Claudia Roth, 52, bekam die Studentenunruhen als Teenager übers Fernsehen mit, in den 70er-Jahren studierte sie Theaterwissenschaften und arbeitete als Dramaturgin. 1982 wurde sie Managerin der Band Ton, Steine, Scherben. Heute ist sie Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.
SZ-Magazin: Frau Roth, im Juni 1967 waren Sie zwölf Jahre alt. Können Sie sich noch an den Tag erinnern, als der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde?
Natürlich. Wir saßen zusammen vor unserem Schwarz-Weiß-Fernseher und sahen die Tagesschau. Mir ist vor allem das Bild jener Frau im Kopf geblieben, die Ohnesorg den Kopf hielt. Besonders an ihre Ohrringe kann ich mich erinnern.
Was war besonders an den Ohrringen?
Es waren große, orientalische Silberohrringe, die Frau, die sie trug, war sehr hübsch. Ich war sehr bestürzt und die Bilder wirkten so surreal. Mussten Sie sich, wie viele 68er auch, erst mal gegen Ihre Eltern auflehnen?
Im Gegenteil. Für mich war es nicht einfach, mich von meinen Eltern abzusetzen, da sie sehr offene, radikaldemokratische Menschen waren. Schon 1968 sind sie mit meiner Schwester und mir nach Auschwitz und Dachau gefahren. Ich kann mich nur an einen Streit mit meinem Papa erinnern. Da habe ich von »Bullen« anstatt von der Polizei geredet, das hat er sich verbeten.
Wer waren Ihre Helden damals?
Bei mir hing als junges Mädchen zunächst Winnetou im Zimmer, dann irgendwann Che Guevara. Und als 1968 das Musical Hair in München Premiere hatte, fuhr ich mit Onkel und Tante ins Deutsche Theater. Unsere »Hausschneiderin« hatte mir extra für diesen Anlass einen knöchellangen Blütenmantel angefertigt, den habe ich heute noch. Und drunter trug ich den kürzesten Minirock der Stadt.
Und Ihr Vater fand das in Ordnung?
Seine einzige Bedingung war: Ich sollte sauber und gepflegt aussehen. 1969 hatte ich zum Beispiel eine Phase, da trug ich ganz enge Cordhosen, die in Stiefel steckten, und noch engere Blusen, dazu viele Ketten um den Hals. Außerdem war ich auch eine der wenigen, die sich schminken durften. Allerdings nur die Augen. Immer ganz schwarz.
Sie hatten damals einen Abiturschnitt von 1,7. Waren Sie eine Streberin?
Nein, aber Klassen- und Schulsprecherin. Im Gegensatz zu anderen Mädchen, die früh aus der Schule genommen wurden, weil ihr Weg als Mutter und Ehefrau bereits vorgezeichnet war, wollten meine Eltern, dass ich studiere und einen Beruf erlerne. Meine Mutter wollte nie, dass ich von einem Kerl abhängig werde. Ich übrigens auch nicht.
Wir dachten immer, diese Rollenverteilung wäre bei den 68ern ohnehin passé gewesen?
Das war zunächst eine reine Männerbewegung. Wir Frauen waren ja nur da, um die Fenster zu putzen, damit die Brüder die Sonne sehen.
Wie standen Sie und Ihre Eltern zu Drogen?
Ganz klar: keine Drogen. Aber ich durfte als 16-Jährige mit meinem Freund in Ski-Urlaub fahren. Und mein Freund war acht Jahre älter als ich und der Top-Rock’-n’-Roller in der Gegend.
Und Sie wollen uns erzählen, dass Sie beide sich an das Drogenverbot gehalten haben?
Na ja, das weiß ich nicht mehr genau.
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