Totale Kontrolle: Sein Profil vor Firmen wie Google oder Facebook zu verbergen, ist für Internetnutzer kaum noch möglich.
Mein erster, 7000 Mark teurer Computer war ein vier Kilogramm schwerer Laptop, der statt einer Festplatte ein zweites Diskettenlaufwerk hatte und unter MS-DOS lief. Seitdem habe ich brav jedes neue Betriebssystem erworben, von dem die Computerzeitschriften jedes Mal behaupteten, das sei nun der ganz große Wurf. Schon bald danach las man, wie das neue System zickt, was man tun muss, damit es nicht mehr zickt, und dass es aber bald ein Update geben wird, das die Zicken beseitigt.
Dieses Spiel von Hoffnung und Enttäuschung währte bis zu Windows 7. Als ich es frisch installiert hatte und einen Tag lang schwitzte, um alle Computer (für Vater, Mutter, Tochter, Sohn) und zwei Notebooks miteinander zu vernetzen, sagten meine Freunde, die Apple-Jünger, abermals: Bekehre dich. Steig um.
Endgültig zermürbt, dachte ich: Man kanns ja mal probieren.
Und tatsächlich: Der Mac Pro war in null Komma nichts angeschlossen und installiert, der Kontakt zum Apple-Notebook sofort hergestellt. Seit drei Jahren arbeite ich ohne Abstürze, ohne Viren, ohne Ärger.
Dieses Erlebnis führte zum Abschied von Nokia. Nokia hatte seine Handys über die Jahre mit immer mehr Funktionen verstopft, ohne am Bedienkonzept etwas zu ändern, mit der Folge, dass manche nicht einmal mehr telefonieren konnten, ohne vorher ins Handbuch zu schauen. Das iPhone war genauso vollgestopft, nur: Ich konnte alle Funktionen nutzen, ohne auch nur einmal ins Handbuch geguckt zu haben. Alles genial einfach. Das Erlebnis führte zum Kauf eines iPads.
Nein, das wird jetzt keine weitere Werbung für einen milliardenschweren Konzern, der es versteht, die Medien und seine Kunden vor seinen Karren zu spannen. Gleich kommt’s anders, aber zuvor schnell noch ein Loblied auf Google, den idealen Partner fürs iPhone und iPad. Es gibt von morgens bis abends immer irgendetwas, was man gerade nicht weiß. Also zückt man sein iPhone und googelt. »Information at Your Fingertips« – von Bill Gates in den Neunzigerjahren als große Vision verkündet – ist realisiert worden von Google und Apple.
Abends vor dem Einschlafen lese ich meistens noch ein »richtiges Buch«, immer häufiger aber auch schon ein E-Book auf dem iPad. Nach der Lektüre kommt das iPad ins Dock, und ich starte die »Livelike«-App, die mir die Uhrzeit anzeigt und mich am nächsten Morgen mit Musik wecken wird. Das Schönste an dieser App ist der Ring oben links, mit dem man eine Jalousie abwärts über das Display zieht. Dann verdunkelt sich der Bildschirm, und man sieht nur noch die kleinen Leuchtziffern der Uhr.
Die Frau, die mich liebt, findet das alles ein bisschen übertrieben, um nicht zu sagen abartig. Niemals würde sie ein Buch auf dem iPad lesen, sagt sie. »Niemals« heißt bei ihr: zirka drei Jahre. Mit dieser Verzögerung folgt sie der technischen Entwicklung. Noch liest sie die Zeitung aus Papier. Nachdenklich aber wird sie, wenn sie auf dem engen Sitz im Flugzeug neben mir die große Zeitung mühevoll umblättert, während ich zum Blättern aufs handliche Display tippe. Schon vor der Reise hatte sie sich geärgert, dass sie genau überlegen musste, welche Bücher sie mit in den Urlaub nimmt, und dass diese so schwer sind, während ich unbekümmert sagte: Hab meine Bücher im iPad. Worauf sie antwortete: Pervers.
