Der Trump-Sieg: eine Rache am Feminismus?

Was sagt das US-Wahlergebnis eigentlich über das Verhältnis der Geschlechter aus, fragt sich Gastautorin Meike Stoverock. Und gibt in ihrem Essay eine überraschende Antwort: Männer bestrafen Frauen dafür, dass sie sie brauchen.

45 Prozent der US-Frauen haben sich bei der Präsidentschaftswahl für Donald Trump entschieden.

Foto: Getty Images / Chip Somodevilla

Der Begriff »Kassandraruf« bezeichnet Warnungen vor einer düsteren Zukunft, auf die niemand hören will. Die Namensgeberin ist eine wunderschöne Frau aus der antiken Mythologie. Apollon, Gott mit vielfältiger Zuständigkeit, fand sie so schön, dass er ihr die Gabe der Weissagung schenkte. Sie konnte fortan in die Zukunft sehen und dort Schönes wie Schreckliches erblicken. Der Gott begehrte Kassandra sehr und hoffte, ihr durch das Geschenk näherzukommen. Doch die wies ihn ab, und so vergiftete der gekränkte Apollon sein Geschenk nachträglich, indem er dafür sorgte, dass niemand Kassandras Weissagungen Glauben schenkte. Sie musste damit leben, künftige Schreckensereignisse nicht verhindern zu können, weil alle nur müde abwinkten.

Die Geschichte passt auf vielen Ebenen zu der heutigen Zeit, aber zunächst soll es hier nur um Apollons Reaktion auf Kassandras Korb gehen. Er rächt sich, weil er ihre Zurückweisung als Akt der Aggression und Demütigung empfindet. Ich lehne mich sicher nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass jede Frau nach einem Korb schon diesem Verhalten begegnet ist. Mehr als 3000 Jahre nach Kassandra (sie soll zur Zeit des Trojanischen Krieges um 1300 v. Chr. gelebt haben) verhalten sich zurückgewiesene Männer also immer noch wie Götter, die sich wie beleidigte Kleinkinder verhalten. Und ich glaube, man kann diesen Umstand auch im gesellschaftlichen Maßstab denken.

Heterosexuelle Männer, also Männer, für die die Bestätigung und Anerkennung von Frauen von sehr großer Bedeutung ist, leben heute im Zeitalter der Zurückweisung. Die Verteilung von Frauen durch Väter hat über Jahrtausende hinweg dazu geführt, dass nahezu jeder Mann eine Frau abbekam. Heute aber sind Frauen vor allem in den westlichen Ländern frei, Nö zu sagen. Und das tun sie. In der Folge bleiben mehr und mehr Männer ohne Partnerin. Das Meinungsforschungsinstitut Pew Research stellte 2021 fest: Männer heute seien mit einer sehr viel höheren Wahrscheinlichkeit unverpartnert als Männer vor dreißig Jahren.

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Die Gründe, weshalb das Singleleben Männer härter trifft als Frauen, sind unterschiedlich. Zum einen leiden Frauen nicht so sehr unter dem Alleinsein, weil sie in der Regel sozialer sind und auch ohne Partner ein unterstützendes Umfeld haben. Männer dagegen haben ohne Partnerin oft keine emotionalen Bezugspersonen, wie die Kolumnistin Jean Guerrero in der Los Angeles Times schreibt. Die Schauspielerin Emma Watson hat 2019 für die größere emotionale Beziehungsunabhängigkeit der Frauen den Begriff »self-partnered« geprägt.

Und zum anderen haben Frauen in puncto Bildung, Verdienst und Perspektiven in den vergangenen 100 Jahren massiv aufgeholt und dadurch Möglichkeiten gewonnen, Erfüllung abseits einer Beziehung zu finden. Junge Männer hingegen verlieren Erfüllung, weil statusbildende Selbstverständlichkeiten wie Karriere, Wohlstand und eben Familie als maskuline Ziele heute gesamtgesellschaftlich eine geringere Bedeutung haben. Guerrero schreibt: Jungen ziehen sich nicht wegen der süchtig machenden Digital-Angebote in die Männerwelt zurück, sondern sie suchen nach einem Sinn in einer sich verändernden Welt, in der Frauen ihnen in der Schule und im Berufsleben den Rang ablaufen.

