"Wir wissen von Gott nicht mehr als ein Apfelbaum von uns"

Anlässlich des Todes des US-Milliardärs John Templeton zeigen wir hier noch einmal ein Interview aus dem März 2002.

SZ-Magazin: Sie haben mit Ihren Fonds an der Wall Street ein Vermögen verdient und spenden über dreißig Millionen Dollar jährlich für verschiedene Forschungsprojekte. Bedauern Sie manchmal, nicht selbst Wissenschaftler geworden zu sein?
Sir John Templeton:
Überhaupt nicht. Jeder Mensch verfügt über unterschiedliche Talente. Im Alter von 15 Jahren dachte ich noch, mein Talent läge darin, für das Christentum zu missionieren. Allerdings stellte ich fest, dass andere dafür begabter waren, und so beschloss ich, den Menschen zu helfen, ihr Geld anzulegen.

Offenbar mit außerordentlichem Erfolg.
Als ich damit Ende der dreißiger Jahre anfing, war Amerika ja so selbstbezogen, dass man Investitionsmöglichkeiten im Ausland noch vollkommen ignorierte. Mit den etwa 23 Milliarden Dollar, die ich im Laufe meines Lebens für meine Landsleute dann großteils in ausländischen Fonds anlegte, habe ich ihnen wahrscheinlich weit besser gedient, als ich je dazu als Missionar in der Lage gewesen wäre. Der von Ihnen gestiftete Preis zeichnet jedoch seit 1973 Wissenschaftler wie Carl Friedrich von Weizsäcker und Persönlichkeiten wie Mutter Teresa aus, die einen "Fortschritt in der Religion" ermöglichten.
Nein, mein Herr. Viele Journalisten haben mich da missverstanden. Der Templeton-Preis soll ganz allgemein Forschungen und Entdeckungen auf dem Gebiet spiritueller Realität ermutigen.

Welche spirituelle Realität hat denn beispielsweise der russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn 1983 entdeckt?
Das ist eine schwierige Frage. Die Wahl wird von neun Richtern getroffen. Mindestens fünf von ihnen sollen Repräsentanten der verschiedenen Konfessionen sein und möglichst weltweit bekannt, denn das steigert den Einfluss des Preises auf die wissenschaftliche Forschung. Mitunter habe ich allerdings selbst Schwierigkeiten, die Entscheidung des Komitees für einen Philosophen oder Staatsmann nachzuvollziehen. Das heißt noch lange nicht, dass ich die Bewunderung für Solschenizyn nicht teilen würde. Aber dass die neun Richter bei ihm unsere Wahlkriterien erfüllt sahen, stellte auch für mich eine Überraschung dar.

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Wissen Sie schon, wem Sie dieses Jahr den Scheck über eine Million Dollar überreichen werden?
Die Richter tagen momentan noch. Sie machen ständig irgendwelche neuen Vorschläge und stimmen mehrmals ab, das dauert für gewöhnlich eine ganze Weile. Aber sie werden sich bestimmt rechtzeitig einigen, um den diesjährigen Gewinner benachrichtigen zu können. Schließlich soll er am 14. März um elf Uhr vormittags auf unserer großen Pressekonferenz in New York präsentiert werden. Zuvor wird es kein Informationsleck bei uns geben.

Ihr Preis ist höher dotiert als der Nobelpreis, die Kriterien sind ähnlich streng?
Korrekt.

Der amerikanische theoretische Physiker Freeman Dyson meint, er habe selbst nicht die geringste Ahnung, warum er vor zwei Jahren den Templeton-Preis erhalten hat.
Wir glauben, dass bislang kein einziges menschliches Wesen auch nur ein Prozent des Göttlichen versteht. Naturwisseschaftler wie Freeman Dyson erforschen die Realität und helfen uns so, ein umfassenderes Bild von Gott zu gewinnen.

Für besonders religiös hält er sich auch nicht.
Dysons Buch Infinite in All Directions macht jedem deutlich, dass die Realität weitaus großartiger ist, als sich die Menschheit bis vor kurzem vorstellen konnte. Deshalb hat er den Preis gewonnen.

