Schwarz-Weiß-Denken

Beim Blick in die Zukunft sehen viele schwarz. Aber muss das etwas Schlechtes sein?

Illustration: Dirk Schmidt

In den Sechzigerjahren ging es in der Werbung für Waschmittel immer darum, welches das weißeste Weiß erzeuge. Über Dash wurde behauptet, es wasche so weiß, weißer geht’s nicht. Von Sunil hieß es: Das strahlendste Weiß meines Lebens, ja, eine Sunilnutzerin sagte im Spot, sie könne »es wirklich nicht beschreiben, dieses Weiß«. Gab es nicht eine Werbung, in der ein Mann zu einem anderen sprach: »Wie auffallend weiß ist dein Oberhemd!«? Ja, gab es. Und 1966 trat der Weiße Riese auf den Plan, der Riesenweiß erzeugte.

Auf den vergilbten Seiten meines Konversationslexikons von 1897 lese ich, in den meisten Fällen zeige Weiß irgendeine Nuance, man unterscheide unter anderem Milch-, Silber-, Schiefer- und Zinnweiß, auch rötliches, gelbliches, gräuliches und grünliches Weiß. Das ganz reine Weiß nenne man Schneeweiß.

Ja, dies waren Jahre, in denen man auf der Suche nach dem absoluten Weiß war, und der Hobbyseelenkundler kennt natürlich den Zusammenhang mit dem Schmutz der Nazizeit, von dem man sich weißwaschen wollte. Nicht umsonst besaß der vorschriftsmäßig Entnazifizierte einen Persilschein und damit eine weiße Weste.

Meistgelesen diese Woche:

Der Weißzeit folgten die Jahrzehnte des Bunten, Fewamat griff den Schmutz an und nicht die Farben, und Persil warb 1998 mit Heute blau, morgen blau und übermorgen wieder, Dixan wusch mit gebremstem Schaum. Farberhalt war die Forderung der Stunde.

Und nun? Kein Wort mehr über Waschmittel, wir leben in den Jahren des Schwarz. 2014 teilte die britische Firma Surrey NanoSystems mit, sie habe ein Schwarz namens Vantablack entwickelt, das 99,96 Prozent allen Lichts verschlucke. Nun aber schreiben Kehang Cui und Brian Wardle vom Massachusetts Institute of Technology, ihr Schwarz absorbiere 99,995 Prozent des Lichts, das schwärzeste Schwarz, das es je gab, bestehend aus kleinsten Kohlenstoffröhrchen, zwischen denen das Licht sich verirre und nie wieder, nun ja: ans Licht finde. Die Künstlerin Diemut Strebe überzog einen Diamanten von fast 17 Karat mit diesem Schwarzschwarz – und das Publikum hatte das Gefühl, plötzlich ins Nichts zu blicken und die leisen Hilfeschreie des verzweifelten Lichts zu hören.

Interessant!

Denn ausgerechnet unsere Jahre sind tatsächlich die Zeit der Schwarzseher, manche Leute wollen schon keine Kinder mehr, weil jeder neue Mensch bloß mehr Kohlendioxid verursache, also: sinnlos, alles. Schrieb nicht Kandinsky über Schwarz, es sei »wie ein Nichts ohne Möglichkeit«, ja, »wie ein ewiges Schweigen ohne Zukunft und Hoffnung«? Ach je, ach je … Kandinsky hat aber auch das Weiß »ein großes Schweigen« genannt, »eine unübersteigliche, unzerstörbare, ins Unendliche gehende kalte Mauer« – nur falls jemand hier die Sechzigerjahre als helle, schöne Zeiten verherrlichen möchte. Ich bin dagegen, Kandinsky anscheinend auch, er war da sowieso schon tot.

Stattdessen hole ich Margarete Bruns’ schönes Buch Das Rätsel Farbe aus dem Regal, weil ich mich retten muss aus all der Düsternis. Ich lese darin, dass die Maler Ostasiens in Jahrhunderten die schwärzeste nur denkbare Tusche benutzten, eine Tusche, über die der chinesische Maler Shen Tsung-ch’ien im 18. Jahrhundert schrieb, sie habe »viele Spielarten, wenn sie mit einem trockenen Pinsel aufgetragen wird, und trieft vor Farbe, wenn es feucht geschieht. Dann ist sie klar wie ein Herbstteich, strahlend wie ein Berg im Frühling, prächtig wie eine Blüte am Morgen«. Schwarze Tusche fließe direkt aus dem Herzen, im Zen stehe tiefstes Schwarz für Bejahung und Freiheit und der schwarze Kreis für Erleuchtung. Ja, schwarz ist die Hoffnung, liebe Leute! Und so grüßt euch der Autor für heute mit einem aus tiefstem Herzen hingetippten O.