Ach ja, die Taille. Wer eine hat, darf sich glücklich schätzen. Wer gern eine hätte, sollte verzichten lernen und Hula-Hoop trainieren. Diese Saison haben die Designer sie einmal mehr entdeckt, und zwar in noch feinerer Form als letzten Frühling. Weiblichkeit und Kurven dominieren, Format ebenso. Schlabber-Shirt über der Hose? Jeans auf der Hüfte? Weiter Blazer? Alles viel zu unentschieden. Wer die Taille betont, suggeriert Haltung. Nicht nur modisch, sondern auch körperlich. Denn ohne geraden Rücken wirkt sie nicht.
Der Belgier Raf Simons lässt, vermutlich nachdem er sich nächtelang Mad Men angeschaut hat, die Taille im großen Stil bei Jil Sander aufleben. Jedes Kleid, jede Hose, jeder Rock ist – mal mehr, mal weniger dezent – auf Taille geschnitten, die hier und da sogar durch funkelnde Broschen akzentuiert wird.
Bei Simons trägt man sehr hoch geschnittene Bleistiftröcke, schmale Hosen mit extra hohem Bund, schwingende, wadenlange Tellerröcke und ein klassisches Bustierkleid, das definitiv ins Jahr 2012 gehört durch ein Detail wie Seitentaschen, zum Parken der Hände. Alles weit entfernt vom Sekretärinnen-Look. Taille gehört heute aufs Parkett, nicht mehr hinter den Schreibtisch.
Die gute Nachricht: Auch wer keine 60-Zentimeter-Modelmaßtaille hat, sollte auf Silhouette setzen. Die Schauspielerin Helen Mirren, die mit ihren 66 Jahren bei den Golden Globes gerade mehr Sex-Appeal bewies als so mancher Red-Carpet-Frischling, geht noch weiter: »Sie sollten immer, egal was Sie tragen, eine Taille haben.« Punkt. Am besagten Abend trug Dame Mirren zu ihrem mitternachtsblauen Abendkleid einen auffälligen, breiten, funkelnden Gürtel – der entweder geliehen oder nicht echt war. Egal, sie bewies Taille.
Bei Roland Mouret, berühmt für seine engen Cocktailkleider, kann man sich derzeit den einfachsten aller Tricks abschauen. Der französische Designer schickte bei den Frühjahrsschauen in Paris die Models mit um die Taille gebundenem, schwarzem Bändchen auf den Laufsteg. Seine Kleider zeigten einmal mehr, wie gut Mouret die weibliche Anatomie versteht, der Hingucker aber war der schwarze Taillenstreifen. Denn was die wenigsten wissen: Schwarz in der Körpermitte, egal in welcher Form, macht immer – schlanker.
Ein anderer Trend in dieser Saison ist die sogenannte Bauchfrei-Mode, die zuletzt in den Neunzigerjahren für optischen Ärger sorgte. Bei den Modeschauen waren nicht nur bei Prada, sondern auch bei Dolce & Gabbana und Nina Ricci entblößte Taillen zu sehen. Die Frauen trugen knappe Bustiers, und ihr Bauchnabel blieb durch einen hohen Bund verborgen. Abseits des Laufstegs ist diese Kombination, außer für einen Karnevalsbesuch in Rio de Janeiro, nicht zu empfehlen. Antje Wewer
Illustration: Aurore de la Moriniere c/o Renate Gallois Montbrun