Mein Hund geht in die Gruppentherapie mit dem Hund von Billy Idol. Ich weiß, wie sich dieser Satz anhört. Aber ich kann alles erklären.
Es fing damit an, dass ich vor vier Jahren nach Los Angeles zog, eigentlich nur, um für ein paar Monate aus dem beschaulichen München rauszukommen. Ich mietete ein Zimmer im Haus einer ehemals bekannten Schauspielerin, mit deren Karriere es bergab ging. Zum Einzug gab sie mir eine Kiste mit Kabbala-Büchern, die ihr nicht geholfen hatten. Nach wenigen Wochen fühlte ich mich fremder als in China oder Usbekistan. Ich buchte sogar Massagetermine, um irgendeine Art von menschlicher Nähe zu bekommen. Man darf sich nicht täuschen, weil man gut Englisch spricht und Amerika aus Filmen zu kennen meint. Es ist eine fremde Kultur. Ich hatte mir geschworen, mehr Beobachter dieser Kultur zu bleiben, als Teil von ihr zu werden. Lange habe ich widerstanden, doch dann lernte ich meinen heutigen Mann kennen. Wir kauften uns ein Haus in den Hollywood Hills, und zu dem Haus besorgte ich mir einen Hund. Er heißt Crackers, ist eine Malteser-Pudel-Mischung – und Crackers machte mich schließlich zu einer ganz normalen Einwohnerin von Los Angeles. Oder was hier eben als normal durchgeht.
Ich habe Crackers im Tierheim gefunden. Eigentlich wollte ich mich nur mal umsehen. Natürlich nahm ich den ersten Hund mit, der mich treu anblickte.
Crackers wirkte erlöst, als ich mit ihm durch die engen Kurven des Mulholland Drive nach Hause fuhr. Wenige Tage zuvor war er verfilzt in den Straßen von Compton aufgegriffen worden. Dieses Gettoviertel erlangte Berühmtheit, weil Gangsta-Rapper in ihren Liedern gern darauf hinweisen, dort aufgewachsen zu sein, um ihre Härte zu belegen. An meinem Hund erfüllt sich jetzt der amerikanische Traum, dachte ich, als er neben mir in meinem Cabrio saß, die weißen Haare vom Wind zerzaust.
Doch schon am nächsten Tag zeigte mir Crackers seine Neurosen: Noch vor dem Losfahren kotzte er mir auf die Autositze, und beim Spazierengehen versteckte er sich zitternd im Gebüsch. Abends pinkelte er meinem Mann zur Begrüßung auf die Budapester. Mit seinen Gummibällchen konnte Crackers wenig anfangen, dafür wälzte er sich in den Resten eines von Kojoten erlegten Eichhörnchens.
Also fuhr ich Crackers – wieder kotzend – zum einzigen Hundesalon, den ich im Vorbeifahren gesehen hatte. Bei »Fresh Paws of Bel Air« wurde er gebadet, bekam Teebaumöl-Conditioner ins Fell und eine Blaubeer-Gesichtsmaske. Danach föhnte ihm die Dame in der rosa Schürze auf einem barocken Frisiertischchen die Haare trocken.
Von dieser Welt wollte ich meinen Hund eigentlich fernhalten. Aber ich hatte nicht mit Banger gerechnet. Banger ist der Hund unserer Nachbarn; Crackers lernte ihn schnell und schmerzhaft kennen, weil Banger sich nur ungern an die für ihn vorgesehenen Absperrungen hält. Aus Angst vor Bangers Attacken führen die meisten Nachbarn in unserer Straße ihre Hunde nur mit einem Knüppel zur Selbstverteidigung Gassi.
Banger hatte ich zum ersten Mal getroffen, als er beim Renovieren unseres Hauses versuchte, mir in die Wade zu beißen. Angelockt durch Crackers, suchte Banger nun auch uns ständig heim. Mit einem Hammer bewaffnet, ging ich zum Haus von Bangers Besitzern, aber mein Klingeln ging im starken Bass unter, der mir am Tor entgegendröhnte. Wir erkundigten uns nach dem Besitzer des Hauses, dafür reicht in L.A. eine Anfrage in der Datenbank city-data.com. Der Name William M. Broad sagte uns allerdings nichts.
