Wie war dieses Jahr 2020 für dich – so ganz ohne Konzerte?
Hartmut Engler: Wir wollten uns in aller Ruhe für die Aufzeichnung von MTV Unplugged im Zirkus Krone in München vorbereiten. Schnell war aber klar, dass das nicht leider doch nicht so stattfinden wird. Wir haben uns darauf gefreut, im November und Dezember in den großen, ausverkauften Hallen zu spielen. Das wird nun erstmal nicht so sein und man weiß nicht so recht, wie es weitergeht. Es ist schon ein komisches Gefühl dessen beraubt zu sein, worauf man sich beruflich am meisten freut. Und das ist für uns auf der Bühne stehen.
Daran hat sich in den letzten 40 Jahren also nichts verändert.
Das ist für uns nach wie vor die Kür. Studio ist für mich Pflicht. Für den ein oder anderen Musiker ist es das liebere. Für mich ist es aber auf die Bühne zu gehen und Kontakt mit den Leuten zu haben. Im September 2019 haben wir das letzte Konzert gespielt.
Aber es kribbelt sicher in den Fingern nach so einer langen Pause?
Ich kann schon mal ein Jahr warten. Aber nur, wenn ich weiß, dass es danach wieder losgeht. Seit September wäre das jetzt ohnehin eine lange Pause gewesen, aber eben mit einer wahnsinnigen Vorbereitung und Vorfreude. Natürlich wäre es schön bald wieder auf die Bühne zu können. Stattdessen haben wir jetzt einfach beschlossen, dass wir unser 40-Jähriges Bandjubiläum etwas früher feiern und das Album früher veröffentlichen, als geplant.
Gehen wir mal zurück ins Jahr 1987 und zu „Hab mich wieder mal an dir betrunken“.
Das war damals unser erster bundesweiter Radio-Hit und unser Einstieg in die Medienwelt. Der wirkliche Durchbruch, sodass wir sagen konnten „ab jetzt ist das auch finanziell wirklich eine freudige Angelegenheit“ kam erst ein paar Jahre später, 1992 und das ungewöhnlicher weise durch ein Live-Album. Die Platte war unser erster Millionenseller. Ab da waren alle studentischen Hungerleiden vorbei (lacht). Ich glaube wir haben uns damals zuvor 1500 Mark ausbezahlen können, deshalb war ich auch so lange als Student eingetragen.
Wann hast du gemerkt, dass du nicht nur eine gute Stimme hast, sondern auch die Gabe, die Texte so zu schreiben?
Das mit der Stimme kam von Haus aus – Mama und Papa waren in der Singgemeinschaft Ingersheim, meine Schwester schon immer ambitionierte Hobby-Sängerin und mein Bruder hat als Student in vielen Bands gespielt. Es wurde also im Hause Engler immer sehr viel gesungen. Die Ambitionen, in einer Band zu sein, war eher Zufall. Ich habe das nicht gesucht, das kam eher auf mich zu. Mir hat das Proben mit den Kumpels Spaß gemacht, man hatte dieselben Hobbies und fühlt sich zugehörig. Unsere Mikros und das Equipment haben wir uns über Studentenjobs finanziert, immerhin hatte leider keiner von uns einen reichen Papa. Deshalb sind auch alle in der Nähe Stuttgarts geblieben, um gemeinsam intensiv an unserer Musik feilen können. In der Zeit haben wir viel Musik in amerikanischen Clubs gemacht.
Was habt ihr dort gespielt?
Man hat uns zugerufen: „Play some Van Halen, play some ACDC”. In anderen Clubs war es etwas feiner, da hat man Elvis ausgepackt. Es gab aber auch Festzelte, in denen wir vor 2000 relativ stark angetrunken Leuten gespielt haben, die auf den Tischen getobt haben. Das alles musste man damals bewerkstelligen – was eine harte und gute Schule war. Umso begeisterter waren wir, unsere eigene Musik in kleinen Jugendhäusern vor 30 Leuten zu spielen. Die Professionalität des Auftretens haben wir uns aber woanders geholt.
Stand es zur Debatte, englische Lieder zu veröffentlichen?
Als wir 15 waren gab es entweder Coversongs oder ganz schlecht gedichtete Schulenglisch-Songs. Zum Beispiel „Here we’re standing on the stage like some monkeys in their cage“. Das war damals eine Songzeile von uns. Nach eins-zwei Auftritten damit habe ich den Jungs vorgeschlagen auf deutsch zu singen. Wir waren neben der Spur wie sonst keiner. Es gab die neue deutsche Welle – wir hingegen haben Hermann Hesse Texte vertont. Komplett am Trend vorbei. Wir waren romantisch, verspielt – alle anderen haben „da da da“ gemacht. Uns hat keine Plattenfirma auch nur anhören wollen (lacht). Das war die ganz heiße Phase. Wir hatten lange Haare, Parkas und waren komplett links ausgerichtet. Meinen ersten Song habe ich damals zur RAF-Zeit geschrieben, es ging um die Frage der Todesstrafe. Hochinteressant und für mich heute ein Wunder, wie ich damals mit 16 drauf war.
Die politisch-gesellschaftlich engagierten Texte sind aber bis heute geblieben.