Ich würde die Gründe, weshalb Frauen insgesamt besser mit dem Singledasein zurechtkommen, noch um Sex ergänzen, denn natürlich haben auch Frauen sexuelle Bedürfnisse. Aber sie brauchen keine Beziehung, um diese zu erfüllen, die Mehrheit der Männer hingegen schon. Einige besonders attraktive, erfolgreiche, charismatische Männer mögen sich ungebunden durch alle Betten vögeln können, aber für weniger begünstigte Exemplare ist das die Ausnahme. Sie bekommen nur durch eine feste Beziehung kontinuierlichen Zugang zu Sex.

Viele Männer fühlen sich durch die Zurückweisung gedemütigt und entwickeln Rachegedanken

Der Feminismus hat also – zu Recht und überfälligerweise – dazu geführt, dass Männer nach und nach alles verloren haben, was ihnen bis dato Bestätigung gegeben hatte. Der Feminismus hat – zu Recht und überfälligerweise – viele egostabilisierende Männlichkeitschiffren zurückgewiesen. Emotional und wirtschaftlich unabhängige Frauen haben dem seit Jahrtausenden propagierten Kern männlicher Identität einen Korb gegeben.

Und viele Männer reagieren darauf wie Apollon: Sie fühlen sich durch die Zurückweisung gedemütigt und entwickeln Rachegedanken. Der zunehmende Frauenhass lässt sich im Internet seit Jahren beobachten, ebenso das sehr aggressive Element darin. So aggressiv agiert nur jemand, der sich tief in sich drin verletzt und bedroht fühlt. Der subjektiv leidet und nie gelernt hat, dieses Gefühl zivilisiert aufzuarbeiten.

Die US-Wahl hat ihnen eine perfekte Möglichkeit geboten, sich zu rächen. Dem verdammten Feminismus und den sie erschreckenden Frauen endlich etwas entgegenzusetzen. Das würde kaum ein Mann so zugeben, aber zum Glück haben Menschen ja die Fähigkeit, Gefühle zu rationalisieren und durch »Vernunft« zu kaschieren. Und deshalb sagen sie nicht, dass sie sich durch weibliche Unabhängigkeit bedroht fühlen, dass sie Angst haben, die Grundpfeiler ihres Selbstwertes zu verlieren, sondern nennen Inflation, Wirtschaft und Einwanderung als Motivation für ihre Wahl eines verurteilten Straftäters. In diesen Gründen kumuliert ebenfalls die Angst vor Verlust von Wert und Status, aber sie sind nicht ganz so entblößend für Männer. Es ist sozial anerkannter, sich um die Inflation zu sorgen, als zuzugeben, dass man befürchtet, in einer feministischen Gesellschaft allein zu bleiben.

Auch Barack Obama vermutete in seiner Rede in Pittsburgh Mitte Oktober, dass viele Sachgründe männlicher Wähler nur vorgeschoben sind. Er sagte: »Und ihr findet alle möglichen Gründe und Ausreden dafür, und das gefällt mir nicht. Denn ein Teil davon lässt mich denken – und ich spreche direkt zu den Männern – ein Teil davon lässt mich denken, dass ihr einfach nicht mit der Vorstellung zurechtkommt, eine Frau als Präsidentin zu haben, und euch andere Alternativen und Gründe dafür einfallen lasst.«

Natürlich sind steigende Lebenshaltungskosten und drohende Arbeitslosigkeit ganz reale Probleme, die vielen Menschen aller Bevölkerungsgruppen nachvollziehbare Angst machen. Aber ginge es Wahlberechtigten wirklich um diese Themen, hätten sie entlang der Fakten gewählt. Die Arbeitslosenquote lag im Dezember 2016, einen Monat bevor Trump zum ersten Mal die Amtsgeschäfte übernahm, bei 4,7 Prozent. Als er abtrat, lag sie bei 6,7 Prozent.

