"Scheiße, was habe ich gemacht?"

Wenn Jugendliche brutal werden, stehen wir vor Rätseln: Was geht in den Gewalttätern vor? Was treibt sie an? Wie denken sie über sich selbst? Vier Berliner erzählen, warum sie zugeschlagen haben.

Ich frage mich, warum mich Kleinigkeiten zu so einer Explosion bringen. Ich will, dass das weggeht.

Marc, 23, lebte jahrelang auf der Straße.
Diebstahl, Raub und Schlägereien brachten ihm mehrere Haftstrafen ein.

»Vor meinem Vater hatte ich Angst. Wenn der von der Arbeit kam, habe ich mich immer versteckt, immer. Ich wurde oft geschlagen. Auch meine große und meine kleine Schwester. Wenn ich geschlagen wurde, bin ich abgehauen von zu Hause, dann bekamen meine Eltern Stress mit der Polizei, dann wurde ich wieder geschlagen. Meine Mutter hat auch viel Scheiße gebaut. Als ich in Haft war, hat sie auf meinen Namen Sachen bestellt. Nach meiner Entlassung wollte ich eine Bankkarte beantragen, und da seh ich, meine Schufa ist voll: 6000 Euro Schulden – durch meine Mutter. Was ist denn das für eine Familie?

Meistgelesen diese Woche:

Mit elf bin ich abgehauen. Gesucht hat mich keiner. Als ich auf der Straße war, brauchte ich keine Angst mehr zu haben. Ich kam mir wie ein eigener Mensch vor. Im Knast war ich wegen Körperverletzung. Auch wegen Diebstahl, Einbruch, Raub. Ich hab geklaut, seit ich elf war. Ich konnte ja nichts anderes. Ich fühle mich schnell angegriffen. Wenn ich merke, da tuscheln welche, denke ich sofort: Die tuscheln über mich. Da reicht manchmal schon ein dummer Blick. Und wenn ich sehe, die lachen über mich, dann werde ich aggressiv. Dann fängt es im Bauch an zu brodeln. Mir wird warm, ich fange an zu schwitzen. Da ist so eine Wut!

Im Nachhinein denke ich: Scheiße, was habe ich gemacht? Ich frage mich, warum mich Kleinigkeiten zu so einer Explosion bringen. Ich will, dass das weggeht. Ich mag das nicht an mir. Meine Freundin kriegt das auch alles ab. Ich muss es sauber und geordnet haben. Ich brauche so eine Ordnung in meinem Leben. Oder zumindest im Haushalt. Und wenn dann was schmutzig ist, dreh ich durch. Wegen so einer Kleinigkeit. Ich schreie sie dann an. Sie sagt, das macht ihr Angst. Und ich krieg Angst, dass ich was Falsches mache, was ich gar nicht will. Ich würde gern Koch werden. Beim Kochen hab ich meine Ruhe und kann mir was ausdenken. Ich fühle mich gesmoothed. Ich leg die Sachen immer so in eine Reihenfolge und überlege: Ich habe eine Tomate, ein Ei, eine Wurst – was mache ich daraus?

Ich habe mal ein Praktikum gemacht in einem Steakhouse. Ich hätte auch eine Festanstellung kriegen können, aber dann ist mal wieder meine Wut mit mir durchgegangen. Die haben mich vier Wochen lang jeden Tag acht Stunden lang abwaschen lassen. Mir kam das zu lang vor. Ich dachte: Ich wasche zwei Wochen ab, ich schneide zwei Wochen Zwiebeln, und dann zeigt mir mal einer, wie man ein Steak brät. Irgendwann wurde mir das zu viel, und ich habe gesagt: Ich mache euren Scheiß nicht mehr.

Ich hätte nicht immer so schnell aufgeben sollen. Das habe ich schon kapiert mittlerweile. Ich war noch nie so weit wie jetzt. Ich hab jetzt meinen erweiterten Hauptschulabschluss geschafft. Und dann strebe ich meinen Realschulabschluss an. Mein Anti-Aggressions-Trainer hat mir geholfen. Das war der erste Mensch in meinem Leben, der mir zugehört hat. Und der mir guten Rat gegeben hat. Kinder, die keine Eltern haben, die brauchen so Menschen, die ihnen sagen: Da musst du langgehen! Wenn ich mal Kinder hätte, sollen die niemals Angst vor mir haben müssen.«

(Auf der nächsten Seite lesen Sie die Geschichte von Jaqueline, die mehrmals wegen Körperverletzung im Gefängnis saß und ihre Aggression heute im Griff hat.)

