»Dating-Apps erwecken den Eindruck, man müsse vollkommen sein«

Erst das Telefon, jetzt Tinder, und morgen? Technik beeinflusst, wie wir lieben. Sven Nyholm ist Philosophie-Professor in Utrecht und erforscht, wie sich unsere Beziehungen ändern, ob das gut oder schlecht ist – und wie man in modernen Zeiten Nähe schaffen kann.

Smartphones können Menschen näherbringen – aber sie machen natürlich noch viel mehr als das mit der Liebe.

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SZ-Magazin: Eine Technik, die die Liebe im Moment vielleicht mehr als jede andere beeinflusst, sind Dating-Apps und Plattformen. Was halten Sie davon?
Sven Nyholm:
Ich weiß nicht, ob Liebe jemals nicht oberflächlich gewesen ist, zumindest in ihrer Entstehung. Aber heutzutage präsentieren wir online diese glänzende, unrealistische Fassade. Das kann uns davon abhalten, andere wirklich kennenzulernen und sie für das zu schätzen, was sie tief in ihrem Inneren sind. Außerdem neigen wir eigentlich dazu, Schwächen zu mögen: Was zu perfekt ist, wirkt unerreichbar. Vieles von dem, was Renaissance-Autoren früher über die Freundschaft schrieben, denken wir heute über die romantische Liebe – etwa, was Montaigne darüber sagte, warum er und sein Freund sich lieben: Weil er er ist und ich ich bin. Wenn man jemanden liebt, schätzt man ihn eigentlich in seiner Einzigartigkeit und mit seinen Fehlern, zumindest zu einem gewissen Grad. Aber womöglich vergessen wir das, weil viele Dating-Apps und Plattformen den Eindruck erwecken, man müsse vollkommen sein, um ein guter Partner sein zu können. Eine Redeweise, die mir aufgefallen ist, ist die von der »Dating Economy« – als gäbe es einen Dating-Markt, auf dem man einen guten Marktwert braucht. Das ist etwas, das diese Apps hervorrufen können: das Streben nach einer perfekten, markttauglichen Oberfläche.