Das Jerseykleid mit Goldstickerei, von Osman Yousefzada
Gibt es ein unsinnlicheres Wort als Krise? Wie ein Schatten legt sie sich über alles, auch über die Mode. In ihr wirkt das, was vor Kurzem noch glänzte, seltsam matt, ja obszön. Doch die Inflation des Glamours begann schon vor der Krise: in dem Moment nämlich, als das Geld in Dubai, China und Russland plötzlich den Ton vorgab. Manche Modehäuser vergaßen dabei, dass der Geschmack der Neureichen weder reich noch neu ist.
Wie also reagiert die Mode auf diesen Imageverlust, auf die schlechte Laune, die selbst jetzt noch, in der Post-Krise, spürbar ist? Sie spart, sie versucht es zumindest. Was einer Industrie schwerfällt, die das Maßlose braucht, um sich immer wieder neu zu befeuern. Es sitzen also nicht mehr ganz so viele teuer eingeflogene Vorzeige-Gesichter in den Modenschauen, es werden weniger Anzeigen in Magazinen geschaltet und in manchen Flagship-Kathedralen stehen nicht mehr zwei, sondern nur noch ein Grüßonkel bereit, um die Tür aufzuhalten. Doch neben diesen Gesten des Kürzertretens ist noch etwas anderes zu spüren: Nennen wir es ruhig Sinnsuche. Man beschäftigt sich wieder mehr mit sich selbst als nur mit den vermeintlichen Wunschträumen reicher Menschen. Viele Modehäuser entdecken jetzt ihre Klassiker neu – was mehr Mut erfordert, als man denkt. Nichts ist schwerer, als aus dem Immergleichen das Immerneue zu erschaffen.
Aber geht das überhaupt noch? Ist zum Chanel-Kostüm nicht schon alles gesagt, alles geschneidert worden? Eben nicht, wie Karl Lagerfeld mit seiner aktuellen Kollektion für Chanel beweist: Da taucht es als dandyeske Reminiszenz auf, als romantisches Zitat, das die feine Eleganz feiert, nicht die Opulenz. Bei Burberry staunt man diese Saison über Trenchcoats in Tweed und Leder und die Lässigkeit, mit der Christopher Bailey, der Designer, den aristokratischen Country-Chic des Labels entstaubt. Max Mara holt den Kamelhaarmantel aus dem Archiv. Selbst überzeugte Vorwärtsdenker wie Raf Simons schauen diese Saison zurück: Seine Kollektion für Jil Sander ist eine unverblümte Verneigung vor der Gründerin. Und wenn ein Zampano wie John Galliano seine Couture-Schau seit Neuestem nicht auf großer Bühne, sondern, wie einst Christian Dior, in den engen Salons des Schneider-Ateliers abhält, dann ist auch das weniger Bescheidenheit als Bekenntnis zu den Wurzeln des Hauses.
Es ist also so etwas wie eine Läuterung im Gange. Die Rückbesinnung auf den Klassiker, der Blick in die Archive ist ein Reflex: Auf unwegsamem Gelände hält man sich am besten an vertraute Wege. Der Blick zurück ist aber immer auch ein Blick in den Spiegel. Es ist der Reality-Check, den die Branche dringend braucht. Nur wer sich selbst kennt, kann sich immer wieder neu finden. Nur wer sich selbst nicht aus den Augen verliert, kann auch relevant sein.
Thomas Bärnthaler war in Wien, als er diesen Text schrieb. Dort schaute er wie immer bei seinem Lieblingsklassiker, dem Herrenschneider Knize, Im Graben 13, vorbei und kaufte sich ein Paar Socken.
Markus Gaab (Fotos)