Auf jeden Fall. Wir sind natürlich Unterhaltungskünstler. Ein Konzert sollte so ein, dass die Leute am Schluss glücklich raus gehen. Das heißt aber nicht, dass man nur permanent „Friede, Freude, Eierkuchen“ verbreitet und die Leute nur schunkeln lässt. Das darf schon auch mal sein, aber PUR zielt eben auch auf andere Momente. Ich glaube, das hat uns auch die Akzeptanz und die Glaubwürdigkeit gebracht.
Die Fantasie und Worte aus den Songs, hattest du die schon in der Schule?
Es gibt tatsächlich eine nette Anekdote zu „Abenteuerland“. Damals war der Druck hoch und ich hatte eine richtig starke Schreibblockade. Die Songs waren musikalisch zum Teil schon sehr weit, mir mangelte es aber an Texten. Also bin ich auf den Speicher gegangen und habe in alten Schulheften gestöbert. Als junger Kerl habe ich beim Thema „Fantasieaufsatz“ hochinteressante Sachen abgeliefert. Einen schildere ich aus der Ich-Perspektive eines Füllfederhalters, der gekauft wird von einem kleinen Jungen. Er nimmt ihn mit nach Hause und es wird beschrieben, was er dort alles erlebt. Ich habe mich damals gefragt, wohin ist diese Kreativität? Und plötzlich war es klar: „Ein kleine Junge nimmt mich an die Hand“. Der Knoten war geplatzt – der Junge nimmt mich mit ins Abenteuerland.
Und dann war da noch „Lena“.
Lena hat ein wenig das Taufverhalten der Deutschen verändert. Nach dem Song war „Lena“ für die folgenden fünf Jahre Nummer eins der beliebtesten weiblichen Vornamen. Das war um die 90er. Lena Meyer-Landrut, ... das sind die alle. Plötzlich hießen alle wegen uns Lena (lacht).
Stichwort PUR – ich mache den Wein mal auf und bin sehr gespannt, was du dazu sagst. Ich habe in letzter Minute nochmal umentschieden, was ich dir mitbringe. Bist du experimentierfreudig?
Ja, bei Wein auf jeden Fall. Ich liebe Experimente. Es ist ja nichts langweiliger als bei Weinen immer denselben zu trinken.
Dann bin ich froh. Ich würde behaupten, dass es etwas ist, was du sonst wahrscheinlich eher selten trinkst.
Zu der Jahreszeit trinke ich besonders gerne dunkle, schwerere Rotweine. Im Sommer mehr Weiß oder Rosé, jetzt aber liebend gerne Rotwein.
Was würdest du sagen, wenn ich Trollinger dabei habe?
Es gibt inzwischen ja wirklich gut gemachte Trollinger. Aber man hat oft das Bild von älteren Leuten, die in der Weinstube sitzen und ihr Vierteles-Glas Trollinger trinken. Früher war das eher etwas sauer, heute ist das anders. Bei uns kam das mit dem Wein wirklich erst mit dem Erfolg, als man sich das gegönnt hat aber auch dorthin eingeladen wurde, wo es gute Weine gab. Ich kann mich noch an den Chef der Plattenfirma erinnern, der immer meinte: „Lest die Karte mal nicht von oben, sondern von unten“.
Da wo die teuren Weine stehen?
Im Zuge des Erfolges Anfang der 1990er hat man uns dazu erzogen, auch mal etwas Exklusiveres zu probieren. Wir haben damals festgestellt, dass ein guter Wein mitunter auch mal mehr kosten darf. Als wir dann zu Mit-Umsatz-Trägern der Plattenfirma wurden, wurden die Spesen auch enorm in die Höhe getrieben. Wenn wir damals eine Geschäftsbesprechung hatten, wurde diese immer mehr ins Sterne-Restaurant verlagert. Der Chef der Plattenfirma hat immer die Weine bestellt und meinte: „Probiert wenigstens mal. Wenn es euch nicht schmeckt, könnt ihr es ja stehen lassen“. So hat man damals die Lust und Laune entdeckt, unterschiedliche Dinge zu probieren. Italiener, Franzosen, Weine aus Übersee. In den letzten Jahren trinke ich aber zunehmend auch wieder Einheimisches. Die Kunst des Weinmachens ist ja immerhin nicht nur viel Sonne. Da hat Deutschland sehr aufgeholt.
Der Wein heißt „Anders“ und ist Trollinger in seiner „pursten“ Form, da es ein Naturwein ist. Für mich ein ganz ehrlicher, ursprünglicher Wein.
Er schmeckt tatsächlich sehr natürlich. Interessant! Es gibt solche und solche, das ist ein gutes Beispiel für Trollinger.
Was passiert nach euren Shows, wenn ihr von der Bühne geht? Sitzt ihr dann noch zusammen und trinkt ein Glas?
Heute sind wir etwas gemäßigter unterwegs als früher. Wir gehen von der Bühne, sind durchgeschwitzt und so glücklich, wie wir bei nichts sonst in unserem Leben sein können. Jeder freut sich über und kämpft mit seiner Euphorie. Da bin ich mit der Extremste. Ich kann gut feiern aber auch brutal ins Loch fallen nach so einer Tour.
Zur ersten Folge: Auf ein Glas Wein mit Sarah Kuttner
Zur zweiten Folge: Auf ein Glas Wein mit Sven Hannawald
Zur dritten Folge: Auf ein Glas Wein mit Paul Ripke
Zur vierten Folge: Auf ein Glas Wein mit Gregor Gysi