100 Fragen an... Luciano Pavarotti

Audienz bei ihm, Big P., Heldentenor, Jahrhundertstimme - das Größte, Dickste, Breiteste, was die Welt der Oper zu bieten hat. Uff! Uff! Noch mal tief Luft holen. Man hat ja sofort Langweil-, auch Ablehnungsreflexe, weil zu oft vom Größten, Schönsten, Heiligsten die Rede ist. Wäre es eventuell auch denkbar, ihn einfach einen tollen Tenor zu finden? Nein. Dazu ist er jahrzehntelang zu sehr geliebt und gefeiert, beklatscht, betrampelt, zugebrüllt worden mit Begeisterung. Bravo! Bra-ha!-vo! So ist das mit Tenören. Pavarotti war, das sollte man wissen, immer der leichte, lyrische Tenor; ihm lagen Bellini, Rossini, Puccini, der frühe Verdi (am Othello musste er daher scheitern). Nun wird der Tenor fertig gemacht, weil er schon wieder - eine Stunde vor Anpfiff - ein Konzert an der New Yorker Met abgesagt hat: Böse Worte: "Fat Man Can't Sing" (N.Y. Post); "Das höllische Ende einer wunderbaren Karriere" (Joseph Volpe, Direktor der Met). Böses Blut; Rücktritts-gedanken. Mitten in diese Dramen, die großen und mittleren, kommt die Nachricht, man möge sich in Pesaro, Pavarottis Ferienhaus an der Adria, einfinden, dem Tenor sei nun nach Plaudern: Big time!

Man steht also auf einer Terrakottafliesenterrasse zwischen Tischfußball, Kühltruhe und Plastikkonferenztischen. Blicke gehen auf Siebziger-Jahre-Hotelburgen. Schau an: null Charme, Lieblichkeit, Pittoreske. Der König des Belcanto wohnt, als gäbe es in Italien keine schönen Häuser. Da lungern dunkle Typen mit Bierbüchsen herum, grinsen, kratzen sich am Hals. Sie sind die Sorte Kleinganoven, die den späten, paranoiden Elvis in Graceland vor Eindringlingen abschirmten (diese Jungs, die Pesaro-Mafia, erfährt man, haben mit dem jungen Pavarotti in einer Fußballmannschaft gekickt). Da - hinter den dunklen Scheiben muss er sitzen! Was denn? Sagt der King jetzt doch in letzter Minute ab? Moment, er kann das - er hat das wichtigste Opernhaus der Welt sitzen lassen! Er muss erschöpft, völlig fertig, gejetlaged vom Startenor-Jetset sein. Vor nicht mal zwanzig Stunden ist er noch mit den zwei anderen Tenören, Domingo und Carreras, in einem Stadion in Yokohama aufgetreten. Drinnen, im Halbdunkel, Hände auf dem Tisch, den Bauch gegen die Tischkante gelehnt, sitzt reglos, ganz in Echt, ganz selbstverständlich: er. Oh, Mann. Gott, ja. Immer wieder erstaunlich, dass es diese Leute - Riesengroße, Breite, Heilige - ganz wirklich gibt. Der erste Eindruck ist, dass er echt riesig ist. Der zweite: Der pennt gleich weg. Großer Kopf, schwerer Kopf, müder Kopf. Kohlrabenschwarze Augenbrauenbalken. Man muss sich Pavarottis Kopf etwa so big vorstellen wie bei einem dicken Mann den Bauch. Er trägt orangefarbenes Hemd, rote Kniestrümpfe, Sandalen. Seine nackten Knie. Kurz hat man Angst, dass der Tenor untenrum gar nichts anhat, aber - hey! - das ist jetzt egal, das wird man sehen, jetzt müssen Fragen her. Heikle Fragen nach hinten, liebe nach vorn, schnell! Wir brauchen hier jetzt sofort eine superliebe Streichelstimmung, kuschelige Atmosphäre, sonst ist Schluss. Pavarotti grinst. Geisterhafter, gezwungener Ausdruck, seine Augen gehen ins Leere. Gut möglich, dass dieses Grinsen einen Schmerz überspielt, der tief drinnen in seinem Riesenkörper sticht, man weiß es nicht, man ahnt es nur. An die Instrumente. Sein Einsatz mit dem Zeigefinger wie mit einem Taktstock, Nicken: "Please."