„Wenn ich die Wut rausgelassen habe, habe ich mich danach besser gefühlt. Erleichtert.“

Jacqueline, 23, saß wegen Körperverletzung mehrmals im Gefängnis. Heute hofft sie, einen Ausbildungsplatz als Friseurin zu bekommen.

»Wenn die Wut hochkommt, dann ist das vom kleinen Zeh bis in die Haarspitzen ein Zittern. Mein Kopf wird heiß und mein Körper kalt. Mein Herz schlägt im Sekundentakt, das kann man an der Halsschlagader sehen. Und dann ist das wie ein Feuer, das in mir brennt und die Kontrolle über mich übernommen hat. Als hätte man das Licht von meinem Gehirn ausgeschaltet. Ich denke nicht mehr: Wer ist die Person vor mir? Was fühlt die? Da ist kein sinnvolles Denken mehr.

Meine Aggressionen hatte ich von klein auf. Meine Mutter ist abgehauen, als ich ein halbes Jahr war. Mein Vater hatte nie Zeit für mich. Ich habe in einem Dorf gelebt. Ich war früher sehr dick. Ich wurde nie angenommen. Wenn man in der Schule nur angespuckt und gehänselt wird, dann kommt das. Ich habe diese Aggressionen immer auf andere Leute abgeschoben. Bin raus, zur Bushaltestelle, hab mir kleine Kinder geschnappt, hab denen die Fahrkarte zerrissen und auf die eingeschlagen. Genauso hat es meine Oma getroffen, meinen Vater, eigentlich alle. Heute schäme ich mich dafür.

Eigentlich war ich übelst intelligent, in der Schule hatte ich bis zur Sechsten nur Einsen. Ich war dick, auf dem Dorf, ohne Mutter und dann noch Streber – da kommst du überhaupt nicht mehr klar. Ich habe meine Intelligenz in die falschen Dinge gesteckt. Ich hätte einen Realschulabschluss haben können, jetzt hab ich nicht mal den Hauptschulabschluss. Aggressionen bringen dich dazu, dass du dir dein Leben verhaust. Im Heim hab ich die Mitbewohner geschlagen. Ich hatte, nachdem ich auf Gegenstände eingeschlagen hatte, einen Gipsarm, und mit dem habe ich einem Mädchen das Nasenbein kaputt gehauen. Du konntest mit der Gewalt angeben, und jeder hat dich in Ruhe gelassen.

Mein Vater hat mich mit 15 aus dem Heim geholt. Dann bin ich abgehauen und war drei Jahre auf der Straße. Das hat mir gefallen. Ich war frei. Ich habe niemanden an mich rangelassen. Außer Drogen, und Geld musste ich ja auch verdienen. Man lernt auf der Straße auch, dass Hände mehr zu sagen haben als Worte. Wenn ich die Wut rausgelassen habe, habe ich mich danach besser gefühlt. Erleichtert. Klingt komisch, aber es war, als hätte man mir Last weggenommen.

Irgendwann stand ich wegen schwerer Körperverletzung vor Gericht und hab gesehen, was man jemandem antun kann, wenn man unkontrolliert ist, weil man Blut sieht. Das war eine aus dem Knast. Der habe ich den Finger gebrochen und die Hand kaputt geschlagen. Sah nicht lecker aus. Da kam nicht unbedingt Mitleid, aber Zweifel – und Angst vor mir selbst: Was passiert das nächste Mal? Ein Menschenleben ist eigentlich was Kostbares, und es kann so schnell vorbei sein – da muss nur so ein doofer Idiot kommen wie ich, der auf einen einschlägt. Aber ich habe jetzt einen Trick, wie ich runterkomme: Wenn ich merke, ich pushe mich auf – dann hole ich schnell meinen MP3-Player aus der Tasche. Ich steck die Stöpsel ins Ohr. Dann kann ich das Blödgelabere um mich rum nicht mehr hören. Kennen Sie Vanessa Mae? Der Hammer! Die berührt mich innerlich, im Herzen. Wenn ich die höre, mit ihrer Elektrogeige und am besten noch mit ihrer Stimme dabei – das macht mich dann so … easy.«

(Wie aus Gewalt Musik entstehen kann, erzählt Bonek auf der nächsten Seite.)

