»Ich entschuldige mich und liebe euch«

Wenn Prominente heute etwas klarstellen oder um Verzeihung bitten möchten, nutzen sie den heimlichen Star des iPhones: die Notizen-App. Was kann die unscheinbare Anwendung, was Pressekonferenzen und professionelle Layouts nicht schaffen?

Fotos: dpa, REUTERS

Olaf Scholz und Taylor Swift haben nicht sehr viel gemeinsam. Außer, wenn sie wirklich schnell wirklich viele Menschen erreichen wollen. Dann wirkt es so, als hätten sie spontan ihr iPhone entsperrt, die weißgelbe Notizen-App geöffnet, einen kurzen oder längeren Text getippt, einen Screenshot davon gemacht und das Ganze auf Instagram gepostet.

Wer sich heute in den sozialen Medien bewegt, stolpert ständig über diese Screenshots von Texten, die Prominente veröffentlichen. Sie sehen auf den ersten Blick vor allem unauffällig aus: schwarze, serifenlose Buchstaben auf weißem Hintergrund, beinahe, als hätte man einfach einen schnellen Text in Word geschrieben und davon ein Foto gemacht. Aber fast immer stammen die Screenshots aus Apples vorinstallierter Notizen-App. Profis erkennen das an den kleinen senf­gelben Details, am Cursor, an der Schriftart, an der Datumsanzeige über dem Geschriebenem.

In den USA hat das Phänomen längst einen Namen, die »Notes App Apology«, die Notizen-App-Entschuldigung, die vor allem so heißt, weil mit den Text-Screenshots selten frohe Botschaften von den Prominenten an ihre Fans übermittelt werden. Stattdessen gibt es eine lange Reihe von Stars, die sich in dieser Form für öffentliches Fehlverhalten entschuldigt haben.

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Eine der ersten berühmten Notizen-App-Entschuldigungen kam laut Internet-Geschichtsbüchern von der US-Sängerin Ariana Grande 2015. Eine Überwachungskamera hatte sie dabei gefilmt, wie sie noch unverkaufte Donuts in einem Geschäft ableckte und im Anschluss sagte, dass sie Amerika hasse. Als die Aufnahmen ­öffentlich wurden, entstand in ihrer Notizen-App ein längerer Text darüber, dass sie als Fürsprecherin gesunden Essens mit ihrem Verhalten vor allem ihre Kritik an der Nahrungsmittelindustrie und an Fast Food habe äußern wollen. Die Screenshots von ihrem Text veröffentlichte sie dann auf Twitter und schrieb dazu: »Ich muss ein besseres Vorbild für meine Babes werden. Ich entschuldige mich und liebe euch. Lerne ständig dazu.«

Mittlerweile haben fast alle A-Promis aus Hollywood die Notizen-App für Verlautbarungen genutzt. Taylor Swift äußerte sich so über die Fehde mit dem Musik-Investor Scooter Braun, Justin Bieber entschuldigte sich recht konsequent für eigentlich alles, was er bis dato getan hatte, Justin Timberlake unter anderem für sein Verhalten gegenüber Britney Spears. Olaf Scholz verwendet die Notizen-App etwas staatsmännischer. Auf ­Instagram reagiert er damit auf aktuelle Nachrichtenereignisse. Nach den Demos gegen Rechts im Januar dieses Jahres stand in seiner abfoto­grafierten Handy-App: »Das macht Mut und zeigt: Wir Demokratinnen und Demokraten sind viele – viel mehr als diejenigen, die spalten wollen.« 40 000 Menschen gaben dem Beitrag auf Instagram ein Herzchen. Statt sich die Mühe zu machen und die Worte auf einer Bundespressekonferenz über den Zwischenschritt Journalismus ans Volk kommunizieren zu lassen, reicht jetzt ein Screenshot.