Ja, die Haptik des Lesens, von der sie so schwärmt und auf die sie nicht verzichten möchte, ist eine andere, aber doch keine schlechtere. Ich nehme mein iPad genauso gern in die Hand wie ein schön gemachtes Buch. Und endlich ist auch das Problem der Hotelbett-Funzeln gelöst, in deren Licht man sich früher beim Lesen die Augen ruinierte. Ich brauche die Funzeln nicht mehr, das iPad leuchtet von selbst.
Bin ich für Amazon, Apple, Google und Facebook nur ein nützlicher Idiot?
Gelegentlich frage ich mich aber schon: Bin ich ein nützlicher Idiot der Viererbande Amazon, Apple, Google, Facebook? Bin ich Teil einer verblödeten Konsumviehherde, die sich von dieser Bande mal hierhin, mal dorthin treiben lässt? Oder bin ich nur paranoid?
Jedenfalls akzeptiere ich, dass die vier mir hinterherschnüffeln wie einst die Stasi den Ossis. Zwar muss ich nicht damit rechnen, dass irgendwann zwei Schlapphüte an meiner Haustür klingeln und mich nach Bautzen oder in einen Gulag bringen, aber allein die Tatsache, dass diese vier hinter meinem Rücken Wissen über mich anhäufen und damit machen, was sie wollen, ist eine Unverschämtheit, die ihnen eigentlich verboten sein müsste.
Da kann man jetzt sagen: selber schuld. Niemand ist gezwungen, Apple-Produkte zu kaufen, bei Amazon zu bestellen, zu googeln oder in Facebook rumzuhängen. Stimmt. Man kann sich das Leben künstlich schwer machen, man kann einen Teil seiner Arbeitszeit damit verbringen, sich mit einer Windows-Kiste zu beschäftigen, bevor man seine eigentliche Arbeit macht. Man kann Handbücher studieren, bevor man telefoniert, simst und mailt. Man kann auf die alte, zeitaufwendige Art recherchieren, wie sie vor Google üblich war, und man kann weiterhin inkompetente Buchhändler bitten, ein Buch zu bestellen, das sie nicht kennen, weil es kein Kochbuch ist. In jedem Fall verschwende ich damit Zeit.
Und wer Facebook boykottiert, darf sich gut fühlen, kann aber eigentlich nicht mehr richtig mitreden. Facebook ist ja nicht nur ein Kommunikations-, sondern auch ein Informationsmedium. Es ist darüber hinaus ein Kontakthof für einsame Herzen, eine virtuelle Kneipe, ein weiteres PR- und Marketinginstrument, eine Bühne für Exhibitionisten und Voyeure. In den arabischen Ländern war es eine Befreiungstechnologie, und für Mark Zuckerberg ist es eine große Gelddruckmaschine, aber vielleicht auch ein Instrument zur Befriedigung geheimer Weltbeherrschungsfantasien. Wir sind noch nicht fertig mit diesem Medium. Man muss es beobachten. Auch von innen. Und man muss ausloten, ob es nicht doch im Kampf gegen die Tyrannei der sogenannten Märkte nützlich sein könnte.
Natürlich kann man sich aus alldem ausklinken. Die Viererbande wird trotzdem auch das Leben der Ausgeklinkten verändern, denn sie akkumuliert nicht nur Geld, sondern auch wirtschaftliche und politische Macht. Daher müsste man eigentlich fordern: Zerschlagt die Monopole. Lasst uns ein Welt-Kartellamt etablieren, das dafür sorgt, dass niemandes Bäume in den Himmel wachsen – was illusorisch ist, solange die nach wie vor herrschende neoliberale Mafia fragt: Was will man Apple und Google vorwerfen? Dass sie interessantere Produkte entwickeln als die Konkurrenz, innovativer sind als diese, das Internet verstanden haben und Geld verdienen?