Und Einwanderung ist ein argumentativer Strohmann. Ungebildete Männer projizieren ihre Gekränktheit durch Frauen auf die einzige Bevölkerungsgruppe, die gesellschaftlich unter ihnen steht. Men of color, die ihnen, so will es das Schauermärchen, »die Frauen und die Arbeitsplätze wegnehmen«. Der Zusammenhang zwischen Antifeminismus und rechtem Gedankengut ist hinlänglich bekannt.

Donald Trumps wirre Reden haben immer vor allem eines ausgedrückt: die Emotionen von Männern, die Angst vor weiblicher Unabhängigkeit haben. Besonders unter jungen, männlichen Schwarzen und Latinos hat Trump zugelegt. Gruppen, die sich mit ihrer Wahl dem starken Mann anschließen wollen, auch wenn sie real nicht von seiner Politik profitieren werden. Nach einem Bericht der Non-Profit-Organisation Equimundo, die sich für soziale Gerechtigkeit durch Einbeziehung von Männern einsetzt, sind genau diese Gruppen am einsamsten und daher anfällig dafür, von Maskulinisten eingelullt zu werden. Case closed.

Die Gefühle dieser Männer sind ein unglaublich starker Antrieb. Ihre Motivation, den Kandidaten zu wählen, der Frauen auf ihren Platz verweist, der sich in ihrem Namen an den Frauen rächt, ist ungleich höher als die der Frauen, Kamala Harris zu wählen.

45 Prozent der US-Wählerinnen haben Donald Trump ihre Stimme gegeben. Einem Frauenbelästiger, der einer Partei angehört, die Frauen einen erheblichen Teil ihrer reproduktiven Selbstbestimmung und Gesundheit nimmt. Wie ist das möglich?

Eines der wichtigsten Themen der Demokratischen Partei war die Abtreibungsfrage. Jede einigermaßen gebildete und also gynäkologisch aufgeklärte Frau weiß, dass die Beendigung einer Schwangerschaft kein Wellness-Eingriff ist, sondern dass es schwerwiegende Gründe geben kann, eine Schwangerschaft zu beenden. Weil sie das Ergebnis einer Vergewaltigung durch Fremde oder Familienmitglieder ist oder weil sie gefährliche Komplikationen mit sich bringt, etwa eine ektopische Schwangerschaft oder Schwangerschaftsvergiftung nach dem Absterben des Fötus. Gebildeten Frauen, die noch nie in der Situation waren, eine Schwangerschaft beenden zu müssen, ist klar, dass die Notwendigkeit für einen solchen Eingriff sie trotzdem treffen kann. Und dass sie, wenn er ihnen mit Verweis auf das Verbot verweigert wird, in akuter Lebensgefahr schweben. Im Oktober 2023 ist eine 18-Jährige in Texas an Schwangerschaftskomplikationen gestorben, weil genau das passiert ist.

Eine Größeneinordnung: Allein in Kalifornien waren zwischen 2010 und 2019 mehr als 15.500 von knapp 930.000 festgestellten Schwangerschaften ektopisch, die Zahl steigt seit 30 Jahren, weil die Häufigkeit mit dem Alter der Schwangeren zunimmt. Ich war 39, als mich 2013 eine Eileiterschwangerschaft traf. Die sofortige medikamentöse oder chirurgische Beendigung der Schwangerschaft ist das Standardverfahren, da sonst die Gefahr massiver innerer Blutungen droht.

Vielleicht liegt der eigentliche Grund für den Wahlausgang darin, dass einem Wahlkampfteam menschliche Gefühle als Gelenkschmiere zur Verfügung standen, dem anderen aber nur die Vernunft

Für aufgeklärte Frauen ist ein Abtreibungsverbot Grund genug, jemanden nicht zu wählen. Selbst wenn sie selbst nicht darauf angewiesen sein sollten, empfinden sie reproduktive Selbstbestimmung als Indikator für die Freiheit aller Frauen. Aber weniger gebildete und ältere Frauen, und Trumps größte Wählergruppen sind zwischen 48 und 64 und Menschen ohne Collegeabschluss, mögen bei dem Wort Abtreibung immer noch das Klischee der egoistischen »Schlampe« im Kopf haben, die »herumhurt« und zwischen Meeting und Yoga schnell eine Abtreibung durchführen lässt. Hinter dem Wort Abtreibung stecken für sie Gottlosigkeit und sexuelle Verkommenheit. Und sie rücken angewidert von dem Thema ab. Abtreibung? Hat nichts mit mir zu tun.

