»Das ›Nie wieder‹ hat sich umgekehrt. Es entsteht das Gefühl, man darf wieder«

Ihre Großmutter verhungerte im KZ Theresienstadt, sie selber muss von Personenschützern begleitet werden und beobachtet das Zunehmen des Antisemitismus in Deutschland. Wie hält man das aus? Ein Gespräch mit Charlotte Knobloch, der Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in München und Oberbayern.

Foto: Armin Smailovic

Mit vier von der Mutter verlassen, einer konvertierten Jüdin, die vermutlich dem Druck der Nazis nicht stand hielt; mit sechs, in der Reichspogromnacht, an der Hand ihres Vaters Fritz Neuland durch München hetzend, an der brennenden Synagoge vorbei, einem Familienfreund blutüberströmt begegnend; mit zehn, der Abschied von der geliebten Großmutter, die deportiert wird und wenig später im KZ Theresienstadt verhungert; ebenfalls mit zehn, versteckt bei einer katholischen Familie auf einem Bauernhof. Dort unter dem Decknamen Lotte Hummel drei Jahre untergebracht, ohne Eltern, ohne Gleichaltrige, so einsam, dass sie anfängt, mit den Tieren zu sprechen.

Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in München und Oberbayern und ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat als Kind Albtraumhaftes erlebt und ist bis heute von ihren Erlebnissen geprägt, die vor allem nachts wiederkommen »Irgendetwas, das ich tagsüber gehört, gelesen, gesprochen habe, setze ich in Verbindung mit der Vergangenheit.« Und: »Meine Träume gehen immer schlecht aus.«

Kurz vor ihrem 85. Geburtstag erzählt Knobloch im großen Interview mit dem SZ-Magazin, welche Szenen am stärksten sind – und welche Themen sie bis heute verdrängt: »Mein Mann und ich haben wenig über unsere Erlebnisse gesprochen.« Auch Schindlers Liste habe sie nie gesehen: »Kann ich bis heute nicht.« Ihr Mann Samuel Knobloch, den sie 1951 heiratete, überlebte jenes KZ Plaszow, das in Steven Spielbergs Film geschildert wird und wo allein der sadistische Lagerleiter Amon Göth mindestens 500 Juden umbrachte.

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Ihre politische Karriere verfolgte Knobloch, die sich abgesehen von einem jüngst erfolgten Eingriff am Meniskus guter Gesundheit erfreut, erst nach dem Tod ihres Mannes 1990. Seit 32 Jahren steht sie nun schon der Münchner Gemeinde vor, das Amt als Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland hat sie nach einer Amtszeit 2010 wieder abgegeben. Mit großer Sorge sieht Knobloch aktuelle politische Entwicklungen und vor allem die zunehmende Verbreitung rassistischer und judenfeindlicher Äußerungen im Internet. »Das ›Nie wieder‹ hat sich umgekehrt. Es entsteht das Gefühl, man darf wieder.«

Im Gespräch mit dem SZ-Magazin erzählt Charlotte Knobloch auch, was sie an den Aktionen #yolocaust und #heytwitter des jüdischen Satirikers Shahak Shapira kritisch sieht, warum sie selbst eine sehr fordernde Mutter wurde und was sie als den schönsten Tag ihres Lebens bezeichnet.

Lesen Sie das gesamte Interview jetzt hier mit SZ Plus:

"Meine Träume gehen immer schlecht aus"

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde von München und Oberbayern, lebte in der Nazi-Zeit versteckt auf einem Bauernhof. Kurz vor ihrem 85. Geburtstag spricht sie über ihre Beschützer, allzeit gepackte Koffer und den Rechtsruck von heute.