»Wer zu wenig Liebe in seinem Leben hat, muss selber lieben«

Die Sängerin Judith Holofernes hat in ihren Liedern schon oft gute Worte für große Gefühle gefunden. Ein Gespräch über die Übungssache Glück.

Wer sich offenbart, kann auf die Mütze kriegen: Das weiß Judith Holofernes aus eigener Erfahrung.

SZ-Magazin: Frau Holofernes, wir wollen mit Ihnen über die Liebe sprechen, vielleicht versuchen wir es am besten mal anhand berühmter Songtitel, oder?
Judith Holofernes: Sehr gern.

Also: What Is Love?
Das von Haddaway? Schrecklich! Aber gute Frage: Was ist Liebe? Einerseits wohl Anhänglichkeit, das menschliche Bedürfnis nach Verbindung. Auf der anderen Seite denke ich als Buddhistin, dass die persönliche Liebe eigentlich nur der Widerschein von so etwas wie universeller Liebe ist.

Meistgelesen diese Woche:

Was ist universelle Liebe?
Oh weia. Sofort voll ans Eingemachte! Na gut, dann: Liebe, oder Verbindung, ist die Natur der Dinge. Dass wir uns als getrennt von anderen wahrnehmen, ist Illusion. Wir sind alle verbunden. In der Liebe versucht man diese Trennung zu überwinden.

Das aber nur mit Einzelnen.
Ja, weil wir anhängliche Wesen sind. Und ängstlich. Man braucht die Exklusivität, um keine Angst vor Verletzung haben zu müssen.

Nächster Song, Pat Benatar: Love Is A Battlefield.

Die Liebe als Schlachtfeld. Hat so für mich nie gestimmt. Ich kenne aber viele Leute, die sich nur im Kampf spüren können. Vor allem Frauen, die unglückliche Verliebtheiten regelrecht brauchen. Das große Drama.

Haben Sie selbst nie Dramen erlebt?
Doch, doch. Mit meinem ersten richtigen Freund war ich vom 16. bis zum 24. Lebensjahr zusammen. Mit allen Höhen und Tiefen. Zu früh, zu fest, ich habe gemerkt, ich muss noch was ausprobieren im Leben. Es ging drunter und drüber, mein romantisches Herz und mein neugieriges Herz haben sich gegenseitig die Fresse poliert.

Halt dich an deiner Liebe fest.
Rio Reiser, ganz groß! Ein sehr spiritueller Gedanke. Das heißt ja: Halt dich an DEINER Liebe fest, egal, ob dich jemand anders liebt oder nicht. Anders gesagt: Wer zu wenig Liebe in seinem Leben hat, muss eben selber lieben.

Wie geht das?
Im Buddhismus gibt es dafür Übungen. In denen geht man über die persönliche Liebe hinaus, versucht das Gefühl zu übertragen auf Menschen, die einem gleichgültig sind, vielleicht sogar auf welche, die schwierig sind.

Und das funktioniert?
Absolut! Sagt ja auch die Hirnforschung: Man kann durch solche Übungen die entsprechenden Bahnen im Kopf breiter machen. Sodass Liebe zum selbstverständlichsten Impuls wird.

Aber wer will das? Lieben, ohne geliebt zu werden, ist doch eine frustrierende Erfahrung.
Man kriegt doch Liebe zurück! Wenn Sie den unfreundlichen Bäcker morgens oft genug anlächeln, wird er irgendwann zurücklächeln. Und auch romantische Liebe kommt nicht gern zu denen, die mit verschränkten Armen warten.

Sich an der Liebe festzuhalten kann auch bedeuten: Jemand bezieht all seine Kraft aus einer Beziehung.
Also Abhängigkeit. Fürchterlich. Viele Menschen halten an unguten Beziehungen fest, weil sie sich so sehr darüber identifizieren.

Was kann man dagegen tun?
Es ist wie mit anderen Süchten, es gibt leider keinen anderen Weg als die Leute unten aufschlagen zu lassen und zu hoffen, dass sie mit dem letzten Rest von Selbstachtung wieder neu anfangen. Und als gute Freundin bloß nicht immer sagen, du bist doch viel zu gut für die oder den! Genau daraus ziehen die leidenden Liebenden ihre Energie.

Tocotronic: Du bist der Jackpot meines Lebens.
Süß!

Sehen Sie morgens neben sich den Jackpot?
Ja! Auch wenn ich dann meistens gleichzeitig ein Kinderknie in der Nase habe. Aber hey: Ich bin verheiratet mit einem Schlagzeuger! Der eine große Plattensammlung hat! Bingo.

Wie haben Sie sich kennengelernt?

Wie so viele Menschen, bei der Arbeit. In unserem Fall die Band. Wir haben ja schon ein Jahr zusammen gespielt, bevor wir ein Paar wurden.

