An dem Tag, als Nicolas geboren wurde, zerbrach eine Welt. Weit weg, in Washington, stellte sich ein glatzköpfiger Mann hin und erklärte, dass er Lehman Brothers leider nicht helfen könne. Die Bank ging pleite. Es war der große Fehler, es war ein Zeichen, wie tief wir alle fallen können. Nichts war mehr sicher, nichts galt mehr. Eine Epochenwende. Nicolas wurde am 15. September 2008 geboren. Er ist ein Kind der Weltwirtschaftskrise.
Wie wird er auf dieses Datum schauen, wenn er 20 Jahre alt ist? In was für einer Welt wird er 2028 leben? Wird er Wohlstand nur noch aus Geschichten kennen? Was wird das Wort Sicherheit für ihn bedeuten? Was Freiheit, Individualismus, Anpassung, Glück? Wird er wütend sein auf seine Eltern? Und was wird er mit dieser Wut machen? Nicolas Vater sitzt am Laptop und tippt, Nicolas Mutter kommt ins Zimmer und trägt ein wenig von der Angst im Gesicht, die jetzt gerade aus dem Großen ins Private sickert. In der Abfolge der Generationen war es bislang das Privileg der Jungen, dass sie die Welt in Scherben schlagen. Heute erledigen das die Alten, erledigen wir das selbst. Klimakatastrophe, Finanzkrise, Staatsschulden, Rentenloch, Ende des Öls, Abstieg des Westens, das asiatische Jahrhundert, Überbevölkerung, Wassermangel, das Wesentliche kippt. Was bleibt da für die neue Trümmergeneration? Einfach hinter uns aufräumen?
Nicolas Eltern haben nichts zerschlagen. Im Gegenteil, sie haben etwas geschaffen. Sein Vater war der Erste der Familie, der studierte, der Großvater war Malermeister, der Urgroßvater auch, er hat das Mehrfamilienhaus gebaut, in dem Nicolas heute mit seinen Eltern wohnt. Nicolas Mutter war erst Krankenschwester, dann arbeitete sie für die Softwarefirma SAP, und wenn sie jetzt nicht gerade Nicolas stillt, macht sie an der Uni ihren Master. Lebenslanges Lernen? Aufstieg durch Bildung? Der Generationenvertrag? Gilt das alles noch für Nicolas?
»Er muss nicht unbedingt den klassischen Weg gehen«, sagt sein Vater, ein ruhiger Mann. »Wir versuchen ihm Werte zu vermitteln, er soll Erfahrungen machen, er wird Zeit haben, sich zu entwickeln. Es ist uns egal, ob er studiert oder einen Handwerksberuf ergreift. Die Kinder werden sich schon irgendwie richten. Ich will ihm Nachdenklichkeit mitgeben, das Bewusstsein für Zeit und dafür, was es bedeutet, für andere da zu sein.«
Werte also, immaterielle Werte. Nicolas Vater ist ein später Vater, er ist 55 Jahre alt und Optimist aus Notwendigkeit. Oder aus Notwehr. Aber dass es seinem Sohn einmal besser geht als ihm, das glaubt auch er nicht. Er ist Volkswirt, er kennt die Zahlen.
Schon wer heute 30 Jahre alt ist, zahlt 100000 Euro mehr in die öffentlichen Sozialkassen ein, als er später wiederbekommt. Das ist eine massive Umverteilung von Jung zu Alt. Der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen hat noch ein wenig weitergerechnet: Der Staat müsste sechs Billionen Euro Rücklagen bilden, um das heutige Niveau bei Rente, Gesundheit und Pflege auch für die nächsten Generationen zu gewährleisten; dabei klaffte schon 2006, lange vor der Finanzkrise, ein Loch von 1,5 Billionen in der Kasse. Das ist ein fahrlässiges Spiel mit der Zukunft. Um das Leistungsniveau halten zu können, müssten die Steuern sofort um 15 Prozent erhöht werden. Das wäre so etwas wie die Enteignung der einen Generation durch die andere.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Kinder wie Nicolas sind die Crashtestdummys dieser Zeit. An ihnen wird ausprobiert, wie man sich für die Zukunft rüstet, sie werden ausbaden, was wir heute falsch machen.)