Stört es Sie denn gar nicht, wenn sich einer Ihrer Preisträger als Agnostiker versteht?
Das ist doch nur ein Wort. Ich glaube, man versteht Freeman Dyson damit falsch. Er bezweifelt sicherlich nicht die Existenz Gottes, allenfalls, dass Gott je erkannt werden kann.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Lassen Sie mich das so erläutern: Ein Apfelbaum ist ein absolutes Rätsel")

Dyson begreift Wissenschaft und Religion jedenfalls als zwei unterschiedliche Blickwinkel auf die Welt.
Diese Auffassung teile ich sicherlich nicht. Ich halte Wissenschaft und Religion nicht für Gegensätze, sondern beide für geeignet, das Göttliche zu entdecken. Sie sind einfach verschiedene Pfade auf einer Erkundungsreise.

Was haben diese Pfade denn Ihrer Meinung nach gemein?
Erst im letzten Jahrhundert entdeckten wir, dass unsere Sonne nur einer von hundert Milliarden Sternen der Milchstraße ist, die wiederum nur eine von mindestens hundert Milliarden Galaxien darstellt. Die Erkenntnis, dass Gott weitaus größer ist, als wir uns noch vor 200 Jahren vorstellen konnten, hilft uns allen weiter, Theologen wie Wissenschaftlern. Selbst die Kosmologie ist also ein Pfad auf dem Weg, Gott kennen zu lernen. Genau wie etwa Liebe oder Kreativität es sind. Keiner dieser Pfade schließt den anderen aus, alle müssen beschritten werden. Und niemand sollte so vermessen sein, die eigene Beschreibung Gottes für zulänglich zu halten. Das Bild Gottes etwa als eines weisen Königs ist winzig im Vergleich zu seiner unermesslichen Größe.

Ist das auch die Bedeutung Ihrer so genannten Demutstheologie?
Ja. Lassen Sie mich das so erläutern: Ein Apfelbaum ist ein absolutes Rätsel. Hunderte Millionen von Zellen transportieren Wasser entgegen der Gravitationskraft den Stamm hinauf - das ist ein unerklärlich komplexes Phänomen. Aber kein noch so komplexer Apfelbaum wäre in der Lage, den Menschen zu beschreiben. Wir wissen von Gott nicht mehr als der Apfelbaum von uns - deswegen sollten wir uns in Demut üben.

Die Suche nach Gott ist also doch ein hoffnungsloses Unterfangen?
Unsere Wahrnehmungsfähigkeit ist dafür nur unzulänglich. Das heißt aber noch nicht, dass unsere wissenschaftlichen Anstrengungen erfolglos bleiben werden. Wir müssen nur mehr Geld und Mühe für die Forschung aufbringen. Das passiert allmählich. Auch unsere Stiftung bemüht sich ja darum. Wir versuchen zu zeigen, dass es möglich ist, mehr über unseren Schöpfer herauszufinden, wenn man nur gründlich genug sucht.

Naturwissenschaftler glauben zunehmend, an die Grenze ihrer Erkenntnis gelangt zu sein.
Entdeckungen wie die des Urknalls oder der Quantentheorie waren doch enorm und sind hoffentlich nur ein Anfang.

Aber selbst Albert Einstein hielt die Quantenmechanik für unverständlich - oder wollte sie zumindest nicht verstehen.

Inzwischen kommen die Physiker dem Verständnis der Quantenmechanik zumindest immer näher. Und die Schwierigkeit, die Quantenmechanik mit den Gesetzen klassischer Physik und Logik begreifen zu wollen, demonstriert nur, dass keine Wissenschaft in den Besitz der letztgültigen Wahrheit gelangen kann. Einstein dachte, sie mit seiner Relativitätstheorie gefunden zu haben, dann tauchte plötzlich Nils Bohr mit seiner Quantenmechanik auf. Wir müssen uns eben ständig um neue Entdeckungen bemühen und noch überzeugendere Theorien ausprobieren. Vor zwei Jahrhunderten wusste man doch kaum etwas über Elektromagnetismus. Durch hartnäckige Experimente - und natürlich auch viele Rückschläge - hat man auf diesem Gebiet zumindest so viel gelernt, dass wir beide heute telefonieren können.