1 SZ-Magazin: Mr. Pavarotti, Ihr Lieblingsplatz im Schatten?
Luciano Pavarotti: Hier oben. Ich mag die Wälder.

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2 Welche Sorte Rosen blühen in Ihren Gärten am besten?

Jede Sorte Blumen! Laufen Sie doch rum, sehen Sie selbst!

3 Wann zuletzt ins Meer gehüpft?

Oft! Immer! Ich liebe Wasser!

4 Welchem Alarmsystem vertrauen Sie?
Meinen Freunden.

5 Manchmal traurig darüber, dass Sie auf Hochhäuser schauen?

Ja, das ist schade. Aber in der Hängematte sehe ich keine Häuser. Da sehe ich nur das Meer.

6 Ihr Lieblingsmotiv von Hermès?

Ich mag die Farben. Die Muster sind egal.

7 Mit welcher Melodie im Kopf sind Sie heute aufgewacht?
Melodien sind Arbeit. Singen ist Arbeit. Frühmorgens bin ich ganz entspannt.

8 Was hat Caruso erreicht, was Sie nicht erreicht haben?

Wir mögen Vergleichbares geleistet haben. Er war der Held meiner Kindheit, eine Inspiration.

Sein wunderbares Pizza-Englisch. Die Höhe, wundersame Jugendlichkeit seiner Stimme: sein Tenor. Es sind dünne Antworten, natürlich, aber bitte - noch mal der Vergleich: Es ist wie mit Elvis 1977. Toll, dass er überhaupt spricht. Man muss über jedes Fitzelchen froh sein. Ob man so weiterfragen darf? Bitte, er melde sich, wenn er sich unwohl fühle. Es bleibt alles drin, auch, dass es knallt. Man möchte nicht erleben, dass diese Stimme sich zum Wutanfall erhebt oder - irrer Einfall! - der Tenor einem mit seiner Riesenpranke eine langt. Besser wäre Einpennen . Mal einen Heldentenor geweckt? Wie geht das? Was kann man falsch machen? Tippt man dem Riesen ganz normal - so tipptipptipp - auf die Schulter?

9 Mögen Sie es, "Maestro" genannt zu werden?

Das ist die Respektsbezeichnung für einen Lehrer in Italien. Ich bin Volksschullehrer.

10 Wen sprechen Sie mit "Maestro" an?

Dirigenten.

11 Welcher Ihrer Diener hat eine gute Stimme?

Ich habe Hilfskräfte, keine Diener. Ein großer Unterschied.

12 Stimmt es, dass die Menschen spontan die Arme ausbreiten und laut singen, wenn Sie im normalen Leben auftauchen, im Restaurant, am Flughafen?

Diese Leute müssten verrückt sein!

13 Stimmt es, dass Sie überall singen, wo Sie auftauchen?

Im Gegenteil. Ich trete nur auf Bühnen auf.

Jetzt wird er wach. Verschränken der Arme, Kräuseln der Augenbrauen, die drei großen Halsgeräusche: Husten, Schlucken, Räuspern. Ein Berg erwacht. Man erschrickt echt sehr, aber es nützt nichts. Es muss jetzt angezogen werden. Auch dieses Interview muss lustig werden.

14 Nie in einem Restaurant gesungen?

Auch nicht unter der Dusche.

15 Ihre Standardausrede, wenn Sie nicht singen wollen?

Ich singe, wenn ich in Konzerten oder Opern auftrete. Ich singe grundsätzlich nicht auf Partys oder bei Abendessen. Punkt. Aus. Die Menschen wissen das.

16 In welcher Kirche ist Singen am schönsten?

San Faustino in Modena.

17 Die größte Menschenmenge, vor der Sie je gesungen haben?

Im Central Park in New York vor einer halben Million Menschen.

18 Gibt es auf dem Land bessere Stimmen als in Städten?

Große Stimmen sind wie wilde Blumen. Sie können in Städten wachsen, auf Bergen, in einsamen Hütten. Man weiß es nie.

19 Einmal stark genug gewesen, auf einer Beerdigung zu singen?

Nie.

Es geht mühselig, aber doch voran - das Gespräch mit dem Heldentenor. Nun Trick Nummer 17: Zeitverschwendungsfragen. Der Tenor soll sich wundern, wofür man plaudernd Zeit hat. Das macht Laune. Das entspannt.