"Als der Mann in München gestorben ist, haben sie alle darüber geschrieben. Bei uns passiert das dauernd - und keiner schreibt was."

Bonek, 23, hat sein Leben zwischen Gewalt, Drogen und Gefängnis auf vier Rap-CDs beschrieben.

»Die Narbe im Gesicht ist von der Straße. Ich hatte Streit mit mehreren Leuten, wir kamen von ’ner Party. Ich bin auf einen rauf, hab ihn bearbeitet. Ich hatte immer Schlägereien auf der Straße. Es gibt so Hollywood-Leute, die meinen, sie müssten sich nur am Wochenende schlagen, wenn sie was getrunken haben. Das ist ja nicht das Wahre – bei mir gab’s immer Schlägereien! Aber nur, wenn es sein muss. Ich hab mich nur mit Leuten geprügelt, die genauso ’ne Einstellung und Lebensart hatten wie wir. Von meinem 15. bis zu meinem 19. Lebensjahr war das häufig. Wenn einer versucht, mich blickzuficken – so nennen wir das. Da macht man Augenkontakt, einer versucht, böse zu gucken, und du sagst: Hey, was guckst du? Warum willst du mich blickficken? Und wumm, geht’s los.

Mein Block in Staaken ist verseucht mit Drogen. Da gibt’s auch Tilidin. Das ist ein Schmerzmittel für Krebskranke, das macht schmerzunempfindlich und gleichzeitig aggressiv. Wenn man das einmal am Wochenende nimmt, spielt der Kopf verrückt. Wenn man’s öfter nimmt, spürt man’s gar nicht mehr. Jetzt leg ich nicht mehr so viel Wert auf Schlägereien. So ’ne Kinderkacke eigentlich. Wegen so was sterben Leute. Als der Mann in München gestorben ist, haben sie alle darüber geschrieben. Bei uns passiert das dauernd, und keiner schreibt drüber. Zwei von meinen Freunden wurden abgestochen, einer wurde erschossen. Keinen hat das interessiert.

Mir kam es so vor, dass es meine Eltern nicht interessiert hat, wie lang und wo ich verkehre. Ich war bis elf abends draußen, und mein Name wurde nie gerufen. So habe ich eine Beziehung zur Straße aufgebaut. Meine vier Geschwister nicht so. Meine Mutter hatte einen Freund, der hatte nicht gerade gute charakterliche Eigenschaften. Wenn mir ein Gurkenglas runtergefallen ist, hab ich Schläge bekommen, oder wenn im Zimmer eine Socke rumlag. Schläge mit Latschen oder dem Stock, regelmäßig. Meine Freunde auf der Straße waren meine zweite Familie. Wenn man in einem Block lebt, wo es viel Gewalt gibt, Messer und Schlägereien, dann ist das normal.

Einmal geh ich so die Straße runter, ruft ein kleiner Junge an der Hand von seiner Mutter: ›Hey, Bonek, fick die Polizei!‹ Oh Mann! Das ist ein Rap von mir, hab ja jetzt schon vier Alben gemacht. Das war mir in dem Moment so peinlich! Die Mutter kuckt mich an, und der Vater, so ein ›Ich geb dir gleich ne
Schelle‹-Muselmane, starrt seinen Sohn an. So ein kleiner Junge! Seither weiß ich, dass ich drauf achten muss, was ich sage. Ich bin ein Vorbild für die.

