Cape-Agulhas-Leuchtturm, Südafrika

Vor der Turmtür treffen sich zwei Ozeane.

Von Süden her weht eine milde Brise. Wie handkoloriert färbt sich das Meer türkis (Küste) bis tintenblau (Horizont). Der Himmel ist wolkenfrei, wie sich das gehört im Sommer Südafrikas, ein Tag Ende Januar, 31 Grad im Schatten. Geografische Position: 34° 49' 08" südliche Breite, 20° 00' 33" Länge. Ein historienbeladener Ort. Denn dies ist Afrikas südliches Ende, hier steht – exakt vermessen – der Leuchtturm von Cape Agulhas.

Ein lustiges Zwitterwesen haben sie da gebaut, Mitte des 19. Jahrhunderts. Von der Seeseite sieht man eine Trutzburg aus hellem Sandstein, der in der Sonne leuchtet, an beiden Seiten ein wehrhafter Turm (um die Mittagszeit wirft der Leuchtturm einen kleinen Schatten nach Süden; so läuft die Sonne hier unten, das irritierte schon Herodot an den Berichten der Phönizier). Von der Landseite zeigt sich ein Cottage mit acht Fenstern und einer Tür. Colonel Michell, der Bauinspektor, wollte das seinerzeit so.

Er muss für den ägyptischen Leuchtturm von Alexandria geschwärmt haben, eines der sieben Weltwunder der Antike; die Frontseite ist durch Friese und Proportion jenem monumentalen Bau (wohl um die 150 Meter hoch) nachempfunden, auch wenn es am Südzipfel des Kontinents nur zur Bonsai-Version gereicht hat (27 Meter). Das Baujahr ist eingehämmert: A.D. – MDCCCXLVIII (Kenner des römischen Zahlensystems sehen sofort: ah, 1848). Der Leuchtturm steht auf einer Düne, etwa einhundert Meter fällt Buschland sanft zum Meer. Den Küstenstreifen säumen Riffzacken, die sich wie krumm gewachsene Zähne dem Land hinbeugen. Darauf zu sitzen gefällt der Kap-Möwe wie auch dem Afrikanischen Austernfischer, einem ölpestschwarzen Vogel mit rotem Schnabel. »Agulha« bedeutet »Nadel« im Portugiesischen, gut möglich, dass die frühen Seefahrer dies Kap nach seinen merkwürdigen Felsformationen benannten.

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Innen im Leuchtturm duftet es von rechts nach frisch gebackenen Scones und Muffins. In der Caféstube hängt allerlei maritimer Nippes, im Eck steht ein gusseiserner Bollerofen, doch derzeit kämpft ein betagter Ventilator gegen die schwere Hitze. An der Wand ein Panoramafoto von 1930, darauf ein gutes Dutzend Häuschen; ein Blick aus dem Fenster zeigt, wie mächtig die Gemeinde nach Osten hin gewachsen ist. Die linke Hälfte des Leuchtturms ist zu einem Museum umgewidmet worden, seit hier kein Wächter mehr Dienst tut. An der Kasse sitzt Miss Jeannette Grobbelaar, eine ältere Dame, sie gähnt löwenartig.

Doch jede Frage nach dem Turm belebt sie wie eine Partydroge; irgendwann steht sie auf und zieht einen zu den Exponaten, da gibt es Lampen, Leuchtröhren, Spiegel, Nebelhörner, Flüstertüten, Landkarten, Linsen, rund und oval, konkav und konvex (wer hat den erbspüreegrünen Staubsauger Electrolux B99 dazwischengestellt?). Miss Grobbelaar blättert in Fotos von Leuchttürmen in aller Welt: der größte, der leuchtstärkste, der sturmumtosteste, die Bretagne, China, Travemünde, Leuchttürme weit draußen im Meer, auf Felsnasen, an Mündungen, rot-weiß-rote Warnungen an Seeleute rund um den Globus, und keiner ist wie der andere, Solitäre allesamt, jubelt Miss Grobbelaar, ist das nicht faszinierend?

Dann im Sand sitzen und aufs Meer glotzen: Nach einer Weile entfachen das Rauschen und die Kraft der Sonne eine leicht halluzinogene Wirkung. Mit ein paar Fläschchen Windhoek Lager aus dem Leuchtturm-Café (0,34 Liter zu 95 Cent) lassen sich die Fantasien prima steigern. Also dieser Bartolomeu Dias, sagt irgendwann der Hobbyhistoriker in einem, Hut ab!

Segelt mit einer Nussschale 1488 als Erster hier herum, mehr Skorbut als genaue Landkarten an Bord. Bis Indien ist er nicht gekommen, wie sein portugiesischer König gehofft hatte, aber ein Stück über Cape Agulhas hinaus schon (in Mossel Bay gibt es ein Dias-Museum, mit einem Nachbau seiner Karavelle). Wie weit ist so ein Leuchtfeuer eigentlich zu sehen?, rätselt der schwache Mathe-Schüler in einem. Die Erdkrümmung! Im Agulhas-Prospekt steht 30 Seemeilen, Miss Grobbelaar spricht von 35, aber nur bei Springflut. Sei’s drum.

Es ist doch, murrt wiederum die SPD-Frauenbeauftragte, typisch, so ein Leuchtturm sei nichts als ein phallisches Symbol, man könne ihm doch, gerade in einem Land mit schrecklicher HIV-Rate, ein gigantisches Kondom überziehen – quasi Aufklärung und Kunstobjekt in einem.
Es umwehen einen Momente der Melancholie. Endlos, das alles. Der Mensch: ein Staubkorn. Linker Hand der Indische Ozean, rechter Hand der Atlantische Ozean, an dieser Scheidelinie prallen Wassermassen aufeinander, vermischen sich.

Wer hier ins Meer gleitet und losschwimmt nach Süden, der findet nichts auf 1000, 2000, 4000 Kilometern, nur die Antarktis, ob dort ein Pinguin wartet? Mehr als 2000 Schiffe sind an den Küsten Südafrikas havariert und gesunken, irgend-wo da draußen, gleich vor Cape Agulhas, hat es auch Bartolomeu Dias erwischt (am 29. Mai 1500). Dort liegen seine bleichen Gebeine; laut Seekarte der South African Navy ist das Meer zwölf Meilen vom Ufer schon gut 100 Meter tief.Gegen Abend, während sich die Hitze ein wenig abkühlt, mischt sich ein Wispern in den Wind aus Südost. Eine menschliche Stimme, leise, mit weichen Zischlauten. Man nimmt noch einen Schluck Windhoek Lager und ruft: »Bartolomeu, du?«

Übernachten »Whalesong Lodge«, 83 Cliff Street, De Kelders, Gansbaai 7220, Tel. 0027/28/ 3841865, www.whalesonglodge.co.za.
Essen Im Leuchtturm von Cape Agulhas kochen und backen die Frauen des Ortes.
Unbedingt nahe dem Leuchtturm einen Spaziergang am Strand von Struisbaai machen, dem längsten weißen Sandstrand der südlichen Hemisphäre.
Anreise Zweieinhalb Stunden mit dem Mietwagen von Kapstadt (und dabei das neue Album der südafrikanischen Band Freshlyground hören, »Ma’Cheri«).

Cape-Florida-Leuchtturm, USA: Sturmerprobt und kriegsversehrt
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