20 Mr. Pavarotti, wie geht es Signor Arrigo Pola, Ihrem legendären ersten Gesanglehrer?

Es ging ihm gut, jetzt ist er tot. Er war einer der hervorragendsten Menschen, denen ich je begegnet bin, dem Gesang, der Musik verschrieben, selbst ein Tenor. Er hat mich zwei Jahre unterrichtet und keine Lira genommen. Er wollte keine Geschenke. Er sagte: Bringe mir neue Schüler!

21 Signor Polas zentrale Lehre?

Wenn du schlecht singst, gibt es keine Entschuldigung, keine Erklärung, die du nicht in dir selbst finden musst. Sag nicht, die Welt ist gegen dich. Frag dich, was du falsch gemacht hast. Du musst die Gründe in dir selbst suchen.

22 Paar Giuseppe-Verdi-Fragen. Welches Bild haben Sie von ihm?
Da vorn hängt es.

Zeigt auf eine Bilderwand, wo Schwarzweißfotografien, eine Totenmaske und vor allem die Kunst hängt, die Pavarotti selbst gemalt hat: bunte Ölbilder, ein Segelschiff, vor dem ein Walfisch liegt. Superschön. Lustig. Fantastisch.

23 War Verdi ein gut aussehender Mann?

Gut aussehend, ja! Ein sehr ernsthafter Mann mit einem großen Lachen, er konnte auch sehr fröhlich sein. Es war ja - anfangs - kein einfaches Leben. Seine ersten Opern wurden nicht akzeptiert, in Parma und am Konservatorium in Mailand behandelte man ihn schlecht, er musste kämpfen, Schicksalsschläge hinnehmen, den Tod seiner Frau und zweier seiner Kinder.

24 Hat er genug Geld verdient?

Er war, vor allem gegen Ende seiner Karriere - Requiem , Othello , Falstaff -, ein enormer Star. Aber andere, heute vergessene Zeitgenossen bekamen mehr.

Hoher Zeitverschwendungsfaktor, perfekt! Man spricht auf einem Niveau, das jedes Kinderlexikon unterschreitet. Mehr Verdi-Fragen!

25 Das Verdi-Requiem - vielleicht die tollste Musik überhaupt?

Das kann ich so nicht sagen.

26 Wann zuletzt mit nassen Augen und Frotteehandtuch über den Knien Verdis Kyrie eleison gelauscht?

Karajan dirigiert das Orchester der Mailänder Scala. Die ersten Töne der Streicher - ich weine.

27 Versuchen Sie, Verdis Bart nachzuahmen?

Verdis Bart? So ein Quatsch.

28 Was würden Sie Verdi fragen, wenn Sie eine Stunde mit ihm hätten?

Ich bin gar nicht sicher, ob er mir eine Stunde lang zuhören würde! Ich würden ihm zehn Minuten lang vorsingen, er entschiede, was. Dann würden wir uns über Musik unterhalten. Lebenskonzepte - ich glaube, da sind wir uns sehr ähnlich. Beide sind wir im Oktober geboren, ich sechzig Kilometer von ihm entfernt, beide im Sternzeichen der Waage. Wir riechen beide nach Parmesan.

29 Stimmt die Geschichte, dass Ihr Geburtsschrei ein lupenreines hohes C war?

Das sagte der Doktor. Ich habe eine Enkeltochter, Caterina. Merken Sie sich ihren Namen. Sicher wird sie mal ein großer Sopran.

30 Ihr Lieblingskinderlied?

Ich war vier, als ich auf den Tisch stieg und rief: Mein Vater ist ein Tenor, ich bin ein Tenorino! Dam-da-dam! Dann sang ich La Donna È Mobile. Da-da-damdam!

31 Das schönste Volkslied aus Neapel?

O Sole Mio.

32 Ihr Geheimtipp in Neapel?

Jeder hat da sein Geheimnis, es gibt so viele charmante Ecken. Meine Lieblingsort ist das "Hotel Vesuvio", in dem Caruso starb. Wenn ich dort eintreffe, geben sie mir das Zimmer, in dem er seinen letzten Tag verbrachte. Neapel ist für mich dieses Zimmer.

