Das Schlimmste an der Krise ist, dass sie so langweilig ist. Immer noch sieht man in den Nachrichten lauter Männer in knitterfreien Anzügen, die unbeirrt knitterfreie Textbausteine vortragen. Marktbereinigung, wird schon wieder, blablabla.
Vielleicht ist das ja die Botschaft, die einem beigebogen werden soll: Es wird sich nie etwas ändern. Immer werden die ganz großen Jungs mit unserem Geld spielen. Und niemand wird sie aus dem Spiel nehmen, auch wenn ihnen niemand mehr vertraut. Was die großen Jungs übrigens nicht stört. Sie sind überzeugt von sich. Selbst wenn sie gerade die Weltwirtschaft in den Abgrund gerissen haben. Dabei könnte man sich durchaus die Frage stellen, wozu man sie überhaupt braucht. Im Boom tragen sie einem bloß penetrant vor, worauf man alles verzichten müsse, damit der Boom anhält (Gehalts-erhöhungen, Sozialleistungen, Freizeit, Kündigungsschutz). Dennoch kommt der Crash, den sie nie vorhersehen, obwohl sie Wirtschaftsweise sind, und die Einzigen, die nicht unter ihm leiden müssen, sind sie, die großen Jungs mit ihren todsicheren Anlagetipps.
Während viele die Krise bei Hartz IV aussitzen müssen, bekommen sie (von uns) ein paar Milliarden, um ihre Läden wieder flottzumachen, damit sie uns für die nächste Runde eventuell wieder einstellen, zu deutlich schlechteren Bedingungen. Falls einer von ihnen doch seinen Job verliert, macht er mit seiner Abfindung ein Weingut auf und gibt Interviews über sein Glück, gerade noch rechtzeitig im Leben die wahren Werte entdeckt zu haben.
Das würden wir auch gern, aber die wahren Werte können wir uns nicht leisten, weil die Big Player mal wieder ihr Spiel verloren haben. Wenn es sie nicht gegeben hätte, ahnen wir, säßen wir wenigstens immer noch in Feinripp-Unterhosen vor Märklin-Eisenbahnen, aber die haben sie uns auch genommen. Jetzt haben wir nur noch Abwrackprämien und ihre Sprüche.
Vielleicht ist genau das das Problem: Dass es sich immer nur um Männer handelt, die an den ganz großen Stellschrauben drehen dürfen. Doch das ist eine Feststellung, die ein wenig ranzig riecht, weil sie schon so oft folgenlos vorgetragen wurde. Außerdem hat man in der Krise Wichtigeres zu tun als darüber nachzudenken, ob sie einem nicht von einer sich selbst überlassenen und in sich selbst verliebten Männerkultur eingebrockt worden ist. Man ist vollauf damit beschäftigt, sich durchzuschlagen. Und verschiebt die Gender-Diskussion auf den nächsten Boom, in dem man auch keine Lust auf sie haben wird.
Und so werden auch weiterhin Männerclubs die Weltwirtschaft regieren und regulieren. Bankvorstände, Börsenparkette, Investment-Firmen, Weltwirtschaftsgipfel: lauter so frauenfreie Zonen wie Urologen-Wartezimmer. Und wenn man sich ein paar Wochen lang die Wirtschaftsnachrichten, Schlusskursdepeschen und Leader-Interviews antut, beginnt man zu ahnen, dass die Ökonomie von genau den männlichen Deformationen in Schwung gehalten wird, die man auch sonst im Leben nur schwer ertragen kann.
Immer geht’s ums Gewinnen, ums Bessersein, ums Imponieren. Es ist eine seltsame Männerkultur, die da am Drücker ist: pompöse Bescheidwisser; Strategen, die das große Ganze im Auge haben und nie die kleinen Konsequenzen; Aufsteiger, die andere Aufsteiger übertrumpfen wollen; Spieler, die Verluste mit noch höheren Einsätzen ausgleichen wollen; Nerds, die sich exotische Instrumente ausdenken; und Gurus, die ihr Zahlengeschubse zum Zen, zum Krieg oder zu einer Kombination von beidem verklären. Doch wenn sie alle zusammen mal verlieren, weiß keiner, wie es geschehen konnte, es ist eben einfach so passiert.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Frauen ökonomisch klüger handeln.)
Alle einschlägigen Untersuchungen liefern eine Menge Wissen darüber, wie unterschiedlich das ökonomische Handeln von Männern und Frauen ist: Männer gehen größere Risiken ein, sind unempfänglicher für Warnsignale, aber empfänglicher für Gruppendruck, wetten bereitwilliger und denken seltener über die Konsequenzen ihrer Entscheidungen nach, auch wenn sie andere betreffen als bloß sie selbst. Männer werden eher als Frauen zu pathologischen Glücksspielern, agieren auf dem Börsenparkett emotionaler und abergläubischer.
Frauen dagegen setzen ihre ökonomischen Mittel vorsichtiger ein, setzen seltener alles auf eine Karte, denken eher über Vorsorge nach und werden nach Fehlentscheidungen klüger (außer, es handelt sich darum, Männern zu vertrauen). Deswegen gibt Muhammad Yunus, der 2006 für die Gründung der Grameen Bank mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, seine Mikro-Kredite bereitwilliger an Frauen – er weiß, dass sie eher zurückzahlen.