Die Fakten sind also bekannt, die Frage ist, wie wir damit umgehen. Alt gegen Jung ist ein möglicher Konflikt, der auf dem Arbeitsmarkt, in den Krankenhäusern, auf den Straßen ausgetragen wird. Die Spaltung der Gesellschaft scheint nicht mehr aufzuhalten, da verstärkt das Scheitern des Turbokapitalismus nur dramatisch etwas, was schon lange läuft. Das »Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft«, diagnostiziert der Soziologe Heinz Bude in seinem Buch Die Ausgeschlossenen, der 24-jährige Politikberater Wolfgang Gründinger spricht in seinem Buch von einem »Aufstand der Jungen«.
Die größere Frage hinter der Finanzkrise aber lautet: Trägt das Fundament? Wie krisenfest ist diese Wohlfühldemokratie, die noch keine echte Prüfung aushalten musste? Wo soll der Wohlstand herkommen, nun, da die Marktwirtschaft nur noch Schulden und Verluste, aber keine Werte mehr produziert? Was passiert, wenn das System dem Crashtest nicht standhält?
Kinder wie Nicolas sind die Crashtestdummys dieser Zeit. An ihnen wird ausprobiert, wie man sich für die Zukunft rüstet, sie werden ausbaden, was wir heute falsch machen. Es gibt verschiedene Szenarien, und nicht immer ist klar, dass es besonders hilfreich ist, dauernd nur angstvoll an die Zukunft zu denken. Manchmal reicht es, das Vernünftige zu tun; manchmal muss man das Utopische wagen.
Jemand wie der Erziehungswissenschaftler Remo Largo sieht täglich, was die Krise mit Kindern macht. Er stellt eine »enorme Hilflosigkeit«, ja »Inkompetenz« der Eltern fest, die zum Ratgeberwahn führt »eine ganze Förderindustrie ist da entstanden, die sich Fachleute ausgedacht haben«. Die existenziellen Ängste der Eltern werden auf die Kinder übertragen, was zu überhöhten Erwartungen führt und zur grundlegenden Frage, wem das Kind in Zukunft gehören soll: sich selbst oder den Eltern oder der Gesellschaft eine der Schlüsselfragen, falls der Individualismus im Zeichen der Krise immer mehr eingeschränkt werden sollte. Es gibt eben auch im Kapitalismus kollektivistische Tendenzen.
»Es herrscht eine unglaubliche Angst vor dem Abstieg«, sagt Remo Largo, »und aus Angst macht man häufig das Falsche: Man erzeugt angepasste Leistungsmenschen, die nicht weit genug und nicht selbstständig denken. Es geht um Status, nicht um Kompetenz. In der Schule stellt man sich auf das ein, was von der Wirtschaft heute gefordert wird. Aber der Markt kennt nur den Moment und nicht die Zukunft. Wer weiß denn, was in 20 Jahren nötig ist?«
Selbstbewusste, offene, kreative Kinder braucht es, sagt Largo, die eher menschlich als fachlich gebildet sind. Der Widerspruch ist: Wer heute seine Kinder panisch auf die Zukunft vorbereitet, der verbaut sie ihnen im Grunde schon wieder.
Das Dilemma der Krise: Wir schauen nach vorn und rennen damit gegen eine Mauer. Schlimmer ist nur, wenn wir panisch die Gegenwart auf Kosten der Zukunft subventionieren wie bei der Abwrackprämie. »Ein Desaster«, nennt das Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), wo sie die Abteilung »Energie, Verkehr, Umwelt« leitet. »Die Wegwerfgesellschaft wird gefördert, veraltete Technologie verramscht, neue Lösungen werden verhindert.«
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie werden wir also leben? Die Städte werden wachsen, es wird Steppen in Ostdeutschland geben und bundesweit weniger Pendler, die Energie wird teurer, Fliegen wird ein Elite-Spaß werden, der Massenferntourismus wird verebben.)