33 Rudolfo, Alfredo, Mario, Riccardo, Turido, Nemorino - welcher Name eines Heldentenors hat für Sie den besten Klang?

Ich mag alle diese Rollen, die Namen sind mir egal.

34 Welche Heldentenorrolle ist vollkommen?

Die in La Bohème , die im Maskenball , welche vielleicht ideal ist. Der Liebestrank , ein Bauernjunge wie ich, der auf die Liebe setzt und am Ende gewinnt. Natürlich Tosca.

35 Mal in einer Künstler-WG gelebt?

Nein.

36 Mal in eine Kurtisane verliebt gewesen, mit einem Polizeichef dunkle Geschäfte getrieben, einem Rivalen als Aufforderung zum Zweikampf ins Ohr gebissen?
Nein.

Das, die zwei letzten Fragen, hat nicht funktioniert. Man wollte mit signifikanten Handlungselementen aus Bohème, Traviata, Tosca, Cavalleria rusticana spielen. Fand er doof. Zusammengesackter, vor sich hin starrender Pavarotti. Nun beginnt eine neue Müdigkeitsphase. Aha. Okay.

37 Welcher Tenorpart gibt am meisten von Mr. Pavarottis wahrem Charakter wieder?

Pavarotti ist wie alle menschlichen Wesen sehr kompliziert. Keine Oper ist den echten Schwierig- keiten des Lebens gewachsen, die Wirklichkeit ist immer anspruchsvoller als die Kunst. Ich bin fünfzig Prozent Der Liebestrank , fünfzig Prozent Rudolfo.

38 Welcher Ihrer Albumtitel liegt Ihnen am Herzen: Amore , Volare , Mamma oder Pavarotti Plus?
Das sind Zusammenstellungen von Liedern. Alles schöne Lieder.

39 Korrekt, dass Oper im Kern eine primitive Kunst ist?

Nicht primitiv. Melodramatisch. Das sollten Sie nicht verwechseln. Wenn Sie emotionales, instinktives Handeln für primitiv halten, dann ist Oper primitiv.

40 Ihre Definition des perfekten Tons?

Das kann ich schwer sagen, da ich ihn singe: den perfekten Ton. Ich fühle mich unwohl, ich leide körperlich, wenn der Ton nicht trifft.

41 Wo exakt im Körper schmerzt es, wenn ein Ton nicht trifft?

Überall. Im Kopf.

42 Zu welchen Anteilen sind Seele und Gehirn beim Herstellen des perfekten Tons beteiligt?

Caruso sagt, alles kommt aus der Erinnerung. Das Gefühl folgt der Erinnerung.

43 Was denken Sie beim Singen?

Das versuche ich gerade zu erklären: Es ist die Summe der Erfahrungen, die ich mit dieser Rolle habe. Auf diese Erfahrungen besinne ich mich.

44 Muss man etwas glauben, um schön zu singen?

Unbedingt! Ich glaube fest daran, dass ich gut bin. Ich brauche eine positive Stimmung, auch und gerade, um die traurigen, dramatischen Rollen auszufüllen.

45 Welche Sorte Denken fehlt in diesen Tagen?

Optimismus.

46 Fällt schön singen leichter, wenn man Liebeskummer hat?

Nein. Man sollte ausgeruht und voll bei der Sache sein.

47 Ihre Definition von Belcanto?

Schöner Gesang. Reines Gefühl im richtigen Ton.

48 Wer hat den Mythos des hohen C erfunden?

Terry McEwan, einer der Manager meiner Plattenfirma Decca, brillanter Mann. Er sagte einmal zu mir: Wir werden eine Platte mit dem Titel "Der König des hohen C" mit dir machen. Ich: Was redest du? Ich bin Belcanto, kein König des hohen C. Geh weg! Lass mich! Die Platte wurde ein Millionenseller.

49 Sie können aber Noten lesen, nicht wahr?

Das sind die Mindestanforderungen, die meine Arbeit mir stellt.

50 Korrekt, dass die Arie Ah, mes amis, quel jour de fête in Donizettis Regimentstochter Ihre Albtraumarie geworden ist?
Keiner vor mir, keiner nach mir hat die berühmten neun C in einer Textzeile bei voller Stimme un beschadet überstanden. Ich habe sie oft gesungen, in Covent Garden, in New York, in Mailand. Das macht mich froh.

