Der Stoff, aus dem die Träume waren

Wenn eine Beziehung zerbricht, bleiben Wunden zurück - und im Schrank oft vom Ex-Partner ein Hemd, das nach der Zeit riecht, in der alles gut war. Für ein amerikanisches Kunstprojekt haben Frauen dieses Teil noch einmal angezogen.

Es begann damit, dass die Autorin Hanne Steen nach der Trennung nicht nur ihren Freund vermisste, sondern auch seine Hemden. Die waren, als die Beziehung noch glücklich war, immer ein Platzhalter für ihn gewesen: ein Stück Stoff, das sich gut anfühlte und roch wie das Fleckchen Haut hinter seinen Ohren; ein greifbarer Beweis dafür, dass es ihn in ihrem Leben gab, egal wo er sich in diesem Moment befand. Damit war es auch ein Art Pfand: Solange sie das Hemd hatte, würde er, um es anzuziehen, zwangsläufig zu ihr zurückkommen. Aber dann ging er – und nahm seine Hemden mit. Ihr blieb nur die Faszination für den Stoff, aus dem die Sehnsucht ist, und als sie im Bekanntenkreis davon erzählte, erfuhr sie: Fast alle Freundinnen hatten ein T-Shirt oder Hemd ihrer Ex-Partner behalten. Als Souvenir, Trophäe, Mahnung; ein Überbleibsel einer vergangenen Zeit, das man einfach nicht wegschmeißen will. Oder nicht loslassen kann.

Inzwischen haben Hanne Steen und ihre beste Freundin, die Fotografin Carla Richmond, unzählige Frauen für ihr Projekt »Lovers Shirts« porträtiert (herclayheart.com). Junge und ältere, frisch getrennte und seit Jahren allein lebende. Die Bilder, die dabei entstanden sind, zeigen große Verletzlichkeit: Frauen, die Hemden und T-Shirts ihrer Ex-Partner tragen, fotografiert in dem Augenblick, in dem sie sich selbst im Spiegel sehen. Und so unterschiedlich die Aufnahmen auch sind, der Ausdruck der Augen ist stets ähnlich: Ein Schatten des vergangenen Glücks liegt auf ihnen, eine Ahnung der alten Liebe – und die Gewissheit, dass sie nicht gereicht hat.

Man kann sich dem Zauber, der von den Hemden ausgeht, auch philosophisch nähern. Walter Benjamin hat einmal eine Handreichung darüber formuliert, wie sich Original und Kopie unterscheiden lassen. Er meinte: Das Original strahle, auch wenn man direkt davorsteht, immer einen Hauch von Ferne aus. Mit den T-Shirts und Hemden auf diesen Fotos ist es umgekehrt: Sie sind Relikte von etwas, was weit weg liegt. Aber für den Moment des Fotos wirkt diese Ferne ganz nah. Alles ist wieder da, auch der letzte Rest Liebe.

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Fotos: Herclayheart