Was solch naive Verkünder der reinen Lehre regelmäßig übersehen: Konkurrenz herrscht stets nur am Anfang eines Spiels. Im weiteren Verlauf scheiden immer mehr Mitspieler aus, und am Ende gibt es einen Sieger, der die verbliebenen Konkurrenten aufkauft, klein hält oder ganz verdrängt, sofort alle Marktzugänge für mögliche neue Konkurrenten verbarrikadiert und sich als Monopolist etabliert. Das gelingt regelmäßig immer dann, wenn kein Staat eingreift und Grenzen setzt.
Noch schlimmer als die Aushebelung der Marktgesetze, die Gängelung der Konsumenten und die Zerstörung der Privatsphäre sind die Nebenwirkungen: Die vier Quasimonopolisten nehmen Verlegern, Verlagsangestellten, Buchhändlern die Jobs weg, enteignen die Urheber geistigen Eigentums und schaffen Fakten, ohne die Betroffenen zu fragen, ob sie damit einverstanden sind. Sie verändern die Produktionsbedingungen von Kulturgütern. Sie bestimmen langfristig, womit die Hirne von sieben Milliarden Menschen gefüttert werden. Sie verändern die Art, wie wir denken, leben und arbeiten.
Steht nicht in allen westlichen Verfassungen, dass darüber eigentlich der Souverän, das Volk, zu entscheiden hat und nicht irgendwelche Gewinnerwartungen gieriger Aktionäre?
Es ist kein Naturgesetz, dass man beim Surfen im Netz Spuren hinterlässt
Angenommen, der in den USA seit Ronald Reagan zu beobachtende Radikalisierungstrend nach rechts macht nicht halt bei der Tea-Party-Bewegung, in der desperate housewives wie Michele Bachmann für fähig gehalten werden, das Land zu regieren. Angenommen, diese Entwicklung geht immer noch weiter, sodass irgendwann einer aus dem Heer der durchgeknallten Frömmler und Sektierer eine christliche Gottesdiktatur errichtet – es gibt keine Bestandsgarantie für Demokratien, nicht einmal für die amerikanische – und dieser Diktator reißt sich die Datenspeicher von Amazon, Apple, Google und Facebook unter den Nagel, dann weiß dieser Diktator alles. Widerstand wird nicht mehr möglich sein. Der Diktator weiß, wen er im Auftrag Gottes sofort vorsorglich umbringen oder wegsperren muss, er weiß, wen er beobachten und wen er einschüchtern muss und wen er auf keinen Fall einreisen lassen darf. Danach wird dieser Diktator, wenn er keine gravierenden Fehler macht, viele Jahrzehnte lang in Ruhe sein Volk kujonieren, denn er wird alle und alles unter Kontrolle haben. Der Große Bruder verfügt über Milliarden kleiner Brüderlein, die in unseren Smartphones stecken und ihm getreulich berichten, wo wir sind und was wir so treiben.
Darum müssen diesen Brüdern endlich Grenzen gesetzt werden. Die Frage ist nur: wie?
Es wird kaum über demokratische Wahlen gehen. Es wird vorerst nur subversiv zu realisieren sein, ungefähr so, wie es Nasser Hadar gemacht hat. Dem libyschen Computeringenieur Hadar war es gelungen, die Internetsperren des Gaddafi-Regimes zu umgehen. So konnte er – unter Lebensgefahr – Berichte von Al-Dschasira und die Bilder und Videos, die Bürger von den Protesten und Kämpfen in Libyen gemacht hatten, weltweit verbreiten. Auf der Grundlage dieser Bilder kam es zur UN-Resolution 1973, welche die Voraussetzungen für die Luftangriffe auf die Gaddafi-Truppen schuf.
Oder so, wie es der Juniorprofessor Thorsten Strufe an der TU Darmstadt versucht. Ohne Lebensgefahr, aber beharrlich und mit der Leidenschaft des Ingenieurs arbeitet er schon seit einigen Jahren mit einem internationalen Team an »Safebook«, einer Alternative zu Facebook. Safebook soll dasselbe können wie Facebook, nur ohne Spionage. Über den Stand der Entwicklung des Projekts kann man sich unter hier informieren.