Claudia Kemfert sieht die Chance in der Krise, die Möglichkeit, einen grundlegenden ökologischen Wandel zu erreichen. Die Frage ist nur, ob das mit diesen Politikern, mit diesem Wirtschaftssystem gelingen kann.»Gerade beim Thema Energie und Klima ist die Marktwirtschaft nicht genügend anpassungsfähig«, sagt Kemfert. »Warum verbrennen wir immer noch Öl?«, fragt sie, »das ist eine Technik, die 200 Jahre alt ist.«
Innovation sei der entscheidende Faktor, aber »wir haben mindestens zehn Jahre Zeit verloren, wir sind im Grunde zu spät dran. Wenn wir heute etwas ändern, dann dauert das mindestens 15 Jahre, bis es Wirkung zeigt.« 2028 also, bis dahin kann Nicolas wählen gehen.
Je länger Claudia Kemfert redet, desto deutlicher wird die Dimension dieser Krise. Neben den üblichen Beschwörungen des Siegeszugs der erneuerbaren Energien gibt es auf einmal Szenarien wie das von der Rückkehr der Kohle in Deutschland. »Wenn der Preis nur hoch genug ist, lohnt sich das wieder«, sagt Kemfert, »aber nur, wenn die Kohletechnologie umweltfreundlich wird.« Das wäre eine Art Umkehrung der industriellen Entwicklung des letzten Jahrhunderts, man sieht schon Förderanlagen, die in Kulturstätten umgewandelt wurden, wieder rauchen und koksen.
Wie werden wir also leben? Die Städte werden wachsen, es wird Steppen in Ostdeutschland geben und bundesweit weniger Pendler, die Energie wird teurer, Fliegen wird ein Elite-Spaß werden, der Massenferntourismus wird verebben.
Kernfrage für Umwelt und Wirtschaftsentwicklung bleibt die persönliche Mobilität. Wie gelangen wir von A nach B, wenn Autofahren einmal zu teuer sein wird? Wird jemand einen Ersatzstoff für das Öl erfinden? Wird uns also die Technologie aus dem Schlamassel helfen?
Das ist ja nicht ganz unwahrscheinlich. Nikolai Kondratjew hieß der Wirtschaftswissenschaftler, der die Zyklen berechnen wollte, in denen sich technologische Innovationen vollziehen. Nach der Kommunikationsrevolution der letzten 20 Jahre wäre nun eine Energierevolution fällig. Leider dauern Kondratjews Zyklen meistens 50 Jahre.
Der finnische Zukunftsforscher Markku Wilenius, der die Allianz-Versicherung berät, hat schon mal so etwas wie einen Fahrplan der kommenden Jahrzehnte skizziert: Turbulent und voller »drastischer Aktionen« werden demnach die Jahre bis 2020, und er lässt es offen, ob damit auch bewaffnete Kämpfe und gewalttätige Verteilungsschlachten gemeint sein könnten. Verantwortungsvoll, sagt Wilenius, werden dagegen die Jahre von 2020 bis 2030, in denen sich ein »öko-wohlfahrtlicher Lebensstil« herausprägen wird.
Ein neues Modell von Staat und Umwelt sieht er für die Dekade darauf, erst in dieser Zeit erwartet er große technologische Innovationen, Nicolas ist dann auf der Universität, wenn er will. Und bis 2050 sollte sich das neue ökologische Zeitalter vollends ausgeprägt haben. Das Problem wird nur sein: Wie findet man genügend gut ausgebildete Arbeitskräfte, vor allem im Westen?
Energie und Bildung sind die Schlüsselworte für dieses neue Jahrhundert und was Bildung betrifft, sind die Eltern von Sara sehr skeptisch. Auch Sara wurde am 15. September 2008 geboren, ihre Mutter kommt aus Lettland, ihr Vater aus Mexiko, beide haben studiert, jetzt leben sie in Deutschland, sie sind im Grunde ein Geschenk für dieses Land, aber so werden sie nicht behandelt. Saras Mutter darf hier nicht arbeiten, Saras Vater macht sich Sorgen um die Ausbildung seiner Tochter.
