An einer der weißen Tafeln des italienischen Restaurants, in dem sich Berlinmittige beim Essen beobachten, sitzen zwei Frauen und drei Männer und erzählen sich was. Eine dritte Frau tritt hinzu. Sie begrüßt die Frauen und zwei der Männer, die beide aufstehen, wie es sich gehört. Der dritte Mann bleibt sitzen, als sie neben ihm Platz nimmt, und nickt ihr kurz zu.
Das dürfte ihr Ehemann sein. Aus einer Ansichtssache logisch scheinende Schlüsse zu ziehen, eine Vermessung der Welt nach Augenblicken vorzunehmen, ist zwar anmaßend, aber für Journalisten typisch wie zum Beispiel auch die Suche nach Leichen in den Kellern der Mächtigen, der Reichen, der Schönen. Über Menschen zu urteilen, die man kaum kennt, aber erkennbar zu machen glaubt, indem man sie beschreibt, gehört im zweitältesten öffentlichen Gewerbe zum Tagesgeschäft.
Der Vorstandsvorsitzende des Verlages Axel Springer weiß um diesen Faktor Risiko. Denn Mathias Döpfner, 44, war Journalist, bevor er Manager wurde. Das Spiel ist ihm also vertraut aus den Zeiten, da er auf der anderen Seite des Tisches saß. Mit Fakten und nicht bloß per Augenschein belegbar sind Erfolge wie Misserfolge in der Karriere Döpfners, der als geborener Rheinländer mit Wohnsitz im preußischen Potsdam inzwischen aus Pflichten Lustgewinn zu ziehen vermag. Verlust von Leben ist nach landläufiger Meinung zwar der Preis für Macht, doch wer darüber klagt, sollte die Küche, in der es nun mal heiß zugeht, lieber verlassen. Der vielfache Familienvater Döpfner mag die Hitze.
Nachdem er vor einem halben Jahr, wenn auch zu einem Vorzugskurs von 77 Euro pro Aktie, zwei Prozent Anteile am Verlag erwarb, den er leitet, wachte er wegen des Risikos, sich mit mehr als fünfzig Millionen Euro privat verschuldet zu haben, »des Nachts öfter auf mit der Frage: Was, wenn ich einmal Zinsen und Tilgung nicht bedienen kann? Und genau dieses Empfinden des Unternehmerrisikos ist gesund.« Mittlerweile hat er, dann zum Aktienkurs von 122 Euro, ein knappes Drittel seiner Anteile verkauft und die Verschuldung reduziert. Nach Ausübung des Optionsprogramms werden ihm wieder genau zwei Prozent der Aktien gehören.
Döpfner genießt seit seinem Amtsantritt im Jahre 2002, da der Kontostand bei Axel Springer minus 191 Millionen Euro betrug, als größtmöglicher Vorsitzender, den sein Schneider bei 2,01 Meter vermisst, die mittlerweile auf über 291 Millionen pro Jahr gestiegenen Gewinne, so das eben gemeldete neuerliche Rekordergebnis, wie eine gelungene Operninszenierung. Davon versteht er mehr als andere.
Döpfner hat nicht, wie auf seinen Spielbühnen üblich, in Betriebswirtschaft oder Jurisprudenz promoviert, sondern seine Dissertation über Musikkritik in Deutschland nach 1945 geschrieben, und angefangen hatte der Jüngling einst als Musikkritiker bei der FAZ. Bis heute zählt er seinen ersten da gedruckten Artikel zu den Highlights des beruflichen Lebens.
Die anderen?
Dass er kühl taktierend den Verlag, der ihm ein festes Jahresgehalt von geschätzt fünf Millionen Euro zahlt, vom bedrohlichen Schattenmann Leo Kirch befreit und dabei noch Kasse gemacht hat. Dass er als einziger Europäer in den Verwaltungsrat von Time Warner in New York berufen wurde. Weil in diesem Board nicht nur abgenickt wird, wie es so Sitte ist in deutschen Aufsichtsgremien, was Vorstände beschlossen haben. Sondern Döpfner mit seiner Lust auf Risiko, Scheitern inbegriffen – drüben unter »nice try« abgehakt anstatt Karrieren für beendet zu erklären – auf »die Champions League der Branche trifft«. Das fasziniert ihn. Eine solche Klasse erlebt er in der Deutschland AG eher selten.