51 Jemals den Teufel getroffen beim Singen?

Was soll das? Was ist Ihr Problem? Diese Frage können Sie einem Italiener nicht stellen!

52 Was spricht für die Existenz von Gott?

Geh raus in einer klaren Sternnacht und versuch dir vorzustellen, dass dies nicht das einzige Sternensystem des Universums ist. Das schaffst du nicht. Dein Gehirn packt das nicht. Da verstehst du, wie klein du bist. Du verstehst, dass es eine größere Instanz als den Menschen geben muss.

53 Werden unsere Sünden vergeben, wenn Sie singen?

Das kann man nicht sagen. Was man sagen kann, ist, dass meine Stimme Gutes bewirken kann. Ich bekomme Briefe, in denen Leute mir danken, weil meine Stimme Krankheiten geheilt und Leute aus dem Koma geholt hat. Ich bin eine Inspiration. Ich helfe Menschen in schwierigen Situationen.

54 Ihre größte Niederlage?
Die gab es nicht.

55 Ihr größter Triumph?

Was soll ich sagen? Zur Wiedereröffnung der Carnegie Hall empfing man mich mit stehenden Ovationen und ich hatte noch nicht angefangen zu singen. Dann sang ich, und ich sang gut, und es kam mir vor, als säße ich in der Welt der Oper auf einem Thron.

56 Verrückt, dass Operntenöre im Ruf stehen, nicht so intelligente Menschen zu sein?

Geh zu Bergonzi. Zu Caruso. Zu Kraus. Zu Domingo. Da erfährst du, dass Tenöre kluge Menschen sind. Wer sich im internationalen Showbusiness jahrelang auf Spitzenplätzen hält, der ist intelligent.

57 Ist Schweiß ein gutes Zeichen?

Ein tolles Zeichen! Junge Menschen, sehr begabt, technisch perfekt, fertig ausgebildet, kommen zu mir zum Vorsingen. Ich frage: Schwitzt du? Nein? Das ist schade. Du solltest schwitzen. Singen ist Schwitzen. Eine große Anstrengung. Sing lauter! Größer! Voller! Dramatischer! Gib - mehr. Und, siehe, dann schwitzen sie.

58 Sie schwitzen nicht immer ein bisschen zu sehr?

Ich schwitze, wenn ich mich gut fühle.

59 Ist Spucken ein Problem?

Er lacht - hihihi! - ein rührendes Kinderlachen. Wenn Tenöre, wenn Berge kichern, auch toll. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass er voll bei der Sache ist: Haltung! Disziplin! Engagement! Man sieht: Erfolg, ganz gleich auf welchem Gebiet, ist eine Energiefrage. Lächelnder Tenor. Es ist damit zu rechnen, dass er demnächst Lust hat, einen Gag zu reißen. Freude! Spannung!

Da müssen Sie den Sopran neben mir fragen.

60 Welche Funktion hat das weiße Lätzchen, das Sie beim Singen in der linken Hand halten?

Ich muss mich abreagieren, den Druck ablassen, die Spannung halten. Ich brauche einen Widerstand, den ich fassen kann.

61 Manchmal überrascht, welche hohen Töne aus Ihrem großen Körper kommen?
Ich bin überrascht über Ihre Fragen!

62 Nie Komplexe gehabt, weil Sie kein Bass sind?

Bitte verstehen Sie: Der Tenor ist das männliche Maximum, Liebhaber, Draufgänger, der Held.

63 Ihre Stimme ist natürlich auch ein sexuelles Organ?

Natürlich! Natürlich!

64 Spricht Sie, rein sexuell, eher ein Alt oder Sopran an?

Natürlich der Sopran!

65 Das schönste Kompliment, das man Ihrer Stimme je gemacht hat?
Engelsstimme.

66 Können eine Milliarde Pavarotti-Fans irren?

Ich hoffe, nein.

67 Kann ein Mann mehr erreichen, als My Way zu singen und unten im Publikum steht Frank Sinatra und applaudiert?

Bitte - ich habe eine jämmerliche Kopie von ihm abgegeben! Er war das Genie der Genies, Vater aller Popsänger, der Erste und Beste.

68 Wie viele Millionen Dollar haben alle neun Pavarotti & Friends -Konzerte zusammen für gute Zwecke eingespielt?

Viele, viele Millionen.