Spielt es für Sie und Ihren Mann eine Rolle, dass Sie im Vordergrund stehen und er immer im Hintergrund bleibt?

Das kommt unseren Persönlichkeiten sehr entgegen! Er ist schon sehr Schlagzeuger, er will die Dinge aus dem Hintergrund zusammenhalten. Das passt. Er geht jetzt auch nicht mit auf Tournee – er bleibt mit den Kindern zu Hause.

Sie sind Paar und Kollegen. Geht das gut zusammen?

Es ist eher erstaunlich, wie weit das oft voneinander weg ist. Auf den bisherigen Tourneen gab es oft Tage voller Termine, da haben wir uns gerade mal im Hotelzimmer kurz abgeklatscht, ach ja, du bists, ich erinnere mich.

Es ist für Ihren Mann vermutlich nicht ganz leicht, dass seine Frau in den Songtexten ihr Gefühlsleben ausbreitet. Jeder Zuhörer kann sich denken, aha, damit meint sie jetzt ihn.
Stimmt, dafür darf er aber auch Lieder auf sich beziehen, bei denen andere Männer froh wären, wenn ihre Frauen so was über sie singen würden.

Bela B: Altes Arschloch Liebe.

Tja. … und altes Arschloch Tod.

Wie meinen Sie das?
Wer liebt, hängt sein Herz an etwas Endliches. Selbst wenn die Liebe tatsächlich ein Leben lang hält, wird es trotzdem eines Tages das schmerzhafte Ende geben, der Verlust ist vorprogrammiert. So, ich bin gespannt – nächster Titel?

Rammstein: Liebe ist für alle da.
Ich würde das gern im Sinne Rio Reisers interpretieren: Wenn keine Liebe von außen kommt, ist immer noch die eigene da. Aber ich vermute, die meinen es ein wenig grobschlächtiger. Man darf es aber vielleicht auch ein bisschen hippiemäßig verstehen.

»Kompliziert wirds erst später, wenn Teenager ihre Beziehungen mit denen der Eltern abgleichen und ihr Bild der Liebe nach ihnen modellieren.«

Judith Holofernes Die gebürtige Berlinerin, 37, wurde bekannt als Sängerin der Band Wir sind Helden, verkaufte Berge von CDs, spielte vor ausverkauften Stadien, sogar noch, als sie im siebten Monat schwanger war. Nach vielen aufwühlenden Jahren zog sich die zweifache Mutter zurück. Jetzt wagt sie sich nach drei Jahren Pause wieder an die Öffentlichkeit, diesmal solo. Auf ihrem Album »Ein leichtes Schwert« spielt der Schlagzeuger der Helden trotzdem mit - er ist ihr Ehemann.

Freie Liebe?
Ich kenne viele Menschen aus der Generation meiner Mutter, die die freie Liebe gepredigt haben – aber in Wirklichkeit gelitten haben wie die Hunde.

Warum?
Weil es eben doch weh tut, zu lieben und den anderen ständig ziehen lassen zu müssen. Außerdem hat die freie Liebe in den Siebzigerjahren wohl hauptsächlich bedeutet, dass die Männer frei lieben. Und für die Männer war es dann wiederum nicht so locker, wenn zur Abwechslung die Frauen miteinander durchgebrannt sind – wie im Fall meiner Mutter.

Wie lief das bei Ihrer Mutter?
Die hat bei all der freien Liebe rausgefunden, dass sie Frauen liebt. Das tut sie, seit ich drei Jahre alt war.

Und wie war das für Sie?
Meine Eltern haben ihre Trennung verhältnismäßig gut hinbekommen. Wenn Paare in meinem Bekanntenkreis sich trennen, finde ich es auch heute beruhigend zu wissen: Die romantische Liebe der Eltern ist den Kindern im Grunde scheißegal. Dem kleinen Kind gehts nur um seine eigene Beziehung zu den Eltern. Solang beide weiter präsent sind, ist alles gut. Kompliziert wirds erst später, wenn Teenager ihre Beziehungen mit denen der Eltern abgleichen und ihr Bild der Liebe nach ihnen modellieren.

Jürgen Marcus: Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben.

Finde ich ein bisschen traurig. Das bedeutet doch: Man verwandelt sich als Mensch komplett, man legt mit einer alten Liebe ein altes Ich ab. So viel Macht sollte Liebe nicht haben, oder?

Die Medizin sagt, Verliebtsein ähnelt manchen psychischen Krankheiten: Der Serotoninspiegel sinkt, der Mensch wird unzurechnungsfähig.

Das kann ich voll unterschreiben. Man sollte nie den Kopf schütteln über liebesverrückte Freunde, sondern ihnen einfach mal über die Straße helfen.

