Ich wollte nur ein Spray kaufen für meinen Hibiscus, gesund werden sollte er, bevor er raus auf den Balkon kommt. Mehltau hatte sich auf seine Blätter gelegt, jener Schädling, der wie weißer Staub aussieht – es wurde höchste Zeit ihn vom dunklen Hausflur zu holen, wo er über den Winter vor sich hin murkelte. Also ging ich in den ›Blütenzauber‹, das Blumengeschäft bei mir um die Ecke – und stach in ein Wespennest.
Als ich der Verkäuferin den Zustand des Hibiscus schilderte, ging sie nach hinten und kam mit drei verschiedenen Flaschen in drei verschiedenen Größen wieder und mit einer Packung Stäbchen, die man in die Erde des Topfs stecken konnte. Sie sagte nichts.
Ich fragte: Welche soll ich denn nun nehmen?
Sie sagte: Sie können sich ja die Anleitung auf der jeweiligen Rückseite durchlesen.
Ich sagte: Da brauche ich doch ewig dazu und weiß nachher trotzdem nicht, welches Mittel besser ist.
Sie sagte: Tut mir leid, ich darf nicht mehr beraten, EU-Vorschrift.
Da war es, das böse, böse Wort. EU-Vorschrift, das klingt oft wie Rotz am Ärmel. Und ein wenig angeekelt sah die Verkäuferin auch aus, als sie schilderte, dass sie, obwohl ausgebildete Floristin, eine Nachschulung zum Thema Pflanzenschutzmittel machen müsse, wenn sie solche Mittel weiterhin verkaufen wolle: Vier Stunden während der Arbeitszeit. Kosten? Je nach Anbieter zwischen 50 und 200 Euro. Und das, obwohl Pflanzenschutz und Schädlingsbefall ein wichtiger Teil ihrer Ausbildung waren.
Warum glauben Sie, hat die EU diese Vorschrift erlassen? »Ich weiß es nicht.« Und nein, die Fortbildung werde sie nicht machen.
Sie auch nicht, sagt ihre Chefin, Eva Ostermair, am nächsten Tag: »Wenn die letzten 20, 30 Flaschen, die ich noch habe, verkauft sind, tue ich mir keine neuen her.« Die Gewinnmargen seien ohnehin klein und die Mittel schon im Einkauf so teuer, da könne sie nicht mit Großabnehmern konkurrieren wie Gartencentern und Baumärkte. Aber gerade deren Kunden kämen oft zu ihr, weil sie sich im Baumarkt schlecht beraten fühlten und weil jene, die dort arbeiteten, meist keine Gärtner oder Floristen seien.
Frage an die Chefin: Warum hat die EU diese Vorschrift erlassen? »Vielleicht, weil die Floristenausbildung in anderen Ländern nicht so gut ist und das Wissen über Pflanzenschutzmittel nicht automatisch wie bei uns vermittelt wird?«
Es wäre keine EU-Vorschrift, wäre sie nicht kompliziert: Es genügt nicht, wenn eine Mitarbeiterin die Fortbildung macht, oder den »Anwenderschein« wie die Floristen sagen, es sei denn, sie ist immer da während der Öffnungszeiten des Ladens. Geht schon mal nicht in Eva Ostermairs ›Blütenzauber‹, weil dort alle sechs Mitarbeiter inklusive der Chefin Teilzeit arbeiten. Obendrein muss man die Fortbildung alle drei Jahre wiederholen. Aber eine ihrer Mitarbeiterinnen, die habe die Fortbildung schon gemacht, sagte die Chefin, die sei immer samtsags da, von acht bis 13 Uhr.
Also, viel habe ihr der Kurs nicht gebracht, meint die Mitarbeiterin am Samstag, sie sei in einem Raum gesessen mit Zierpflanzen-, Friedhofs-, Gemüse- und Produktionsgärtnern – das sind jene, bei denen die Floristen ihre Blumen kaufen – und Bauern. Alle hätten unterschiedliche Aufgabengebiete: Gärtner und Bauern säen auf großen bis riesigen Flächen aus, Floristen maximal im Blumentopf. Sie hätten sich auf Bildern Schädlinge angeschaut, erzählt die Samstagsmitarbeiterin weiter, und darüber geredet, wie Schutzbrillen zu säubern sind und wozu welcher Schutzanzug getragen wird. »Das nützt mir gar nichts.«
Können Sie sich nach der Fortbildung erklären, warum die EU die Vorschrift erlassen hat? »Vielleicht, weil sich seit meiner Ausbildung viel bei den Gesetzen zur Schädlingsbekämpfung geändert hat, ebenso bei den chemischen Zusammensetzungen der Substanzen?« Aber beim »Erzeugerring Oberbayern« könne man mir sicher Auskunft geben.