Scheitern musste er zuvor in der Bundesliga lernen: Der ehemalige Assistent des ehemaligen Gruner+Jahr-Vorsitzenden Gerd Schulte-Hillen war als Chefredakteur der Hamburger Morgenpost ebenso eine Fehlbesetzung wie als Chef der Wochenpost. Beides war nicht seine Welt, weshalb er zur Welt ging. Deren Verluste lagen bei rund vierzig Millionen Euro pro Jahr, wo sie etwa auch blieben, aber er schaffte damals als Journalist eine andere deutsche Wende. Der weltgewandte Konservative, der den American Way of Life sosehr bewundert, dass er sogar George W. Bush billigend in Kauf nimmt und die »Solidarität … mit den Vereinigten Staaten von Amerika« an Stelle der einstigen Forderung nach Wiedervereinigung in die fünf Glaubensgrundsätze des Hauses eintragen ließ, die Bestandteil aller Verträge sind – »das ist kein Bekenntnis zum Krieg, sondern gegen Antiamerikanismus« –, durchlüftete die Welt so lange, bis es nicht mehr nach dem getrockneten Schweiß der alten Kampfschreiber roch.
Falsche Positionen von gestern »souverän zu räumen, anstatt sie reaktionär zu verteidigen, das ist Fortschritt«, sagt Döpfner. Auch er hat ein Bild von der Welt, doch denen, die es mit ihm nicht teilen, gesteht er ihr anderes Weltbild zu. Die hoch bezahlten Seilschaften der Höflinge, deren Protagonisten Springer-Sohn Axel alias Sven Simon einst das klassische Bonmot widmete »Sieh, der Gute lügt so nah«, hatte ihm die Witwe des Gründers schon vor seinem Aufstieg in die oberste Etage auf ihre ungerührt stille Art, die Friede Springer von anderen aus der Branche unterscheidet, für viel Geld entsorgt. Statt des üblichen nationalen Männerordens unter Führung wechselnder Äbte gab nunmehr ein internationales Alphateam die Strategie des Konzerns vor. Ihr Alphatier Mathias Döpfner konnte die Verlegerin auch in intellektuellen Kreisen vorzeigen, er passte zudem nach Berlin, das sich seit der Wende immerhin bemüht, eine Weltstadt zu werden.
Natürlich ist er stolz. Natürlich ist er eitel. Aber diese Eitelkeit wirkt natürlich, ist nicht gepaart mit arrogant wirkender Unsicherheit und geschwollener Rede, die ihm früher so eigen war. Sie wird immer wieder gebrochen durch jungshaft aufbrechendes Staunen über die eigenen Erfolge. Als müsse er sich kneifen, dass er tatsächlich von sich spricht, wenn er über sich redet.
Arroganz wurde Döpfner also bereits attestiert, als er noch keine Macht hatte. Zur Arroganz schien sich die Macht zu gesellen. Doch der Neue nahm die Macht nur zur Brust und ging mit der Geliebten als ständiger Begleiterin auf Reisen. Zu Hause ordnete er den Haushalt durch Tilgung von Privilegien der Ordensbrüder – Dienstwagen, Privatflugzeuge, Spesenkonten –, den Verkauf unrentabler Objekte, den goldenen Schuss auf Kirch, durch Personalabbau, was wie in anderen Medien-Unternehmen auch hier Freisetzung genannt wird.
Journalisten an der Spitze des Konzerns gab es schon vor ihm, doch so einen gebildeten wie ihn noch nie. Das ist nachlesbar wahr: Im vergangenen Jahr vergab die Welt den Auftrag, eine Kritik über die Neuinszenierung von Wagners Der Ring des Nibelungen in Bayreuth zu schreiben, an einen freien Mitarbeiter. Der wählte einen verblüffenden Einstieg, bevor er seiner Bildung freien Lauf ließ, und beschrieb einen Gang aus der Villa Wahnfried über die Richard-Wagner-Straße bis zur Kreuzung Cosima-Wagner-Straße: »Dann sieht man an der Ecke auf der linken Seite eine kleine, heruntergekommene Pilskneipe mit vergilbten blauen Blumenvorhängen. Der Name des Lokals ist Merlin. Im Fenster hängt ein gelbes Plastikschild: Zu verkaufen… Merlin läuft nicht in Bayreuth…« Um erst danach auf den Regisseur Tankred Dorst überzuleiten, dessen Theaterstück Merlin, Dauer 14 Stunden, einst den Herrn der Ringe, Wolfgang Wagner, so beeindruckt habe, dass er Dorst im Sommer 2006 zum Herrn des Rings erkor.
Der freie Mitarbeiter hieß Mathias Döpfner. Fundiert wie er hätte nur ein einziger anderer deutscher Verleger aus seinem Fach berichten können, Hubert Burda, Doktor der Kunstgeschichte. Sie haben noch mehr gemeinsam. Beide leiden unter Schmuddelkindern, was sie aber nie zugeben dürfen, weil die ihnen viel Geld einbringen. Der eine unter Super, das im Osten auf dem Niveau druckt, das der MDR für TV-Unterhaltungsprogramme besetzt, der andere unter Bild, dem Zentralorgan für niedrige Instinkte, wo oft Gasse mit Gosse verwechselt wird und das um die 160 Millionen Euro pro Jahr zum Ergebnis des Verlages beiträgt. Burda wie Döpfner müssen ihre Art verleugnen, wenn sie deren Art verteidigen.
