Verduftet

Was es bedeutet, wenn ein Kosmetikprodukt, das man mehr als 15 Jahre benutzt hat, plötzlich vom Markt genommen wird.

Die tiefe Verbundenheit mit der grünen Kosmetiklinie von Polo Ralph Lauren begann an dem Tag, als ich zum ersten Mal den Münchner Laden des Modedesigners betrat. Meine amerikanische Tante hatte auf einem Deutschlandbesuch beschlossen, ihren jugendlichen Neffen von labbrigen Sweatshirts und Domestos-gebleichten Jeans abzubringen, und führte mich in die Welt der Poloshirts, Kaschmirpullis und Khakihosen ein. Der mondäne Reiz der Marke verfehlte seine Wirkung nicht; noch größeren Eindruck als die Kleidung machte auf mich aber die Atmosphäre in diesem Geschäft, die dunkle, mahagonigetäfelte Raumflucht, die alten Kommoden und – vor allem – der Geruch.

Im Grunde war die bald einsetzende Gewohnheit, die Produkte der grünen Linie zu benutzen, nichts anderes als der Wunsch, den Duft dieser Räume ständig um sich zu haben.Das charakteristische Dunkelgrün der Fläschchen und Tuben liefert bereits einen Hinweis auf ihren Inhalt: Die Cremes und Wässerchen riechen nach Wald, nach Fichtennadeln, nach dem Efeu, der sich um die Mauern eines alten englischen Landsitzes rankt. Fast alle anderen Kosmetikmarken, auch die neuen schwarzen und blauen Linien von Polo, sind dagegen leere Gegenwartsdüfte, die nichts als »Frische« und »Sportlichkeit« ausströmen. Dennoch sorgen genau diese Konkurrenzlinien von Ralph Lauren dafür, dass die altehrwürdige grüne nach und nach vom Markt verschwindet. Das jüngste Opfer, seit diesem Frühling nicht mehr im Programm, ist der Deostick. Beim Hersteller L’Oréal kann man erfahren, dass sich der klassische Duft nicht mehr gut genug verkauft. Ein erniedrigendes Gefühl für einen, dem dieser Duft fast zum eigenen Körpergeruch geworden ist. Prekäre Fragen stellen sich: Bin ich nicht mehr auf der Höhe der Zeit? Weisen meine überholten kosmetischen Vorlieben auf generelles Außenseitertum? In der Kindheit habe ich diese amerikanische Tante sehr bewundert, die ein bestimmtes Parfum – ich würde es immer noch unter Dutzenden anderen erkennen – so lange und konsequent benutzte, dass alles in ihrer Umgebung, ihr Haus, ihre Taschen, ihre Kleidung, einen Hauch des Duftes enthielt. Damals kam es mir vor, als sei eine solche Imprägnierung das Merkmal einer geglückten, fest verwurzelten Existenz. Ich weiß noch, dass es mir in der ersten eigenen Wohnung wie ein gutes Zeichen auf diesem Weg vorkam, wenn ich nach der Rückkehr von einer Reise die Tür aufsperrte und einen leichten Fichtennadelgeruch in den Räumen wahrnahm. Ich hatte es also auch zu einem eigenen Duft gebracht. Das Sortiment der grünen Polo-Linie wurde in den letzten Jahren immer schmaler: Zunächst verschwanden das Deospray und der Rasierschaum, vor Kurzem dann auch das Duschgel, das ich so lange verwendete, dass ich mir manchmal dachte, ich sollte all die leeren Tuben in einem Behälter sammeln und irgendwann Sophie-Calle-mäßig als Kunstprojekt ausstellen, als symbolische Summe eines Lebens. Die Einstellung des Duschgels vor zwei, drei Jahren ließ sich dann überraschend leicht verschmerzen. Mit dem Verschwinden des Deosticks aber hat die Sache einen kritischen Punkt erreicht.

Polo Ralph Lauren macht wirklich ernst. Auch das Schlupfloch, das sich bis vor einiger Zeit bot (Freunde, die in die USA fahren, darum bitten, eine Dose mitzubringen), hat sich geschlossen; die Produkte werden offenbar weltweit eingestellt. Gerade jene Linie wird also abgewickelt, die alles, worauf es bei der Marke ankam, so perfekt in Duft übersetzte. Dagegen türmen sich in den Drogerien und Kaufhäusern nun die Produkte der albernen Polo-Sportlinien, deren spitzer, leicht metallischer Geruch sich in nichts von einem x-beliebigen »Cliff« oder »Axe« aus dem Supermarkt unterscheidet. Wäre der grüne Polo-Duft ein Hotel oder ein Restaurant, dann wäre er das »Savoy« in London oder die Zürcher »Kronenhalle«. Die neuen Linien sind allenfalls ein »Marriott« mit ausgebautem Spa-Bereich und einer Prosecco-Bar.

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Wie geht es nun weiter? Entweder wird die stumpfe Macht der Gewöhnung auch diesen Verlust vergessen machen (die wahrscheinliche Variante). Oder aber ich ende wie ein Freund, der so wenig über das Ende der Marke Helmut Lang und ihrer Kosmetiklinie hinweggekommen ist, dass er seit drei Jahren einen Gutteil seiner Freizeit damit verbringt, auf Ebay und in den verborgensten Schubladen von Luxusdrogerien nach übrig gebliebenen Parfumfläschchen zu fahnden. Jedes Mal, wenn er wieder eines aufgestöbert hat, oft für unverschämte Geldsummen, freut er sich wie ein Kunstsammler. Dieser antiquarische Zugang zur Körperpflege führt aber auch zu nichts. Vielleicht kommt etwas Drittes in Frage: Warum nicht in Deostreik treten und als Mahnmal einer falschen Entscheidung so lange in den Ralph-Lauren-Boutiquen ausharren, bis sich der Konzern eines Tages um eine Wiederauflegung des Produkts bemüht?

Foto: André Mühling