SZ-Magazin: Die meisten Menschen sind auf der Suche nach schönen Gefühlen in der Liebe, nach dem Kribbeln im Bauch, tiefer Verbundenheit, Anziehung. Sie dagegen suchen in Ihrer Liebesforschung Leid und Schmerz. Warum?
Anna Mense: Als ich »Die Klavierspielerin« von Elfriede Jelinek oder Ingeborg Bachmanns »Malina« las, fiel mir auf, dass in diesen Büchern eine ganz bestimmte Art von Leiden beschrieben wird, die sehr viel gemeinsam hat mit dem, was gemeinhin über Liebe behauptet wird: Die Menschen teilen ein intensives Erleben miteinander, sie sind leidenschaftlich und einander nah. Doch dabei, und das ist der große Unterschied zu den gewöhnlichen Liebeserzählungen, richten sie sich gegenseitig zugrunde. Das Verhältnis, in dem sie leben, lässt sie sich nicht entfalten, sondern sie leiden aneinander und miteinander. Trotzdem ist es mir wichtig, solche Personen in ihrem Selbstverständnis als Liebende anzuerkennen. Sie lieben einander sozusagen leidend. Und das fasziniert mich. Ein gutes Beispiel für dieses Liebeselend ist auch der Song »The Ex-Factor« von Lauryn Hill.
»Wie echt und rein ist eine Liebe, wenn man Gefühle unterdrückt?«
Eifersucht, Wut und Angst: Auch negative Emotionen sind für Beziehungen wichtig. Im Gespräch verrät die Philosophin Anna Mense, was man aus ihnen lernen kann, warum Paare eine neue Fehlerkultur brauchen – und die Liebe nur wachsen kann, wenn sie nicht immer schön sein muss.