Der Mann vom Erzeugerring verweist gleich an das Bayerische Amt für Landwirtschaft, das sei zuständig für die Fortbildung, »denn Pflanzenschutz ist Ländersache«.
»Gut, aber können Sie mir sagen, warum die EU diese Vorschrift erlassen hat?«
»Mei, da werd hoit a EU-Verordnung umgsetzt.«
Beim Bayerischen Amt für Landwirtschaft muss man die Fragen schriftlich stellen. Bevor sie beantwortet werden, bittet man mich dringend, unbedingt zwischen Sachkunde und Sachkundefortbildung zu unterscheiden. Bitte sehr. Die Antworten fallen eher kryptisch aus und verweisen gern auf eine Stelle höher.
Meine ersten Fragen lauteten: »Warum wurde diese EU-Vorschrift erlassen? Welchen Grund gibt es dafür?« Ehrlich, die Antwort können Sie sich sparen, auch die darauf folgende von den Internetseiten des Bundesamtes für Verbraucherschutz. Am besten, Sie springen gleich zum übernächsten Absatz, es ist sonst wirklich frustrierend. Für die Hartgesottenen, die Antwort des Bayerischen Amtes für Landwirtschaft: »Floristen müssen zuerst eine Fortbildung zum Pflanzenschutz wahrnehmen. Details finden Sie im dt. Pflanzenschutzgesetz und in der Sachkundeverordnung. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an das Bundeslandwirtschaftsministerium.«
Nun die Antwort des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: »Grundlage für das EU-Recht bildet die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates. Die Verordnung regelt auch die gemeinschaftliche Wirkstoffprüfung und löste im Juni 2011 die Richtlinie 91/414/EWG ab...«
Letzter Versuch: Der Fachverband der Deutschen Floristen, Abteilung Bayern: »O je«, sagt die Frau am Telefon gleich, »wegen der Fortbildung rufen am Tag sicher fünfzig Leute an, weil sich anscheinend keiner auskennt«. Dann verbindet sie zu Barbara Storb, Geschäftsführerin des Fachverbandes, die gern Auskunft gibt. Und mir klar macht, dass meine allererste Verkäuferin sich täuschte, als sie zwar die Pflanzenschutzmittel vor mir aufstellte, aber behauptete, sie dürfe mich nicht mehr beraten. Tatsächlich hätte sie mich noch bis 26. Mai beraten dürfen, »bis dahin muss eine ausgebildete Floristin die ›Sachkundenachweiskarte‹ beantragen und die Schulung bis Ende des Jahres 2015 machen«. Und alle, die in einem Gartencenter oder Baumarkt mit Pflanzenschutz zu tun, aber keine Ausbildung auf dem Gebiet haben, würden intensiver geschult, um den so genannten ›Giftschein‹ zu kriegen.
Es gibt den ein oder anderen Hoffnungsschimmer, zum Beispiel den: Bei biologischem Pflanzenschutz ist alles anders. So empfiehlt Barbara Storb vom Floristenfachverband Marienkäfer gegen Blattläuse aller Art zu verwenden, denn die Käfer ernähren sich von Läusen während der 21 Tage, in denen sie leben. Bestellen kann man sie ab Mai bei verschiedenen Firmen im Internet, 150 Stück kosten dort 21,95 Euro. Sonst eignen sich zur biologischen Bekämpfung von Läusen noch Brennesselsud oder eine Knoblauchlauge, Schildläuse reagieren auf ölhaltige Sprühmittel. Warum aber nun die EU-Verordnung heraus gegeben wurde, weiß auch Barbara Storb nicht so genau.
Aber ich, jedenfalls zum Teil, so viel habe ich inzwischen gelesen darüber.
1. Durch die Schulungen sollen alle, die in Europa beruflich mit Pflanzen zu tun haben, auf dem selben Stand der Informationen sein.
2. Die Zusammensetzung chemischer Substanzen ändert sich schnell, je nach Kenntnisstand sind neue Zusätze erlaubt oder verboten – darum die Pflicht, alle drei Jahre zur Nachschulung zu gehen.
3. Und: Zum Schutz von Bienen hat die EU-Kommission die Anwendung der so genannten Neonicotinoide eingeschränkt, die oft Bestandteil bei der Bekämpfung von Schädlingen sind. Sie stehen in Verdacht, auf Bienen sehr giftig zu wirken und dafür verantwortlich zu sein, dass die Bienen nicht mehr den Weg zurück in den Bienenstock finden.
Ja, sagt Barbara Storb vom Floristenverband, gut möglich, dass das die Gründe für die EU-Verordnung sind.
Na also, geht doch.
Foto: Caro / Petra Wallner