Darf man nicht so eng sehen

Schöne neue Mode: Frauen tragen jetzt Kleidungsstücke, die ihnen zu groß sind. Männer mögen das – denn es erinnert sie an eine ganz besondere Situation.

Frauen wissen: Nicht alles, was die Mode hergibt, finden Männer toll. Keilabsätze zum Beispiel. Frau: »todschick«, Mann: »Klumpfuß«. Oder riesige runde Sonnenbrillen. Frau: »Hollywood!« Mann: »Insektenauge.« Oder Ballonkleider. Frau: »Modern!« Mann: »Macht dick.« Die meisten Männer finden schön, was einer Frau schmeichelt – fließende Formen, weiche Stoffe – oder, noch besser, was ihre körperlichen Vorzüge unterstreicht – eng, kurz, tiefer Ausschnitt. Schön ist, was Sex hat. Und viel Volumen ist doof.

Doch es gibt einen Trend bei der Frauenmode, auf den können sich alle Männer einigen, obwohl es auch beim aktuellen »Oversized-Look« um viel Volumen geht. »Oversized« bedeutet ja, dass Frauen Sachen tragen, die ihnen eigentlich zu groß sind: T-Shirts, die über die Schulter rutschen, Hemden, bei denen sie die Ärmel umschlagen müssen, oder Jeans, die mit einem Gürtel zusammengehalten und an den Beinen hochgekrempelt werden. Andernfalls würde eine Frau darin verschwinden. In Modedeutsch heißen die weiten Jeans »Boyfriend-Jeans«, und dieser Name gibt schon den entscheidenen Hinweis darauf, dass sich hier zwischen Männern und Frauen etwas abspielt, was weit jenseits der Mode liegt. Der Oversized-Look erzählt von einem kleinen, sehr menschlichen, wenn auch etwas archaischem Schauspiel: Frauen, die zu weite Pullis oder Hemden tragen, lösen bei Männern ein Bild aus: Sex.

Genauer: nach dem Sex. Wenn die Frau nackt ist und im Bett liegt. Wenn sie dann die Decke abstreift und friert, ihr ist ja schneller kalt als ihm. Ihre Kleider aber sind zusammen mit der Rotweinflasche irgendwo im Zimmer verstreut. Wie gut, dass sein Hemd/sein Pullover direkt vor dem Bett liegt. Jetzt streift sie sein weites Hemd über, den Rest Körperwärme bewahren, die Erinnerung an eben noch ein bisschen konservieren. Nie war sein Hemd schöner, nie hat es jemandem besser gestanden als ihr. Findet er. Findet sie aber auch. Das ist der Moment, in dem Kleidung eine große Geschichte erzählt: von Frauen, die klein und verletzlich sein dürfen, von Männern, die sich als Beschützer und Versorger fühlen können; er darf sich um sein Weibchen kümmern, sie muss sich nicht schämen, dass sie sich nackt fühlt ohne ihn, dass sie seine Hülle braucht.

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Darum zeigt der Oversized-Look nichts anderes als puren Sex, darum finden Männer weite Pullis an Frauen schön. Sind sie doch scheinbarer Zeuge einer intimen Situation. Einer, die so einfach sein kann, weil die Rollen klar verteilt sind: Der Mann sorgt, das Mädchen schnurrt. Beim Oversized-Look ist die Welt noch in Ordnung, der Film läuft. Ja. Mode ist oft so einfach.

Foto: David Bornscheuer