Toskana

Beim ersten Mal machte eine böse Gräfin dem Au-pair-Mädchen das Leben schwer. Beim zweiten Mal war es wie im Märchen: Das Schloss hatte sich in ein traumhaftes Hotel verwandelt.

Süße Stille. Die Gäste senken beim Sprechen ihre Stimme. Das Lauteste weit und breit: ein Brunnen, der dezent im Park plätschert. Bis die Marchesa im Seat durchs Tor peitscht. Kies fliegt, Türen knallen. Ihr Auto ist voll gestopft. Das sehe ich vom Fenster aus, zweiter Stock, Zimmer Napoleone. Die Marchesa kommt vom Einkaufen. Ein Butler im schwarz-grünen Jackett eilt über den Hof. Die Marchesa gestikuliert und redet. Der Butler nickt. Schleppt. Mein Herz hüpft vor Freude – dass ich nicht der Butler bin. Ich wende mich dem Obstkorb auf dem Biedermeiertisch zu, zerlege mit glänzend polierter Klinge eine Feige, stecke meinem Liebsten, der vom Sofa aus die Börsenkurse auf dem Flachbildschirm verfolgt, ein Viertel in den Mund, gieße Champagner nach, in Gläser mit ziseliertem Schriftzug »Relais La Suvera«. In der Ferne der Butler: »Sì, signora, va bene, sì, signora, sì, sì.«

La Suvera ist der Sommersitz des Grafen Ricci, eine Mischung aus Schloss und Festung, gebaut im 11. Jahrhundert, zum Feriensitz um-gebaut im 16. Jahrhundert von Papst Julius, im Volksmund »Der Blutrünstige«, zwischen Siena und San Gimignano gelegen, trutzig auf einer Anhöhe, mit Blick in die Hügellandschaft der Toscana. Zur Familie Ricci gehören der Marchese, 72, seine Frau Eleonora, 61 (die Marchesa, geborene Principessa Massimo), und Elena, die Tochter, heute 32 Jahre alt. Mutter und Tochter sind mit beinahe allen europäischen Königshäusern verwandt. Die Familie des Marchese ist weniger wichtig – aber immerhin hat in seinem Palazzo Ricci einst Napoleons Onkel gelebt und die Möbel hinterlassen, in denen ich und mein Freund jetzt sitzen. Ich zum zweiten Mal. Vor 25 Jahren war ich das Aupairmädchen der Familie Ricci, Hauptsitz Rom. Da war Elena sieben Jahre alt, ich 19 und lebenshungrig.

Elena war ein verwöhntes Einzelkind, aber charakterstark und immer solidarisch mit ihren ragazze au pair. Einmal fuhren wir in Roms Innenstadt mit Fahrrädern herum und sie wäre fast unter einen Lastwagen geraten; verraten hat sie ihren Eltern nichts. Die hätten mich wahrscheinlich sofort rausgeworfen. Elena war meine große Liebe damals. Den Marchese sah ich kaum. Nur die Marchesa hinderte mich an einem angenehmen Leben. Sie störte mich beim Telefonieren mit meinen römischen Ragazzi, wollte, dass ich Staub wische und mit Elena Mathe lerne. Besonders im Urlaub stand ich unter ihrer ständigen Kontrolle. Auf La Suvera traf sich im Sommer die ganze Verwandtschaft. Während alle in ihren Liegestühlen lagen und das süße Leben genossen, musste ich immer auf einen gellenden Schrei gefasst sein: »Ninaaaaaa, che fai???« Ich hasste La Suvera damals.