Ich hasse das, wenn die Politiker sagen, dass es kein Getto gibt. Natürlich gibt es ein Getto: Wir leben da! Dann sagen die Leute: Du kannst doch weg von der Straße. Kann ich nach Mitte ziehen, wo die Mieten dreimal so teuer sind? Die haben uns alle in die Gettos getan, wo sie uns Hartz-IV-Wohnungen geben, und da leben dann nur Alkoholiker und Kriminelle. Das ist doch abgekartet! Wir haben diese Kultur im Kopf, dieses: Man muss hart sein und so. Wenn ich wo aufgewachsen wäre, wo man sich über nichts beklagen kann, als dass ein Eichhörnchen dein Nutella-Glas vom Gartentisch klaut … Aber ich hab nur den Arsch von Deutschland gesehen.«

("Wenn ich ein Messer in der Tasche habe, steche ich zu". Sprachlos macht die Geschichte von Thorsten, die Sie auf der nächsten Seite lesen können.)

Thorsten, 20, wurde wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt und sitzt jetzt in der Haftanstalt Berlin-Tegel.

»Kampftraining brauch ich nicht. Ich bin im Kopf kaputt, das reicht mir. Ich werde eine Kampfmaschine, wenn ich ausraste. Waffen trag ich nicht, weil ich weiß: Wenn ich ein Messer in der Tasche habe, steche ich zu. Das ist mein Problem, ich hab da keine Hemmungen. Wenn ich weiß, es geht um meine Freundin oder um meinen Arsch - dann würde ich auch jemanden umlegen.

Wenn man in einer Gang ist und wenn man Geschäfte macht, gehört Gewalt immer dazu. Da geht’s um Mädchen, da geht’s um Drogen, da geht’s um Graffiti. Man hat seine Hood-Schlampen, Mädchen, die für ein bisschen Koks mit jedem ficken. Aber wenn jetzt irgendwelche Typen von einer anderen Gang dein Mädchen ficken oder deine Gang-Schlampe, gibt es auch Beef. Oder man hat Ärger beim Geschäft. Wenn einer nicht die Kohle hat zum Bezahlen. Hat Koks gekauft oder Pillen und zahlt nicht. Dann muss der Stress kriegen.

Es dauert eigentlich schon, bis man jemanden umbringt. Aber manchmal geht ein Kampf so schnell los, so schnell kann man gar nicht gucken. Wenn ich blute, ist es sowieso vorbei bei mir. So was hat mich auch in den Knast gebracht. Da waren wir mit der Gang unterwegs. Wir haben Party gemacht, ordentlich gekokst und gesoffen. Ich wollte nach Hause, war ganz schön besoffen, und ich habe mich mit meiner Ex gestritten. Ich laufe über die Straße und werde von einem Auto angefahren. Wir Richtung Krankenhaus, durch eine U-Bahn-Unterführung.

Dann war da so ein Pole, freier Oberkörper, überall Knast-Tattoos, so ein richtiger Ochse, und der ruft: Fighten! Fighten! Ich denke: Das kann was werden! Ich sag zu dem, er soll weggehen. Er sagt: Gib mir Zigarette, Schlampe. Da ging’s los. Ich habe im Rucksack so eine Nussratsche, zum Schraubenlockern von Fahrrädern. Ich nehme den in den Schwitzkasten und fange an, mit der Stange auf seinen Kopf einzuschlagen. Die ganze rechte Hälfte vom Gesicht habe ich kaputt geschlagen. Lippenriss, Nase - weiß nicht, wie oft gebrochen, von dem war nicht mehr viel zu sehen. Ich lass die Stange fallen und kuck an mir runter, alles voller Blut. Da bekomme ich wieder einen Rausch. Ich immer auf dem seinen Kopf draufgesprungen. Reingetreten wie ein Bekloppter. Denken tut man in dem Moment gar nichts. Einfach nur: Mach ihn kaputt!

Mir war bewusst, dass ich den töte. Na denn noch mal richtig. Wenn schon. Und bumm, noch mal rein. Ich habe es immer wieder versucht wie ein behinderter Neandertaler, ein Berserker, ein übermächtiger Kämpfer. Die Mädchen haben versucht, mich zurückzuhalten. Aber das haben sie nicht geschafft, weil ich im Blutrausch war. Der Blutrausch ist nicht wie ein Drogenrausch. Das kann man nicht vergleichen. Das ist geiler als Adrenalin. Man kann das nicht beschreiben. Das ist irgendwie ein Glücksgefühl.«

Fotos: Jan Friese