Eine echte Konkurrenz zu Facebook wird Safebook nie werden. Gegen die jetzt schon bestehende Milliardenmacht von Facebook werden die paar Einzelkämpfer von Safebook nichts ausrichten können. Das wissen sie auch. Strufe sagt, ihm gehe es zunächst mal nur darum zu zeigen, dass es Alternativen gibt.
Und das ist der entscheidende Gedanke: Die Technikentwicklung der letzten 25 Jahre war marktgetrieben. Sie diente ausschließlich der Befriedigung privater Gewinninteressen und führte zu der Überwachungs- und Manipulationstechnologie, die wir jetzt haben. Darum brauchen wir endlich eine Richtungsumkehr hin zu einer demokratieverträglichen Technik, mit der die vielen machtlosen Einzelnen ihre mächtigen Gegner mit deren eigenen Mitteln schlagen. Gegen Überwachungs- und Manipulationstechnologie hilft Befreiungstechnologie.
Es ist kein Naturgesetz, dass man beim Surfen im Netz Spuren hinterlässt. Es gibt kleine Programme, die das Surfen anonymisieren und den Datenraubrittern das Leben schwer machen. Man kann sich diese Programme kostenlos aus dem Netz holen, nur wissen das die meisten Nutzer nicht. Es gibt anonyme Bezahlsysteme, wie etwa die Geldkarte. Es sind Suchmaschinen machbar, die keine Daten horten. Und auch ein Facebook ohne Verletzung der Privatsphäre ist möglich. An alldem haben die im Netz agierenden Unternehmen, der Handel und die Kreditkarten-Banken jedoch kein Interesse. Auch die wachsende Zahl der von Drittmitteln abhängigen Forscher und Entwickler an den Universitäten zeigt kein Interesse an Technik für Bürger. Und darum wird das immer so weitergehen, solange wir Bürger das hinnehmen.
Wir sollten endlich aufwachen, Druck machen, den Universitäten und Technischen Hochschulen sagen: Hört auf, für die Interessen der Drittmittelgeber zu forschen, fangt an, für die zu forschen, die den Löwenanteil eurer Kosten bestreiten, die Steuerzahler. Und ihr da oben in Brüssel, nehmt jetzt bitte mal ganz viel Geld in die Hand – aber deutlich weniger als für die Bankenrettung – und baut eine demokratisch kontrollierte Suchmaschine auf. Etabliert eine spionagefreie Konkurrenz zu Google und Facebook und finanziert es aus einer europäischen Mediensteuer. Macht damit zugleich eine europäische Medienpolitik, die garantiert, dass die Produzenten geistiger Güter nicht in Abhängigkeit von quartalszahlengesteuerten US-Konzernen geraten. Und ergänzt die Technikfolgen-Abschätzung um den Punkt Demokratieverträglichkeit.
Die Piraten mögen ja eine ahnungslose Chaostruppe sein, aber allein schon, wenn sie die Entwicklung von Befreiungstechnologie in ihr Programm aufnähmen, zwängen sie die übrigen Parteien, sich auch darum zu kümmern. Die Occupy-Bewegung mag vielen als ziellos erscheinen, aber allein schon ihr bloßes Dasein im öffentlichen Raum schafft Handlungszwänge für die Politik. Würden sie ihre Claims auch noch im Netz abstecken, sorgten sie für zusätzlichen Druck auf die Politik. Und die Bürger sollten sich allmählich mal entscheiden, was sie sein wollen: Demokraten oder dumme, manipulierbare Konsumschafe.
Facebook verstaatlichen, Google zerschlagen? Kommende Woche antwortet der Autor Sascha Lobo auf die Polemik von Christian Nürnberger.
Illustration: Dirk Schmidt