Letztes Lied, Connie Francis: Die Liebe ist ein seltsames Spiel.
Schön! Aber noch besser finde ich Dolly Parton: Love Is Like a Butterfly. Das Bild ist hübsch: Die Liebe als etwas, was sich nicht richtig einfangen lässt, sie landet einfach auf uns, in uns.

Und kann auf diese Weise auch viel Schmerz bereiten.
Natürlich, weil wir Unmögliches von der Liebe erwarten. Wer annimmt, Liebe sei identisch mit Glück, wird zwangsläufig Enttäuschung erleben. Man setzt eine hohe Wette auf ein störrisches Pony. Es ist wie mit Geld: So viele Menschen glauben, wenn sie nur ganz viel davon hätten, wäre alles toll. Irrtum. Glück ist Übungssache.

Bedeutet Liebe, dass man im anderen etwas sucht, was man in sich selbst nicht findet?
Oft, ja. Ich war mal rasend in einen jungen Mann verliebt, der in einer Band gesungen hat. Ich habe dann einen Song geschrieben, der ging so: »Popstar, eins lässt mich noch nicht schlafen / Eins lässt mir keine Ruh / Popstar, will ich dich lieber ficken / Oder wär ich lieber du?«. Ich war nicht nur in ihn verliebt, sondern eben auch in diese ganze Idee von Rock ’n’ Roll und Rampenlicht.

Sie haben in ihm eine andere Version von sich selbst gesehen.
Ja. Und häufig ist doch auch, dass Menschen mögen, was die Liebe aus ihnen macht. Love to love you, baby. Um es mit einem Disco-Refrain zu sagen.

Sie sind jetzt 37. Den ersten richtigen Freund hatten Sie mit 16. Was haben Sie in diesen 21 Jahren über die Liebe gelernt?
Vor allem: dass man in der Liebe nicht vollkommen verschmelzen muss, sondern auch ein Einzelner bleiben darf. Und was den körperlichen Aspekt angeht, würde ich jeder jungen Frau raten, auch mal mit einem Mann zusammenzusein, in den sie nicht verliebt ist. Weil das ganz viel freisetzt.

Was genau setzt es frei?
Junge Mädchen sind fürchterlich gehemmt durch ihre Gefühle, die wollen immer gefallen. Also machen sie vieles, was sie eigentlich nicht wollen. Mit einem Kerl zusammenzusein, der einem nicht so wichtig ist, kann entkrampfen.

Eine neue Umfrage hat ergeben: Zwei Drittel der Deutschen legen in ihrer Partnerschaft mehr Wert auf Harmonie als auf sexuelle Erfüllung.
Aber wissen Sie, was Paartherapeuten heute oft empfehlen? Eine Zeit lang täglichen Sex. Weil das Verbindung schafft. Nicht andersherum, wie man meinen möchte. Mehr Sex kann mehr Liebe erzeugen.

Aber wenn die Leute vielleicht gar nicht mehr so richtig wollen?

Auch okay. Es gibt ja Menschen, die sich gar nicht so für Sex interessieren. Nur die Medien tun so, als gäbe es ein normiertes Maß an Libido. Ich habe mal gehört, dass hinter der Paarung alter Mann/junge Frau oft eine Motivation steht, die gar nicht dem Sugardaddy/Trophy-Wife-Klischee entspricht: eine Frau, die nicht sehr an Sex interessiert ist, aber durch die mediale Prägung total verunsichert, trifft auf einen älteren Mann, für den der Sex keine große Rolle mehr spielt – und beide sind froh, dass sie endlich ohne Stress mit einem netten Menschen auf Weltreise gehen können.

Warum ist Liebeskummer so hart?

Weil man, wenn man sich offenbart, ordentlich auf die Fresse kriegen kann. Es ist wie in dem wunderbaren Song Jolene von Dolly Parton: Sie gibt aus lauter Liebe ihre Selbstachtung auf, sie fleht ihre Nebenbuhlerin an, ihr den Mann zu lassen, weil sie weiß, dass sie keine Chance hätte gegen die wunderschöne Jolene. Sie sagt, du kannst doch alle haben, lass mir den einen. Das rührt mich wahnsinnig.

Zum Abschluss bitte noch Ihre drei liebsten Liebeslieder.
Jolene. Dann noch Le Vent Nous Portera von Noir Désir.

Deren Sänger Bertrand Cantat seine Frau totgeschlagen hat. Schwer, das heute unbelastet zu hören, oder?

Ja, schrecklich. Und trotzdem ein großes Lied.

Und zuletzt …
… zuletzt noch Hallelujah von Leonhard Cohen – weil es zugleich ein Liebeslied für einen Menschen ist und die Liebe zur Musik an sich formuliert.

Foto: Christoph Voy