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Zum Mittagessen gibt es heute: knusprige Blätterteigsäckchen gefüllt mit Williamsbirne und frischem Schafskäse aus Pienza mit einem Kastanienhonig-Sößchen. Anschließend: Lammkarree mit Kräuterkruste, süßen Feigen und Knoblauchsoße. Dazu den Schlosswein aus Trauben vom eigenen Weinberg. Zum Abschluss ein Espresso im Tässchen mit verschnörkeltem Deckel, damit der Kaffee auf dem Weg von der Küche nicht kalt wird. Vor 15 Jahren hat die Familie ihren Unsummen verschlingenden Ferienort zum Fünf-Sterne-Domizil umgebaut – und das Haus kommt an: Die Buchungen haben sich bei 50 Prozent eingependelt, was bei Preisen zwischen 385 und 1200 Euro ein guter Schnitt ist. Ein Edelrestaurant gehört dazu, 55 Angestellte sind im Einsatz, Parks im Stil der Renaissance, Teiche mit Springbrunnen. 32 Luxuszimmer und Suiten, die Marchese Giuseppe, der Antiquitätenliebhaber, mit Möbeln und Gemälden aus dem verzweigten Familienbesitz ausstaffiert. Ein Dorado für all jene, die sich überschwänglich freuen, wenn in der Kapelle das »Ave Maria« ertönt und alle Lichter anspringen, sobald sie die Schwelle übertreten. Sogar Papst Benedikt grüßt aus einem goldenen Rahmen im Flur: Der war zu Kardinalszeiten viermal zu Gast, schlief in weiser Voraussicht damals schon in der Suite del Papa und sandte einen Brief, in dem er sich bei den Riccis für »Ihre liebliche Gastfreundschaft, Ihre Diskretion, Ihre Anmut« bedankt und versichert: »Heute weiß ich, dass ich bei Ihnen immer einen sicheren Rückzugsort habe!« Als Joseph Ratzinger Papst wurde, soll die Belegschaft in La Suvera gejubelt haben, als hätte Italien die Fußball-WM gewonnen.

Inzwischen ist meine eigene Tochter 19. Au- pair ist so ziemlich das Letzte, was für sie in Frage kommt. Aber in all den Jahren erinnerte mich meine Tochter immer wieder an Elena. Ich fragte mich, was wohl aus dem klugen Mädchen mit den runden braunen Augen geworden war. Als ich erfuhr, wann sie nach La Suvera kommen würde, mietete ich mich im Zimmer Napoleone ein. Jetzt steht Elena vor mir, eine große, schöne Frau, die Haare hat sie zum Pferdeschwanz zusammengebunden und ähnelt ein bisschen ihrer Mutter, wie sie damals aussah. Ich erkenne Elena sofort. Sie weiß, wer ich bin, aber sie erkennt mich nicht wieder, kann sich auch an die Geschichte mit dem Lastwagen nicht mehr erinnern. Wir schauen uns alte Fotos an, die ich mitgebracht habe. Sie lacht. Ah ja, La Suvera – kein Swimmingpool damals! Zehn Aupairmädchen haben Elenas Kindheit begleitet, die meisten waren nett, sagt sie, die meisten Namen hat sie vergessen. Elena hat kaum Zeit, sie muss am Abend zurück nach Rom. Sie ist Malerin und bereitet eine Ausstellung vor. So schnell wie möglich will sie so viel wie möglich wissen: Alles über ihre Eltern, über sich selbst, früher. Sie sieht stolz aus, als ich ihr erzähle, dass ich nach meinem Jahr in Rom beschlossen habe, eines Tages unbedingt eine Tochter haben zu wollen – möglichst eine, die so ist wie die kleine Elena Ricci. Dann muss sie los, sie ruft: »Vergiss nicht: Du bist immer ein willkommener Gast in La Suvera!«

Gast, nicht Personal. Das ist der Schlüssel zum Glück: Wenn man einen Cappuccino bestellt, wird ein Teller voller frischer Mandelkekse mitgeliefert. Auf dem Weg zum Jacuzzi, der in einer Grotte liegt und von einer steinernen Venus bewacht wird, duften die Zitronenbäume, Lavendel und Rosmarin. Zurück im Zimmer, nach Dampfbad und einer Orangenöl-Aromamassage, ist der Baldachin über der Badewanne zurechtgezogen, der Obstkorb wieder aufgefüllt – und während mir entspannt die Augen zufallen, erhebt sich in der Ferne die Stimme der Marchesa. Vielleicht braucht sie Hilfe beim Einparken. Vielleicht schimpft sie mit dem Zimmermädchen. Vielleicht ruft sie auch nur ihre zwanzig dicken Katzen zum Abendessen. Ich freue mich. Was für eine lustige Kulisse so eine italienische Principessa doch sein kann, wenn ihre Wünsche einen rein gar nichts angehen.

ANREISE Von Florenz über die A1 Richtung Rom, Ausfahrt Firenze Certosa, weiter Richtung Siena auf der Superstrada, Ausfahrt Colle Val d’ Elsa Sud, in Richtung Grosseto, nach 15 km links nach Pievescola, dort dem Hinweis La Suvera folgen.

HOTEL Relais La Suvera, 53030 Pievescola, DZ ab 385 Euro inklusive Frühstück Tel.0039/0577/96 03 00, www.lasuvera.it

UNTERNEHMUNGEN Die interessantesten Orte der Toskana liegen alle höchstens 60 km entfernt: Siena, San Gimignano, das Chiantital, Florenz.