Während Wähler und Wählerinnen, die ein liberales Abtreibungsrecht befürworten, also nicht zwingend aus persönlicher Betroffenheit oder einer anderen emotionalen Motivation dafür sind, ist die typische Trump-Wählerschaft sehr wohl aus emotionalen Gründen dagegen. Und so wundert es nicht, dass nur 69 Prozent der Menschen, die ein Abtreibungsrecht befürworten, tatsächlich demokratisch gewählt haben, aber 90 Prozent der Abtreibungsgegner republikanisch. Dass die Abschaffung von Abtreibungsmöglichkeiten nur ein erster Schritt im Feldzug zur Unterdrückung und sexuellen Entrechtung fortpflanzungsfähiger Frauen sein wird, blenden sie vor dem Hintergrund einer tatsächlichen Bedrohung durch wachsende Armut und Perspektivlosigkeit aus. Und ich fürchte, es kommt schon bald der Tag, an dem Frauen, die nicht Harris gewählt haben, die Quittung für diese Entscheidung bekommen.

Vielleicht liegt der eigentliche Grund für den Wahlausgang auch einfach darin, dass einem Wahlkampfteam menschliche Gefühle als Gelenkschmiere zur Verfügung standen, dem anderen aber nur die Vernunft. Und Gefühle, das zeigt die Geschichte, sind unendlich viel leichter zu mobilisieren als Gedanken. Menschen, die sich emotional von einem Thema angesprochen fühlen, sind bereit, ohne zu zögern loszurennen. In diesem Fall sind sie halt in die Wahllokale gerannt und haben ihr Kreuzchen bei Donald Trump gesetzt.

Kamala Harris dagegen ist das Gesicht einer Partei, die auf keine Gefühle bei einer potenziellen Wählerschaft zurückgreifen konnte. Abtreibung als Teil medizinischer Grundversorgung und der Erhalt der Demokratie, die beiden wichtigsten Anliegen für Harris-Wählende, sind Kopfthemen. Wer nicht selbst aus einer Diktatur geflohen ist oder noch nie jemanden durch eine Schwangerschaft, die nicht beendet werden konnte oder durfte, verloren hat, empfindet nicht die gleiche Betroffenheit wie jemand, der sich vom Feminismus gedemütigt oder von der »Unanständigkeit« von Frauen, die Abtreibungen brauchen, abgestoßen fühlt. Der Wunsch nach Rache trifft da auf Politikwissenschaft (abgehobenes Oberschichtenthema!), Ekel auf feministisches Bewusstsein (abgehobenes Oberschichtenthema!). Das ist nicht das Gleiche.

Dass Demokraten sich auf »vernünftigen« Wahlkampf beschränken, ist natürlich richtig und Teil ihres eigenen Anstands. Sie weigern sich, in den populistischen Niederungen eines Donald Trump nach Stimmen zu fischen. Sie sind eben keine manipulativen Seelenfänger, sondern versuchen, Menschen mit Argumenten und Aufklärung zu überzeugen. Das ist alles richtig. Aber es ist auch die Tragik westlicher Demokratien: Demokratische Parteien halten sich an Regeln, faschistische nicht.

Alles, was die Demokratische Partei hatte, war die Möglichkeit, schlimme Ereignisse in der Zukunft zu sehen und andere davor zu warnen. Dass Frauen sterben könnten, dass alles noch schlimmer kommt, dass Trump eine Diktatur installieren und freie Wahlen abschaffen wird, wenn er noch einmal an die Macht kommt. Stichwort Project 2025. Aber man hat die Warnungen nicht gefühlt und ihnen nicht geglaubt.

Und deshalb ist Donald Trump jetzt der alte und neue Präsident und nicht Kassandra Harris. Verzeihung. Kamala.