Wann werden Sie die Ergebnisse Ihres Gebetsexperiments veröffentlichen?
Unsere Stiftung führt kein Experiment selbst durch. Wir erhalten lediglich Forschungsvorschläge und unterstützen die aussichtsreichsten von ihnen. Derzeit sind das einige Hundert verschiedene Projekte. Vier oder fünf davon beschäftigen sich mit der Effizienz von Gebeten, besonders bei Heilungsprozessen. Ein Experiment wurde bereits Anfang letzten Jahres durch Ärzte der Georgetown-Universität abgeschlossen. Ihre Resultate sind recht erstaunlich: Kirchgänger leben sieben Jahre länger als Nichtkirchgänger, Kirchgänger müssen um ein Viertel weniger ins Krankenhaus und verlassen es auch wieder schneller, nämlich um 25 Prozent.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Herauszufinden, ob ein jüdisches Gebet besser wirkt als ein christliches dürfte faszinierend sein")

Und die anderen Experimente?
Die umfassendste Studie wird in wenigen Monaten enden und in einem Medizinjournal veröffentlicht: Unter der Leitung der Harvard-Universität testen sechs verschiedene Krankenhäuser die Wirkung von Distanzgebeten. Mit Betenden, die diese Patienten persönlich gar nicht kennen. Von den 1600 Patienten weiß nur die Hälfte, dass für sie gebetet wird. Auch die Gebetstypen sind unterschiedlich: Herauszufinden, ob ein jüdisches Gebet besser wirkt als ein christliches dürfte faszinierend sein. Oder ist es besser zu beten, dass Gottes Wille geschehe, oder direkt gegen den Krebs anzubeten? Harvard unternimmt den ersten ernsthaften Versuch, diesen Dingen auf den Grund zu gehen.

Sie sind 89 Jahre alt. Ihnen scheint der Glaube in jedem Fall zu bester Gesundheit verholfen zu haben.
Der Mensch weiß so wenig, was eigentlich los ist. Aber ich bin von der Möglichkeit eines experimentellen Nachweises überzeugt, dass spirituelle Menschen grundsätzlich gesünder sind.

Ihre erste Frau ist allerdings sehr jung gestorben. Hat Sie das nicht zweifeln lassen?
Nein, ich versuchte, abermals demütig zu sein, und sagte mir: Niemand weiß, warum diese Dinge geschehen. Wir wollen uns doch auch nicht anmaßen zu verstehen, warum Gott etwa Krebs zulässt? Demut bedeutet, dass er darüber in jedem Fall besser Bescheid weiß als ich.

Haben Sie je einen Menschen zum Christentum bekehrt?
Ich habe versucht, Menschen zu helfen, aber nie, sie zu bekehren. Ich halte das nicht unbedingt für weise. Wir sollten alle etwas demütiger werden und jedem Gehör schenken, der glaubt, etwas über Gott zu wissen.

Wie hilft man Menschen?
Hauptsächlich durch Demut. Alle Religionen zählen auch die Liebe zu einem bedeutenden Bestandteil des Göttlichen. Ich bemühe mich schon mein ganzes Leben darum, ausnahmslos jeden zu lieben.

Sie wollen selbst einen bin Laden lieben?
Selbst wenn ich für rechtskräftig verurteilte Terroristen die Todesstrafe favorisiere, würde ich mich dennoch darum bemühen, sie im gleichen Augenblick auch zu lieben. Das mag denen zwar nicht unbedingt nützen, aber es hilft ganz sicherlich einem selbst. Die Nächstenliebe funktioniert nicht sehr gut, wenn man Ausnahmen zulässt.

Und das schaffen Sie jeden Tag?
Nein. Aber ich werde von Tag zu Tag besser. Und alle Menschen, die sich darum bemühen, andere wirklich ausnahmslos zu lieben, sind in der Regel außerordentlich glücklich und helfen sich selbst.

Halten Sie deswegen Kapitalismus und Christentum ohne weiteres für vereinbar?
Nun ja. Wer in erster Linie sich selbst helfen will, kann mitunter scheitern. Aber wer anderen zur Hilfe eilt, hilft sich am Ende meist selbst. Sie kennen doch Sam Walton?

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Nur wenn eine Mehrheit in Panik verkauft, findet man rentable Aktien")

Den amerikanischen Supermarkt-Milliardär.
Durch ein verbessertes Lagersystem in seiner Kette Wal Mart erhöhte er die Produktqualität und senkte die Stückkosten. Er beabsichtigte in erster Linie also, seinen Kunden durch einen verbesserten Service zu helfen. Hätte er zuerst an sich gedacht, würde er heute wahrscheinlich nicht zu den wohlhabendsten Männern der Welt zählen. Wer erfolgreich anderen hilft, profitiert in der einen oder anderen Weise dadurch auch.

