Die wirtschaftlichen Prognosen sind düster, die modischen auch. Wenn es nach Designern wie Dries Van Noten oder Miuccia Prada geht, wagen wir uns ab sofort nur noch mit dunkler Brille vor die Tür. Natürlich hat das rein gar nichts mit dem Wetter zu tun, das auch mit ein paar extrahübschen UV-Gläsern kein Stück besser wird, sondern eher mit dem wirtschaftlichen Klima: Nach der »It-Bag« und den »Must-have-Heels« ist nun die Sonnenbrille das Accessoire der Stunde – was man sich halt gerade noch leisten kann, wenn die Gehaltserhöhung wieder mal verschoben wurde. Dass die Gewinnmargen eines Kunststoffgestells – das in der Herstellung weniger als zehn Euro kostet, im Laden aber mittlerweile bis zu 350 Euro – locker über denen von Taschen liegen, ist ebenfalls hilfreich in diesen auch für die Modeindustrie etwas angespannten Zeiten.
Die richtige Sonnenbrille gehört also zum »Komplettlook« dazu, und wie man damit umgeht, kann man sich wunderbar in einer Stadt wie Mailand abgucken. Hier wird sie grundsätzlich durchgetragen, im Sommer wie im Winter, bei blauem wie verhangenem Himmel. Es ist ja auch wirklich eine verdammt antiquierte Definition der Sonnenbrille, sie nur in Verbindung mit Sonne aufsetzen zu wollen, oder? Im Englischen spricht man folglich längst von »Eyewear«, einem Kleidungsstück für die Augen, das getragen wird, wann es eben gerade passt. Und das ist im Zweifel: immer.
Dieser Dauerbetrieb hat durchaus seine Vorteile: kein ständiges Rumnesteln mehr an einem ziegelsteingroßen Brillenetui mit dem Zuschnappgeräusch eines Krokodilkiefers, kein versehentliches Liegenlassen im Café, wo man doch die Brille nur abgenommen hat, um sich Zucker in den Milchschaum zu schütten. Die meisten Dinge des täglichen Lebens, so könnte man argumentieren, erledigen wir doch sowieso schon in einer Art geistigen Umnachtung, für die eine abgedunkelte Brille eigentlich das perfekte Symbol ist. Und wenn wirklich mal klar gesehen oder gedacht werden muss, wandert die Brille eben in den Stand-by-Modus, ins Haar oder in die Reverstasche. Bei Italienern in der Regel nicht einmal das. Es ist deshalb sicherlich kein Zufall, dass der Weltmarkt für Sonnenbrillen von der italienischen Firma Luxottica dominiert wird, die für fast alle großen Designmarken die Fassungen fertigt.
Womit noch die Frage zu klären wäre, welche Brille es denn nun sein soll. Ein weißes Gestell, wie von Dries Van Noten und Missoni vorgeschlagen? Vielleicht zu klinisch. Dann doch eher einen dicken farbigen Rahmen von Marni oder Céline – mit viel Kunststoff im Gesicht kann man nicht viel falsch machen. Eine elegantere Lösung: leicht bunt getönte Gläser mit verschnörkeltem Metallrahmen von Gucci, die Ton in Ton mit dem jeweiligen Outfit harmonieren. Da muss man zwar gleich die komplette Farbpalette kaufen, damit es funktioniert, aber der Trend geht ja ohnehin zur Dritt- oder Viertbrille. Pro Sommer, versteht sich. Denn natürlich ist die Sonnenbrille längst ein saisonales Geschäft: Mit der überdimensionalen Tom-Ford-Brille des Vorjahres werden Sie jetzt nur noch mitleidige Blicke ernten. Auch wenn Sie die gar nicht sehen. Tragen ja alle Sonnenbrille.
Illustration: Jordy van den Nieuwendijk