Das Kunsthaus in Rehau, einer Kleinstadt im Norden Oberfrankens. Wenn man ein Gespräch mit Vater und Tochter Gomringer führen will, führt kein Weg an der Mutter vorbei: Nortrud Gomringer, promovierte Germanistin, kümmert sich um alle Termine ihres Mannes. Und um die vielen Mails und Briefe, die den Dichter seit dem Skandal um »Avenidas« erreichen. Vom Erdgeschoss, dem Museum für Konkrete Kunst, führt Gomringer hinauf in den ersten Stock, wo sie mit ihrem Mann, 93 Jahre alt, wohnt. Wenn sie von ihm spricht, sagt sie »Eugen Gomringer«, als handle es sich bei ihm selbst um ein Ausstellungsstück. Im Wohnzimmer, in den weichen Le-Corbusier-Möbeln, saß kürzlich eine Abordnung der Berliner Alice Salomon Hochschule: drei Professorinnen und zwei Studentinnen. Sie wollten erklären, warum sie das Gedicht nicht mehr an ihrer Südfassade wollen. Aber eigentlich hofften sie auf die Absolution des Künstlers, erzählt Nortrud Gomringer. Sie wird während dieses Interviews dabei sein. Jetzt sind Vater und Tochter eingetroffen und versinken im Sofa. Sie groß und lachend, er schmal und skeptisch. Zwischen beiden bleibt Platz, selbst als sie für ein Foto zusammenrücken.
»Wir sind viel still miteinander«
Weil Eugen Gomringers Gedicht »Avenidas« von der Fassade einer Berliner Hochschule entfernt werden soll, tobt ein erbitterter Streit um die Kunstfreiheit. Seine größte Verteidigerin wurde eine andere Sprachkünstlerin, die ihm nicht immer nahestand: seine Tochter Nora. Ein Gespräch über die Schwierigkeit, eine Familie zu sein.