Eine andere Ihrer Geschäftsmaximen lautet: "Ist ein Geschäft ethisch nicht vertretbar, wird es scheitern. Vielleicht nicht sofort, aber am Ende."
Dieser Zusammenhang ist doch offensichtlich: Verkauft ein Ladenbesitzer ein zu teures oder zu schlechtes Produkt, wandern seine Kunden über kurz oder lang zur Konkurrenz ab. Behandelt er seine Belegschaft schlecht, geht sie zur Konkurrenz. Jeder Mensch mit einem schlechten Ruf verliert irgendwann seine Geschäftspartner. Das trifft natürlich genauso auf Ärzte, Rechtsanwälte oder Journalisten zu. Wer unfair, unzuverlässig oder gar hinterlistig ist, kommt in dieser Welt nicht weit.

Stimmt es, dass Sie kurz nach dem 11. September Fluglinienaktien kauften?
Ja, aber das war wirklich eine Kleinigkeit. Ich investierte nicht mehr als etwa ein Prozent meines Vermögens. Während des halben Jahrhunderts, in dem ich die Leute bei der Auswahl von Investitionen beriet, funktionierte meist ein anderer meiner Grundsätze: immer das Gegenteil von dem zu tun, was die Masse gerade macht.

Sie meinen, möglichst bei Börsentiefstand kaufen, zum Höchststand verkaufen?
Korrekt. Buy low, sell high. An der Börse funktioniert es jedenfalls vortrefflich. Nur wenn eine Mehrheit in Panik verkauft, findet man rentable Aktien. Und falls die meisten Anleger enthusiastisch Technologieaktien nachjagen, zu Preisen jenseits jeglicher Vernunft, sollte man sie ihnen auch verkaufen. Im Januar 2000 erzielte ich damit einen viel größeren Erfolg als mit dem winzigen Flugzeuggeschäft. Ich gab Merryl Lynch die Order, Technologieaktien im Wert von vier Millionen Dollar zu verkaufen, zum dreifachen Kurs unseres Einstiegspreises.

Wo würden Sie derzeit investieren?
Beinahe alle Märkte weltweit werden immer noch zu hoch gehandelt. Viel zu hoch, im Vergleich zu den Dividenden, die in der Vergangenheit als üblich erachtet wurden. Deswegen rate ich zu langlaufenden Hochqualitätsaktien.

Warum sind Sie eigentlich von New York nach Nassau gezogen?
Ihr Journalisten wollt die Leute immer glauben machen, man spare auf den Bahamas eine Menge Steuern. Das ist nicht der Fall. Ein Amerikaner zahlt in Nassau de facto die gleichen Steuern wie in den USA. Die Bahamas kennen zwar keine Einkommensteuer, dafür aber ein Dutzend anderer. Der gesamte Steuersatz pro Dollar liegt mit 33 US-Cent auf den Bahamas sogar etwas höher als der amerikanische mit 26 Cent.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Die Bahamas bekommen meinen Klienten ebenfalls sehr gut")

Das Wetter in Nassau muss schon atemberaubend sein.
Das Wetter halte ich zwar für ideal, aber etwas komplizierter waren die Beweggründe für meinen Umzug schon: Die Bahamas sind nämlich auch in jeder anderen Beziehung sehr angenehm: das Telefonsystem, der Flughafen, die ganze Infrastruktur ist exzellent. Als ich noch in der Wall Street arbeitete, besuchte ich die gleichen Treffen wie meine Konkurrenz und neigte daher dazu, auf die gleichen Aktien zu setzen wie sie. Von hier aus gelingt es mir viel eher, das Gegenteil meiner Konkurrenten zu tun und erst bei maximaler Depression aktiv zu werden. Die Bahamas bekommen meinen Klienten ebenfalls sehr gut.

Auch Ihrem Glauben?
Gottes Willen und Gerechtigkeit liegen so weit jenseits des menschlichen Verständnisvermögens wie eben der Mensch für das eines Apfelbaums. Ich kann also nur dafür beten, dass meine eigenen Bemühungen und Handlungen wirklich mit Gottes Willen harmonieren mögen.

Das Wirtschaftsmagazin Money Magazine bezeichnete den Amerikaner John Marks Templeton, 89, als "größten Portfoliomanager des letzten Jahrhunderts". Seit 1973 verleiht er den jährlich mit einer Million Dollar dotierten Templeton-Preis in London. 1987 ernannte ihn Queen Elizabeth zum Sir; 1992 verkaufte er seine Fonds für 440 Millionen Dollar an die Franklin-Gruppe. Der Milliardär lebt heute auf den Bahamas.