Bildungsbürger Döpfner wirft sich jedoch nicht nur pflichtgemäß, sondern leidenschaftlich vor Bildbürger Kai Diekmann, der von allen bösen Geistern verkannt werde, der qua Job gezwungen sei, seine Sensibilität bei der täglichen Bild-Hauerei zu unterdrücken. Diekmann dürfte außer seinem Franz Josef nur dann etwas von Wagner drucken, wenn Katharina goldenblondbloß auf einem Fell am Rhein liegt, sein Chef schwärmt für die »rauschhaft-emotionale Wirkung« von Hitlers Lieblingskomponisten, vergisst jedoch nicht, über den »antisemitischen, antikapitalistischen und… wohl überdurchschnittlich unsympathischen Menschen« zu schreiben.
Döpfner gerät auch bei anderer Musik ins Schwärmen. Bei James Brown zum Beispiel, dem verstorbenen Gottvater des Soul. Man wird – Ausnahme vielleicht der begabte Rockmusiker Bernd Buchholz von Gruner+Jahr – keinen Verlagsmanager finden, der da mitsingen könnte. Döpfner lobt den 70-jährigen Wolf Biermann in einer Laudatio, die er sich nicht abnehmen ließ von einem Redenschreiber, sondern selbst 16 Stunden lang an jedem seiner Sätze feilte, als »Menschenstarrkopf« und zitiert des einst linken Bänkelsängers Lied Drei Kugeln für Dutschke mit den Zeilen: »Die Kugel Nummer eins kam/aus Springers Zeitungswald/Ihr habt dem Mann die Groschen/Auch noch dafür bezahlt«, was in den gemeinten anderen Zeiten des Hauses Springer sofort mit Verbannung nach drüben, das es damals noch gab, oder in die Innenstadt von Hannover, die es immer noch gibt, bestraft worden wäre. Er fuhr im vergangenen Sommer für ein Gespräch zum Nationaldichter Günter Grass, um »Positionen auszutauschen«, abgedruckt dann im Spiegel, und fühlte sich »persönlich von der moralischen Instanz getäuscht, die anderen, sogar Axel Springer, gerne faschistische Tendenzen vorwarf«, nachdem kurz darauf Grass seine frühe und lange verschwiegene Mitgliedschaft bei der Waffen-SS enthüllte.
Linke Spießer sind Döpfner, Weltkind in der neuen Mitte, ebenso suspekt wie rechte. Früher allerdings waren die einen fast alle fest angestellt bei Springer. Konkurrierende Großverlage sind anhand ihrer Produkte auch nicht mehr auf einen Blick erkennbar. Heute hauen sich die von der einen mit denen von der anderen Straßenseite nicht mehr auf weitem Feld, sondern treffen sich eher beim Abendessen in Berlin oder bei der Akquisition zukünftiger Geschäfte am anderen Ende der Welt.
Unlängst in Los Angeles: Beim Anblick eines Dinosauriers auf dem Gelände der Filmproduktion, mit deren Chef er verabredet ist, denkt Mathias Döpfner nicht vordergründig an die Vergänglichkeit allen Seins, sondern macht sich an die Zukunft ran. Er zückt sein Fotohandy und bittet ein junges Mädchen, die paar Deutschen vor dem Hintergrund des Urtiers zu knipsen. Just for fun. Sie fragt das, was Amerikaner zuerst fragen, wenn sie auf Fremde stoßen: Where do you come from? Germany. Und was machen Sie? Newspapers. Oh, Zeitungen, davon habe ich auch schon mal gehört.
Döpfner erzählt diese Anekdote nicht von ungefähr. Er verbindet damit eine Botschaft, und die lautet, dass eine Generation herangewachsen ist, ob nun dort drüben oder bei uns hüben, die von den etablierten Medien nicht mehr erreicht werden kann, weil diese jungen Erwachsenen nie eine Zeitung vermisst haben, sich von Kindesbeinen an im Netz getummelt haben.
Wie agiert ein Verleger in einer solchen Welt? Er glaubt zum einen an eine eigene Vision von der und will die andere eigene spätestens in vier Jahren in den schwarzen Zahlen sehen. Außerdem glaubt der global orientierte Döpfner nach wie vor, trotz Google und Ebay und Web 2.0 und IPTV (Internet Protocol Television), wo er mitspielen will, an die Kraft großer Reportagen, an die Kreativität begabter Blattmacher, kurzum: an die Magie des Wortes, an Wahnsinnige mit Lust auf den Faktor Risiko.
Wegen der erreichten Fallhöhe könnte jede Niederlage Döpfners die letzte sein. Das schreckt ihn nicht. Sagt er. Eine gute Story finde, egal in welchem Medium, immer ein Publikum. Seine Geschichte würde er natürlich selbst schreiben.