69 Einverstanden, dass Klassik - nach Heavy Metal - die populärste Prollkultur geworden ist?

Für mich ist alles dasselbe. Ich mache keinen Unterschied zwischen E und U, zwischen Popmusik und Oper. Gott sei Dank stellt sich diese Frage nicht, aber wenn ich nur eine Sache machen dürfte, dann wäre es die Oper.

70 Warum singen nicht alle Tenöre durch Mikrofone?

Nicht viele genießen die Popularität, in Stadien aufzutreten: Andrea Bocelli, Plácido, José und ich.

71 Echt wahr, dass Sie mit Cary Grant ein Duett gesungen haben?

Ich kannte diesen Mann kaum. Ich habe im Haus eines guten Freundes in Los Angeles gesungen, das ist alles.
Es gibt herrliche Fotos, auf denen sich Cary Grant und Pavarotti, beide tränennass, in irgendeiner Backstage-Situation in den Armen liegen. Schön natürlich auch, wie lässig sich so ein Tenor widerspricht. Vorhin hat er doch noch nur auf der Bühne gesungen.

72 Sind alle großen Tenöre Ladykiller?

Das kann ich nicht sagen. Nicht ich!

73 Luciano, Plácido oder José - wer kriegt die besten Girls?

Nicht der Italiener!

74 Eine Klatschgeschichte, die man sich unter Heldentenören erzählt?

Wir klatschen nicht. Wir akzeptieren einander. Wir haben ja alle kaum noch ein Privatleben.

75 Die fünfziger Jahre, goldene Ära der Heldentenöre - was ist verloren gegangen?

Sicher irgendwas - ich weiß das nicht. Ist das Jetzt, die Gegenwart, nicht immer die beste Zeit? Früher gab es wenige Stars, die Menschen gingen in die Oper, um sie zu hören. Dann kamen die Sechziger, das Fernsehen, die Möglichkeit, uns überall auf der Welt zu erleben. Ich bin in der Ära des Fernsehens groß geworden.

76 Nun rasch zu einer schlimmen Sache, aber darf es wahr sein, dass Giuseppe di Stefano, der große Partner der Callas, verarmt und vergessen durch die Schweiz tingelt und O Sole Mio singt?

Quatsch, totaler Unsinn. Er lebt zurückgezogen in Lugano und gibt zwei, drei Konzerte im Jahr. Wenn es ihm Freude macht.
Das ist schön zu hören, echt. Es ist immer schön zu hören, dass es denen, die fett und prunkvoll gelebt haben - ein Riesenleben -, im Alter nicht dreckig geht. Danke, Giuseppe. Danke, Luciano.

77 Welche Form hat Ihre Badewanne?

Ich dusche. Heiß. Stundenlang. Eiskalt vor Auftritten.

78 Ihre Gymnastikübung?

Keine Gymnastik.

79 Golf war auch immer zu anstrengend?

Schöner Sport. Nichts für mich.

80 Ihr traumatischstes Erlebnis mit einem Fußball?

Ich war ein guter Fußballspieler und exzellenter Torwart, als junger Mann. Die Tore waren sechs Meter breit. Dann hielt ich für Modena, meine Heimatstadt, die heute in der ersten Liga spielen, und ließ drei Bälle durch. Die Tore waren zu groß geworden. Ich sah die Bälle. Aber ich dachte, sie gehen ins Aus.
Ja. Gott, ja. Zauberhafte Anekdote. Nein? Doch: zau-ber-haft. Man ist sofort im dritten Akt der Uraufführung der großen Oper "Ragazzo Grande, Palla Piccola" (Großer Junge, kleiner Ball ): Aufstieg und Niedergang eines Helden, großer Stoff. Im Schlussbild würde sich der greise, riesenhafte Pavarotti auf das Fußballtor hieven lassen, welches im Tutti des Orchesters - Tamtam der Pauken, Trara der Trompeten - unter ihm zusammenbräche, auf dass nie mehr ein Ball am Helden vorbeifliegen kann. Madonna! Madre mia! Bravo! Bra-haha!-vo!

81 Schmeckt es noch, Mr. Pavarotti?

Was fragen Sie da? Ist der Papst katholisch?
Sein Gag! Treffer. Versenkt.

