, heute besitzen mehr als zwei Drittel der Deutschen einen Geschirrspüler – meist etablierte Paare zwischen 35 und 55. So beschreibt die junge Frau in Judith Hermanns Buch Alice ihre erste Begegnung mit der Spülmaschine auch als »die unfreiwillige Imitation eines anderen Lebens«.

Rainer Stamminger ist, wie er sagt, »fasziniert vom Abwasch«. Er war Entwicklungsleiter für Spülmaschinen bei AEG, vor neun Jahren wechselte er im Range eines Professors an die Universität Bonn, Lehrstuhl für Haushaltstechnik. Gemeinsam mit seinem Doktoranden begann Stamminger wenig später eine groß angelegte Feldforschung: 200 Haushalte in Deutschland, Schweden, Italien und Großbritannien untersuchten die beiden, die Probanden mussten zwei Wochen lang ihren Abwasch schriftlich dokumentieren, dazu den Geschirrspüler vor jedem Betrieb fotografieren.

Wer kann mehr einräumen?


Faustregel II: Die Art und Weise, wie er eine Spülmaschine einräumt, verrät oft mehr über das Wesen eines Partners, als uns lieb ist.

Erste Erkenntnis: Die Deutschen kratzen lieber die Reste runter, als dass sie die Teller vorspülen; anders als die Schweden und Italiener machen sie damit alles richtig. Zweite Erkenntnis: Es gibt tatsächlich Menschen, die Äpfel, Birnen und anderes Obst im Geschirrspüler waschen. Dritte Erkenntnis: Die Deutschen stopfen im Durchschnitt 61 Teile in die Spülmaschine und sind damit Europameister beim Beladen. Und, auch das ein Ergebnis: Wenn es um die Spülmaschine geht, können Frauen genauso chaotisch sein wie Männer. »Beim Einräumen gibt es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede«, sagt Stamminger.

Und wie sieht er, der Professor für Hauswirtschaft, den Einfluss des Geschirrspülers auf die Beziehung? »Hier prallen die verschiedenen Arbeitsweisen eines Paares aufeinander, das ist ein heißes Thema.« Denn in unserer Ordnung der Gerätschaften gilt der Geschirrspüler als Störenfried – die Piratenpartei in der Wohnküche. Waschmaschine, Bügeleisen, Staubsauger werden meist nur von einem der Partner bedient, in der klassischen Rollenverteilung ist das die Frau. Die Spülmaschine aber gilt als gemeinsames Terrain. »Männer fühlen sich in der Haushaltsarbeit normalerweise unterlegen«, sagt Wolfgang Schmidbauer, der Paartherapeut. Die vergleichsweise aufwendige Technik, dazu das ausgeprägte räumliche Denken von Männern – »deshalb stürzen sie sich auf die Spülmaschine: Wer kann mehr einräumen? Da fühlen sich Männer zu einer Rivalität herausgefordert«. Ein Verhältnis, das in Rachels Hochzeit mit Anne Hathaway wunderbar anschaulich wird: Nach dem Festessen wetteifern Schwiegervater und Schwiegersohn darum, wer in drei Minuten mehr Teller, Tassen, Töpfe in die Spülmaschine räumen kann. Am Ende triumphiert der Schwiegervater mit lautem Gebrüll: »Gebt mir mehr Geschirr!«

Gleichzeitig ist die Spülmaschine für erfolgreiche Männer inzwischen das, was früher das Wissen um den Butterpreis war: ein Symbol dafür, dass sie trotz aller beruflichen Verpflichtungen den Sinn für den Alltag nicht verloren haben. »Ich räume die Spülmaschine ein und aus«, sagte Günther Beckstein, als er noch bayerischer Ministerpräsident war, »niedrige Hilfsdienste also. Aber die mache ich richtig gern.« Ron Sommer trieb als Chef der Telekom die Sorge um, er könne zu abgehoben sein. »Da war ich dankbar, dass mir meine Familie immer wieder gezeigt hat, wo die Spülmaschine ist.« Und Barack Obama erklärte bei einer Veranstaltung der »Women for Obama« in San Francisco: »Den meisten Applaus bekomme ich, wenn ich das Geschirr in die Spülmaschine räume.«


Faustregel III: Teller kommen nach vorn, damit hinten Platz für die Töpfe ist. Pfannen gehören nicht in die Spülmaschine, und die Messer, bitte, mit dem Kopf nach unter in den Korb.

Es war eine Frau, die den Geschirrspüler vor 125 Jahren erfunden hat. Josephine Cochrane hieß sie, eine Dame der Gesellschaft aus Shelbyville, Illinois. Verärgert darüber, dass ihre Angestellten das 200 Jahre alte chinesische Porzellan beim Abwasch zerschlugen, begann Cochrane im Schuppen hinter dem Herrenhaus Geschirr auszumessen, Körbe zu biegen und mit Wasserdruck zu experimentieren. Am Ende stand ein Apparat, der mit heutigen Geschirrspülern erstaunlich viel zu tun hat: Noch immer sind Wasser, Temperatur, Spülmittel und Zeit die Komponenten eines jeden Waschgangs. 1929 brachte Miele die erste massentaugliche Spülmaschine auf den Markt, 1987 erfand das Unternehmen aus Gütersloh die Besteckschublade. Und verschärfte so den ideologischen Grabenkampf unter Spülmaschinennutzern um einen weiteren Aspekt: Besteckkorb oder Schublade? Mitte der 1990er-Jahre waren die Geräte weitgehend ausgereift, das Spülen von Hand ist seitdem: reine Romantik. Eine Innovation von Electrolux, die 2005 einen Geschirrspüler mit Sichtfenster auf den Markt brachte, erledigte sich rasch von selbst: Die Idee war von der Waschmaschine abgeschaut, der Einblick sollte belegen, dass die Wäsche in der Maschine auch tatsächlich gewalkt wird. »Doch das, was in der Spülmaschine passiert, ist nicht wirklich sehenswert«, sagt Gerhard Nüssler, Chefdesigner von Siemens Hausgeräte.

Bleiben zwei grundlegende Probleme, vor denen Spülmaschineningenieure heutzutage stehen: Was tun mit dem Fertigspinat? Da versagen die Reinigungsfilter regelmäßig. Und was tun mit dem »Werfer«? So bezeichnet Nüssler die Anarchisten unter den Spülmaschineneinräumern. »Bei denen noch ein gutes Spülergebnis hinzubekommen, das ist die Kunst.«

Gerhard Nüssler liebt seine Spülmaschinen, den Chromglanz, das leise Sirren, wenn sie laufen. Die Probleme gestresster Paare? Ja, klar, viel mehr interessieren ihn aber die Probleme zwischen Mensch und Maschine. Da guckt der sonst so fröhliche Herr Nüssler fast ein bisschen traurig: Die Espressomaschine wird regelmäßig gewienert, selbst die Flusen aus dem Filter der Waschmaschine werden herausgefummelt. »Aber die Spülmaschine«, sagt Nüssler, »die wird sehr schlecht behandelt. Da denken die Leute: Sie soll einfach nur ihren Job machen.« Und jetzt muss sie auch noch für Beziehungskrisen herhalten? Eigentlich ist die Spülmaschine doch ein armes Schwein.

Vielleicht sollte man beim nächsten Streit darüber einmal nachdenken.

Fotos: Jan Burwick; Styling: Christoph Himmel