»Ausländerkinder tragen einen Stempel, die haben es viel schwerer, aufs Gymnasium zu kommen«, sagt der Ingenieur in perfektem Deutsch. »Es ist ein Wahnsinn«, sagt Saras Mutter, eine Lehrerin, »nach der vierten Klasse soll sich entscheiden, ob das Kind studiert? In Lettland gehen alle bis zur neunten Klasse in dieselbe Schule.« Für Sara, sagen sie, wird der Aufstieg ein Kampf.
Das ist die Realität hinter all den sperrigen Worten wie Demografie, Migration und Zuwanderung: Wir haben ein rückschrittliches Bildungssystem, und es nicht klar und schon gar nicht selbstverständlich, dass wir die Kurve ins 21. Jahrhundert noch kriegen. »Das ist ein zentrales Problem dieses Landes«, sagt Alexander Kritikos, der beim DIW die Abteilung »Innovation, Industrie, Dienstleistung« leitet, »entweder schaffen wir es, unser Bildungssystem in kürzester Zeit zu reformieren. Oder es müssen mehr hoch qualifizierte Ausländer zu uns kommen. Andernfalls werden wir Schritt für Schritt unsere Spitzenpositionen im Vergleich zu anderen hoch entwickelten Ländern aufgeben. Und das kann zu erheblichen Einbrüchen im Bereich der höherwertigen Technologien führen.«
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Sonst, sagt er, gibt es zwei Varianten für 2028, zwei Varianten für Sara und Nicolas: Es ist so wie jetzt, nur schlechter, das Land holpert und rattert vor sich hin, abgehängt von der Weltwirtschaft, mit schlechter Infrastruktur und hoher Arbeitslosigkeit und massiven Umweltproblemen.)
Im Bildungsbereich, sagt Kritikos, müsse man die »Notbremse« ziehen, man dürfe keinen Tag verlieren, es sei falsch, auf eine kleine Elite zu setzen, wie es zum Teil die Gymnasien tun, es gehe vielmehr um neue Formen des Unterrichts, um »die Menschen handlungssicher zu machen« und ihnen nicht blind Wissen einzupauken, es sei wichtig für die kommende Generation, »mit der Unsicherheit leben zu lernen«.
Offen sollen die Kinder werden, das sagt er wie auch der Erziehungswissenschaftler Remo Largo, »handlungssicher und durchsetzungsfähig in sozial akzeptabler Weise«. Die Gruppe, das ist ein Schlüsselwort für ihn, sie verbindet den Stärkeren mit dem Schwächeren, sie gibt dem Individuum, das zwischen Vereinzelung und Kollektivdruck schwankt, seinen Halt. Im Grunde klingt das alles so, als müsse man den Staat, die Demokratie vor sich hertreiben, in Richtung einer Art populistischen Reform des Gemeinwesens.
Wird der Weg zu Veränderungen also über mehr Freiheit oder mehr Verbote laufen? Ist der Föderalismus bundesdeutscher Prägung überhaupt zu radikalen Entscheidungen imstande? Ist der starke Staat, wie er sich schon heute ankündigt, die Rettung? Können autoritäre Systeme wie China effektiver auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren? Wäre eine Ökodiktatur denkbar, die den CO2-Ausstoß bei Strafe verbietet?
Der Sozialpsychologe Harald Welzer zuckt bei diesem Gedanken selbst etwas zusammen. Er hat das Buch Klimakriege geschrieben und prognostiziert 150 Millionen Klimaflüchtlinge bis 2050. Wie wird sich Deutschland ändern? »Die Wut wabert bislang so vor sich hin«, sagt Welzer, »in den nächsten Jahren müsste sie stärker werden.«
Sonst?
Sonst, sagt er, gibt es zwei Varianten für 2028, zwei Varianten für Sara und Nicolas: Es ist so wie jetzt, nur schlechter, das Land holpert und rattert vor sich hin, abgehängt von der Weltwirtschaft, mit schlechter Infrastruktur und hoher Arbeitslosigkeit und massiven Umweltproblemen.