82 Welche Spaghettisauce wird im Himmel serviert?

Etwas ganz Einfaches. Tomaten.

83 Ihr Blutdruck?

Okay.

84 Cholesterin, Blutwerte, da auch alles okay?

Absolut. Ich passe auf mich auf.

85 Sie sind nicht krank, nur übergewichtig?

Richtig.

86 Lachen Sie oder leiden Sie, wenn Zeitungen schreiben, dass Sie mit dem Kran auf die Opernbühne gehievt wurden?

Kommen Sie! Eine furchtbare Erfindung!
Stimmt. Eine furchtbare Geschichte. Und wenn sie wahr ist, dann ist sie trotzdem erfunden - so furchtbar, so jämmerlich ist sie. Ach, wo man landen kann, allein durch Sprechen. Er schaut echt hilflos, traurig, angewidert darüber, dass er - mit seiner Karriere, Weisheit, Würde - sich so plötzlich auf diesem Gleis, im Elend der Welt, auch seinem Elend, wiederfinden kann. Bitter. Scheußlicher Moment. Alt ist nicht lustig. Alt, müde, krank werden wir alle mal. Nun soll er mal wieder einpennen. Frage 87 bis 100 haben die Aufgabe, ihn in den verdienten Schlaf zu wiegen. Ihm, Pavarotti, Kinderlieder vorsingen. Er soll lauschen.

87 Ist Ihr Gewicht ein Panzer gegen all die Bosheiten und Ungerechtigkeiten auf Erden?

Das soll der Psychiater beurteilen.

88 Einverstanden, dass Sie mit 67 besser aussehen als mit 16?

Wir alle, jeder Mann. Unsere besten Jahre sind unsere Fünfziger und Sechziger.

89 Träumen Sie immer noch davon, so leicht und schnell zu sein wie eine Biene?
Im Schlaf, ja! Ich träume fast jede Nacht, dass ich fliegen kann. Ich bin so leicht, dass ich große, weite Sprünge machen kann. Dann wache ich auf.

90 Schon irgendwelche Pläne für den 12. Oktober 2005?

Wie angekündigt: Ich werde an diesem Tag, meinem siebzigsten Geburtstag, das letzte Konzert geben.

91 Gibt es einen größeren Wert als Familie?

Die Liebe. Liebe für Frau, Kinder, alle Menschen auf der Welt.

92 Welches Familienbild tragen Sie immer bei sich?

Eins meiner Freundin Nicoletta, eins meiner Töchter.

93 Siebzig Jahre waren Ihre Eltern verheiratet! Wird diese Ehe im Himmel noch einmal so lange halten?

Sicher. Ich glaube fest, dass es ihnen gut geht.

94 Oft traurig?

Manchmal. Immer wieder. Ganz normal.

95 Sollten wir alle viel öfter weinen?

Müdes Lächeln: Kopfschütteln. Sein Abschied. Wir halten fest, dass Pavarotti noch nicht am Ende ist. Nur müde. Nein, wir sollten nicht öfter weinen. Er zelebriert sein Nichtssagen nun mit königlicher Ruhe und Kraft. Nun schau her, Eindringling: Wir sind nun live dabei, wie dem vielleicht größten Tenor aller Zeiten die Sinne schwinden. Entspannung seiner Züge. Verstärken der milden Empfindungen, Verschwimmen der Kontraste, Herabsinken der Farben und Laute, Erleichterung, Verflüchtigung alles Unschönen, Versöhnung mit der Welt. Dann sieht er sogar gut aus. Pavarotti! Gut aussehender Mann!

96 Wofür sind Tränen gut?

Für die traurigen, die schönen Momente im Leben.

97 Manchmal traurig darüber, dass Sie noch keinen kleinen Luciano haben?

Ich habe noch Zeit.

98 Ihr Gruß an Joseph Volpe, den Direktor der New Yorker Met?

Alles Liebe. Ich werde dort sicher noch einmal singen.

99 Was haben Elvis und Sie gemeinsam?

Von ihm kommt jetzt nichts mehr. Geräusche vom Tischfußball, von Schuhabsätzen, Bierbüchsen, die geöffnet werden. Draußen wartet die Pesaro-Mafia. Draußen geht es weiter.

100 Werden Sie siegen?

Vincerò. Sì.