Als es wenige Tage später wieder einmal »Banger!« durch die Straße schallte, weil das Monster ausgebrochen war, um Postboten und Passanten zu jagen, sprach ich seine Besitzerin an. Sie erklärte mir todernst, dass Banger nicht bösartig sei, sondern nur so wirke, »weil er seine Verlustangst in Aggression sublimiert«. Banger sei ein Trennungshund; sie, ihr Hund und ihr Sohn leben ohne ihren früheren Partner in dem Haus. Was daran liegen kann, dass der Rockstar ist und unter dem Namen Billy Idol viel in der Welt unterwegs. Mrs. Idol versicherte mir aber, dass ihr Banger auf einem guten Weg sei, seitdem er zu einem Tierpsychologen in Therapie geht. Und ob das nicht auch was für meinen Hund wäre, bei den vielen Neurosen?
Tatsächlich hatte mein Hund inzwischen aufgehört, Wasser aus seinem Napf zu trinken, dafür leckte er nasse Handtücher ab. Bei Spaziergängen an der Leine musste ich ihn hinter mir herschleifen, zu Hause pinkelte er in den Kamin. Also ging ich tatsächlich zu Dr. Steinberg und schilderte ihm meine Probleme mit Crackers und erzählte ihm von seinem schwelenden Nachbarschaftsstreit mit Banger. Dr. Steinberg attestierte: Da helfe nur eine Gruppentherapie. Crackers habe eine Heimkind-Neurose. Und so stand ich einige Tage später tatsächlich daneben, als Dr. Steinberg in unserem Garten versuchte, Crackers und Banger gemeinsam zu therapieren – was bedeutete, dass er ihnen erfolglos »Sitz!« und »Platz!« befahl und uns unleserliche Notizen hinterließ, die er beim nächsten Mal abfragte.
Viel gebracht hat das natürlich nicht, außer dass Banger und Crackers sich besser verstehen und Billy Idols Hund uns jetzt große Haufen in den Garten setzt.
Erzählte ich meinen Freunden aus Deutschland von meinen Erlebnissen, wurde ein kleines Comedy-Programm daraus, nur unterbrochen von Einwürfen wie: »Das ist nicht dein Ernst!« Mit meinen Nachbarn in L.A. konnte ich dagegen kultivierte Gespräche zum Thema führen.
»Langsam wollte auch ich, dass mein Hund sein Potential ausschöpft.«
Ich bemerkte, wie mich der Selbstoptimierungsdrang der Westküstler ergriffen hatte. Langsam wollte auch ich, dass mein Hund sein Potenzial ausschöpft. Also saß ich abends mit meinem Mann vor dem Fernseher, um die Realityshow The Dog Whisperer zu verfolgen, in der Cesar Millan zeigt, wie man mit Problemhunden umgeht: »Lassen Sie Ihr inneres Alphamännchen frei! Führen Sie das Rudel!« Auf meinem Nachttisch türmten sich bald Ratgeber, wie man der beste Freund des Hundes wird und seine Sprache lernt. War ich allein zu Hause, blinzelte ich Crackers Vertrauen stiftend zu und probierte die Yogapose »Herabschauender Hund«, um ihm meine Zuneigung zu signalisieren – so wie es die Ratgeber fordern.
Nach der Basisarbeit trugen wir Crackers zu Spaziergängen in den Canyon und schleusten ihn auf Partys ein, mit einer Fliege dekoriert. Bei einem dieser Ausflüge berichtete ein anderer Nachbar von der Theorie, dass Hunde genau wie Menschen stabile Freundschaften brauchen: Man solle deshalb »Playdates« mit befreundeten Hunden einrichten und gemeinsame Spaziergänge arrangieren. Also gehen auch wir jetzt zu »Playdates«, bei denen Crackers und ich die Bulldogge Isis, den Pinscher Anubis und die Bassetdame Aurora kennenlernten. Ihr Besitzer, David, ein Pop-Art-Künstler, schiebt die altersschwache Isis im Kinderwagen regelmäßig an unserem Haus vorbei den Berg hoch. Auf dem Gipfel darf sie aussteigen und eine Runde drehen.