Dass es sich so verhält, ist immer wieder empirisch ermittelt worden; warum es sich so verhält, weiß man nicht genau, weil sich in der Wirklichkeit anders als im Labor Handlungsbedingungen nicht fein säuberlich voneinander isolieren lassen. Dass Männer beim Wirtschaften größere und mitunter die eigene Existenz gefährdende Risiken auf sich nehmen, könnte mit ihrem Hormonspiegel zu tun haben; eine Untersuchung bei Londoner Börsenhändlern ermittelte erstaunliche Zusammenhänge zwischen Testosteronpegel und Spekulations-Wagemut.
Vielleicht ist die Neurochemie dafür verantwortlich, dass Männer riskanter wetten. Vielleicht ist es, wieder einmal, das evolutionäre Erbe, das Männer und Frauen auch ökonomisch unterschiedlich handeln lässt. Schließlich bekamen in der Steinzeit die mutigeren Jäger, die die größeren Mammuts erlegten, die gesünderen, fruchtbareren Frauen, die verlässlicheren Frauen die tolleren Alpha-Tiere, und so etwas gewöhnt man sich nicht so schnell ab.
Außerdem leben wir alle in einer Kultur, in der draufgängerische Männer immer noch bewundert werden (auch von Frauen), während ihre sanfteren, biedereren Geschlechtsgenossen schnell als Weicheier gelten, vor allem bei den anderen Jungs. Das ist in dem, was man Wirtschaftsleben nennt, nicht anders als überall sonst.
Doch in Wahrheit ist es völlig egal, ob es die Gene sind oder die kulturellen Werte, die dafür sorgen, dass das Schicksal der Welt so sehr von den Entscheidungen abhängt, die in den Boys Clubs gefällt werden. Es würde schon reichen, wenn man endlich Begriffe, wie viele Probleme man sich einhandelt, wenn man sich zu sehr auf Monokulturen verlässt. Monokulturen begünstigen Gruppendruck, fördern Kritiklosigkeit, haben selten einen Plan B, wenn Plan A nicht funktioniert. Niemand sagt mal: So kann das nicht mehr lang gut gehen. Und niemand ist da, der solchen Warnungen zuhören würde. Bloß business as usual unter businessmen as usual.
Ob wir uns mit Lehman Sisters eine Wirtschaftskrise eingebrockt hätten, ob Frauen bessere Investmentbanker wären, weiß niemand – aber nur, weil es viel zu wenige gibt. Die paar Ausnahmen, die es schaffen, sich auf dem Parkett zu behaupten, müssen sich an die Spielregeln halten, die sie vorfinden. Damit die Kontrollmechanismen und Wertesysteme sich verändern können, braucht man logischerweise genügend neue Mitspieler.
Dafür könnte man jetzt endlich sorgen, rein experimentell. So wie eine Herde von Männern jahrelang an dem Experiment teilgenommen hat, herauszufinden, was geschieht, wenn man Habenichtsen Häuser finanziert, Kredite an Leute verteilt, von denen man weiß, dass sie sie nie zurück-zahlen werden, und sich zur Absicherung Wetten ausdenkt, die so esoterisch sind, dass nicht einmal das Wettbüro sie versteht.
Wie dieses Experiment ausgegangen ist, wissen wir nun: Die Leute haben keine Häuser mehr, keine Arbeit, kein Geld und keinen Kredit. Bis auf die ganz großen Jungs, die sich das Experiment ausgedacht haben.
Frauen in die Bank-Vorstände? Erstens: unbedingt, schon aus Gerechtigkeitsgründen. Zweitens: Wann, wenn nicht jetzt? In Island – dessen Wirtschaft gründlich von Männern ruiniert wurde – versuchen sie das jetzt, mit Birna Einarsdóttir und Elin Sigfusdóttir, die das Kommando bei der Landsbanki and der Glitnir-Bank übernommen haben. Und Halla Tómasdóttir und Kristin Pétursdóttir haben den Investment-Fonds »Audur Capital« gegründet, der weibliche Werte und rentables Wirtschaften zusammenbringen will.
Tómasdóttir, die früher eine leitende Position in der isländischen Handelskammer hatte, sagt: »Wir haben fünf weibliche Grundwerte. Erstens Risikobewusstsein: Wir werden in nichts investieren, was wir nicht verstehen. Zweitens wollen wir Kapital nur investieren, wenn nicht nur wirtschaftlicher Gewinn dabei herauskommt, sondern auch positive gesellschaftliche und ökologische Effekte. Drittens entscheiden wir auch emotional: Wir investieren nur in Unternehmen, deren Betriebskultur uns behagt. Viertens: Wir wollen Klartext reden, weil wir davon überzeugt sind, dass die Wirtschaft eine verständliche Sprache sprechen sollte. Und fünftens wollen wir dazu beitragen, dass Frauen wirtschaftlich unabhängiger werden, weil es durch wirtschaftliche Unabhängigkeit leichter ist, so werden zu können, wie man sein will.«
Klingt nach einem Unternehmen, in das man gern einsteigen würde. Ob es Erfolg hat, muss sich erst noch herausstellen. Falls nicht, würden wir es auch verkraften. Weil sich Frauen bekanntlich dafür entschuldigen, wenn sie Mist bauen. Auch das nämlich sind uns die Lenker und Denker des Wirtschaftslebens bisher schuldig geblieben.
(Fotos: ap)