Überhaupt ist diese Form der Kommunikation sehr effektiv. Für das Tippen in der Notizen-App braucht man – zumindest in der Theo­rie – nur ein paar Minuten, für das Veröffentlichen eine weitere. Man vergleiche das einmal nur damit, dass Könige lange darauf angewiesen waren, dass Stadtschreier ihre Botschaften an das Volk überbrachten. In Goslar soll der besagte Schreier die Bürgerinnen und Bürger jeweils einen Tag vor dem Bierbrauen daran erinnert haben, nicht mehr Fäkalien in die öffentlichen Wasserstellen zu kippen. Wie effizient im Vergleich ein eindrücklich formulierter Text aus der Notizen-App gewesen wäre!

Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, Bodenständigkeit und Nähe zu simulieren.

Dass die Notizen-App-Verkündigungen so beliebt sind, hat aber natürlich noch einen anderen Grund: Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, Bodenständigkeit und Nähe zu simulieren. Die App ist das gemütliche Wohnzimmer des Smartphones, der Ort, an dem sich auch die meisten nicht prominenten Menschen am liebsten aufhalten. Weil sie so minimalistisch gestaltet ist, kann sie ein Gefäß für alles sein: Einkaufslisten, Passwörterlisten, Packlisten für den Urlaub, aber eben auch für Romanentwürfe, für die man sich vielleicht noch schämen würde, Tagebucheinträge, in einer wütenden Minute auf der Arbeit formulierte Kündigungsschreiben. Louis Staples, Autor der Zeitschrift Wired, schrieb den für viele Menschen gültigen Satz: »Wenn du in die Tiefen meiner Seele schauen möchtest, musst du meine iPhone-­Notes-App öffnen.« Wenn Promis Screenshots ­ihrer Notizen-App posten, sagen sie, dass sie auch nur ein Mensch sind, der den eigenen Alltag und die eigenen Gedanken nur mithilfe der App einigermaßen geordnet bekommt.

Natürlich gäbe es heutzutage trotzdem viele Möglichkeiten, eine hübscher aufbereitete Textbotschaft nach außen zu kommunizieren. Jede der genannten prominenten Figuren könnte sich das Gehalt für eine tapfere Grafikdesignerin leisten, die auch an einem Sonntagabend um 19.45 Uhr eine Tafel mit dem gewünschten Text gestaltet. Aber dann wäre auch nach außen klar, dass es zwischen dem getippten Gedanken und der Veröffentlichung ein paar Zwischenschritte gab.

In ihrer nicht perfekten Form vermitteln die Screenshots stattdessen, dass das Geschriebene eine unmittelbare Reaktion ist, echt schnell rausmusste, vermutlich fehlerhaft ist, gerade sind ja noch so große Gefühle im Spiel, aber man muss es jetzt eben sagen. Es wirkt improvisiert, als hätte der Promi auf dem Sofa sitzend schnell etwas getippt und direkt auf das Handy des Fans geschickt, der es nun wiederum auf seinem eigenen Sofa lesen kann.

Wenn man in seiner Botschaft den richtigen Ton getroffen hat, kann man sich im Anschluss an die Brust heften, dass man auch noch schnell ­reagiert und den Vorfall ernst genommen habe. Kommen die Worte schlechter an, hat man sofort die Entschuldigung parat, dass es eben schnell ­gehen sollte und man die Worte nicht auf die Goldwaage legen konnte. Am Ende erfüllt die Botschaft das Erfolgsprinzip minimalen Aufwands – wie Menschen, die sich auf eine Prüfung kaum vorbereitet haben und dann sagen: Dafür, dass ich nur eine Nacht gelernt habe, lief es richtig gut!

Es ist davon auszugehen, dass der veröffentlichte Text trotz seiner scheinbaren Spontanität bis ins letzte Wort durchdacht und durch die Hände von einem bis zehn PR-Beratern gegangen ist. Aber geschenkt. Und die meisten der so übermittelten Mitteilungen werden sowieso nach einiger Zeit wieder aus dem Instagram-Profil gelöscht.