Wenn wir nicht mit David und seinen ägyptischen Göttern unterwegs sind, spazieren wir in den Canyon. Dort hat Crackers mittlerweile mit den Hunden von Steven Spielberg, Jennifer Aniston und Jake Gyllenhaal angebandelt.
Wer einen Hund hat, kann sich seine Bekanntschaften nicht mehr aussuchen. Manche sind eine Bereicherung, wie die mit der alten Kitschroman-Autorin, die Crackers und mich zum Tee einlud und meinem Kleinen Profiteroles aus der Hundebäckerei servieren ließ. Wer will sich schon lustig machen über so viel Gastfreundschaft?
Manchmal gehen Bekanntschaften auch schief: Ein weiterer Nachbar stellte uns seine neue Freundin Lacey vor, eine makrobiotisch lebende Yogalehrerin, und ihren Hund Bodhi. Bodhi ist ein Shih Tzu und wird vegan ernährt. Er spielte eine Zeit lang mit Crackers bei uns im Garten und stürzte sich dabei auf jeden Fleischknochen. Ich wollte das mit Minzleckerli kaschieren, aber statt Bodhi oder Lacey kam unser Nachbar vorbei und erklärte mit betretener Miene, Bodhi dürfe nicht mehr zum Spielen kommen. Er habe Hausarrest wegen bone breath – sein Atem stinke nach den Spielnachmittagen bei Crackers nach Knochen.
Nach und nach wurde mein innerer Abstand zu dieser Stadt und ihren Bewohnern geringer. Crackers ließ mir keine andere Chance. Schleichend wurde ich eine von ihnen. Weil Crackers die rohen Fleischlaibe aus der Öko-Tierhandlung empört von sich wies, fing ich an, täglich für ihn zu kochen: gedämpftes Bio-Huhn, Brokkoli, braunen Reis und rohe, geraspelte Karotten – gegart hätten sie einen zu hohen glykämischen Index. Als ich Crackers zum Impfen bringen wollte, zeigte sich die Tierärztin Dr. Smith beeindruckt von Crackers’ Kost. Sie ist Heiltherapeutin; ihre Praxis wirkt wie eine Mischung aus Spa und Kindergarten, mit einer Gummimatte in der Mitte des Behandlungsraums, auf der sie mit Crackers herumtollte. Als er sie aber anknurrte, folgte eine emotionale wie körperliche Tiefeninspektion und schließlich eine Akupunktur gegen Wutausbrüche.
Zwei Stunden lang analysierte sie Crackers nach der traditionellen chinesischen Medizin, inklusive Pulsmessen und Ernährungsumstellung: Ich koche jetzt Pute statt Hühnchen. Die Spritze, wegen der wir gekommen waren, gab es letztlich nicht, weil Dr. Smith der Anti-Impfbewegung angehört. Sie verabschiedete uns mit homöopathischen Anregern fürs Immunsystem, Enzymen und Antioxidantien.
Nun nimmt mein Hund mehr Vitaminpräparate als ich.
Beim nächsten Gruppentreffen habe ich Mrs. Idol die Akupunktur auch für Banger empfohlen. Dr. Steinberg, der die Heimkind-Neurose bei Crackers diagnostiziert hatte, feuerten wir in L.A.-Manier: zweimal den Termin verschieben und dann nicht mehr ans Telefon gehen. Zwischen Banger und mir läuft es mittlerweile auch besser, er versucht nicht mehr, mich zu beißen – nachdem ich ihn eine Stunde lang geduldig mit Manchego-Krümeln aus dem besten Käseladen der Stadt gefüttert habe, sind wir Freunde geworden. Das habe ich gemacht, obwohl ich wusste, dass Mrs. Idol schockiert darauf reagieren würde, nicht etwa wegen der Verschwendung von Manchego-Käse, sondern wegen der möglichen Laktose-Intoleranz ihres Hundes.
Vor einer Woche habe ich Crackers wieder durch den Runyon Canyon gejagt, er hatte sein Gewinnerlächeln aufgesetzt. Ein Talentscout sprach mich an: Das sei aber ein hübscher Hund, ob Crackers nicht bei einem Casting für Trockenfutter-Werbung mitmachen wolle. »Hat er einen Agenten?«, fragte der Mann. Jetzt bin ich endgültig angekommen.
Illustration: Thomas Kartsolis