Oder wir haben eine vollständig andere Welt, in der der Westen keine große Rolle spielt und die Demokratie überhaupt in der Defensive ist. Die heutige Parteiendemokratie funktioniere jedenfalls schlecht, das zeige das Klimaproblem, das sich nicht an Wahlperioden halte. »Es geht in eine technokratisch-autokratische Richtung«, sagt Welzer, »oder die Demokratie ändert sich fundamental und wird partizipatorisch und offen.«
Was es mit Menschen macht, die in einer Gesellschaft leben, die sich schleichend verschlechtert? Welzer verweist auf den Soziologen Norbert Elias, der in seinen Studien über die Deutschen schreibt: »Menschengruppen revoltieren gewöhnlich gegen das, was sie als Unterdrückung empfinden, nicht dann, wenn die Unterdrückung am stärksten ist, sondern gerade dann, wenn sie schwächer wird.« Das heißt, dass womöglich eine Weile lang nichts passiert dann aber sehr vehement? »Die Krisen sind schon längst da«, sagt Welzer, »wir leben mit einer Ressourcenfiktion, in dem Glauben, dass das Öl niemals versiegt und wenn man sich in einem irrealen Raum bewegt, tut man sich schwer, konkret zu handeln.« Was heißt das aber für 2028?
Harald Welzer, so scheint es, kann sich einiges vorstellen. Er lächelt aber nur und sagt: »Es wird nicht das Ende der Welt sein, sondern der Beginn einer schlechteren.«
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Die Eltern und Großeltern der Trümmerbabys von heute werden sich an ihren Besitz klammern und massiv nach staatlicher Orientierung suchen. Und die Kinder werden brav zu ihren Eltern sein, weil sie die einzige Quelle der Sicherheit sind")
Der Ethnologe Thomas Hauschild dagegen zieht eine andere Parallele die zum Biedermeier in den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts. »Schon jetzt herrschen Angst und Anpassung«, sagt er, »das wird noch zunehmen. Die Eltern und Großeltern der Trümmerbabys von heute werden sich an ihren Besitz klammern und massiv nach staatlicher Orientierung suchen. Und die Kinder werden brav zu ihren Eltern sein, weil sie die einzige Quelle der Sicherheit sind.«
An den Generationenkrieg glaubt Hauschild somit weniger. Er sieht eher Regression als Reaktion auf die Krise. Einerseits lässt die »Suche nach dem Wissen über sich selbst nach«, andererseits wird die Religion wiederkehren, allerdings vor allem als ritualisierte, diesseitige Praxis was eh ein Schlagwort für diese kommende Zeit sein könnte, wie Peter Sloterdijk etwas umständlich in seinem neuen Buch Du musst dein Leben ändern erläutert. Hauschild ist da direkter. »Der Pragmatismus wird über die Reflexion siegen«, sagt er. »Alte Wissensformen werden wieder wichtiger. Zum Beispiel: Wie kann ich einen Schrebergarten betreiben?«
Wird also die Zeit der Selbstversorger wiederkommen? Ist das die Schattenseite des Trends, sich ein Haus auf dem Land zu suchen? Heute Freizeit, morgen Überleben? In vielem erinnert das, was Hauschild sagt, an einen umgekehrten Zivilisationsprozess, an eine Art Entzivilisierung. Er erzählt, dass die Russen am Pazifik nun wieder mit Harpune und Ruderboot auf Walfang gehen, wie seit Hunderten von Jahren, er berichtet von schwarzen Nomaden, die sich wieder in die australischen Outbacks zurückziehen, er erwähnt nebenbei, dass »die Tendenz in der Krise immer dahin geht, eine feudale Kriegergesellschaft aufzubauen«.
Gewalttätig jedenfalls waren die Zwanziger- und Dreißigerjahre eines Jahrhunderts meistens. Der Unterschied zum Biedermeier, sagt Hauschild, sei vor allem, dass wir aus der Freiheit in die Enge zurückkehren werden, was noch zusätzlich die Gewalt und die Konflikte verstärken werde 2028, in dem Jahr, in dem Nicolas 20 sein wird.
Der ist jetzt aufgewacht. Seine Mutter holt ihn. Er wackelt etwas mit dem Kopf, dann schaut er seine Mutter an wie ein fremdes Wesen. Was hatte Harald Welzer gesagt? »Wir sind längst schon nicht mehr die, die wir denken, dass wir sind.«
Fotos: Stephanie Fuessenich und Urban Zintel