Theresa Olkus: Friedrichshain ist deine Hood, oder?
Sarah Kuttner: Eigentlich war Friedrichshain nie meine Hood. Ich bin aber tatsächlich hier im Krankenhaus in Friedrichshain geboren. Heute wohne ich um die Ecke, im Prenzlauer Berg. Ich glaube, ich wohne inzwischen seit 20 Jahren da.
Ich habe mich immer gefragt, wie man als Kind wird, wenn man mitten in einer riesigen Stadt wie Berlin groß wird.
Und ich habe mich immer gefragt wie das ist, wenn man eine Homebase außerhalb der Stadt hat. An Weihnachten zum Beispiel fahren alle meine Freunde „nach Hause“. Mein Zuhause ist aber genau hier, dieses „nach Hause“ fahren kenne ich also gar nicht.
Manchmal beneide ich Leute, die zurück in ihre Heimat fahren. Ich bin aber wirklich mitten in Berlin groß geworden. Als Kind habe ich unter dem Fernsehturm abgehangen. Meine Schule war 100 Meter davon entfernt. Wir sind damals über die Mauern in den Hackeschen Höfen geklettert. Es könnte schon sein, dass man etwas „tougher“ oder selbstständiger ist, wenn man hier aufwächst.
Heute wohnst du teils in Berlin, teils in Brandenburg.
Ich habe ein Wochenendhäuschen – so nennt man das doch – in Brandenburg. Im Sommer verbringe ich tatsächlich die Hälfte der Zeit da: drei Tage Berlin, drei Tage dort. Das ist gerade mit den Hunden toll. Im Winter friert dort das Wasser ein, deshalb bin ich in dieser Zeit meist eher seltener dort.
Während der Corona-Zeit konnte man sich dort sicherlich gut zurückziehen.
Ich bin ja sowieso ein kleiner Soziopath und gar nicht der große Fan vom neue Menschen kennenlernen – weshalb ich schon immer gerne zurückgezogen gelebt habe. Ich bin gerne in meiner Wohnung, mit meinem Freund, unseren Hunden – wir sind uns genug. Für uns war das gar kein großer Unterschied. Wir dachten: „Okay, wir machen einfach alles wie immer“.
...also nicht rausgehen, mal jemanden auf ein Getränk treffen?
Nein, das mache ich sowieso wirklich selten. Ich habe schon lange niemanden mehr „auf ein Getränk“ getroffen – weil ich eigentlich nicht oft Alkohol trinke. Da fällt das „komm, wir gehen was trinken“oft weg. Ich denke oft, wie schön das wäre, sich auf ein Glas Wein zu treffen und den wirklich richtig zu genießen. Du kannst mich heute also immer noch zur Weintrinkerin machen. Bisher habe ich aber einfach noch nichts gefunden, was mir schmeckt.
Mir wurde gesagt, dass du süße Getränke liebst und ich habe gedacht, wir gehen auf das Maximum an Süße in Sachen Wein. Hast du schon mal etwas von Eiswein gehört?
Das ist ein Dessertwein, oder? Sobald das Wort „Dessert“ davorsteht, bin ich am Start. Ganz im Ernst. Ich bin großer Nachtisch-Fan. Ich habe mit 13, 14 Jahren mit süßen Getränken angefangen. Bier hat mir damals nicht geschmeckt. Also habe ich angefangen mit lieblichem Roséwein aus dem Tetrapack – ich hatte einfach keine vernünftige Weinerziehung.
Ich habe heute das ungefähre Gegenteil davon dabei. Einen 2018 Riesling Eiswein aus dem Rheingau. Etwas wirklich Hochwertiges und Seltenes. Eiswein gibt es nicht in jedem Jahr.
Und der entsteht aus gefroren Weintrauben...?
Ja. Es braucht minus sieben Grad, damit das Wasser in den Beeren so stark gefriert, dass es gefroren in Form von Eis in der Presse zurückbleibt und nur reiner Extrakt übrigbleibt.
Stoßen wir an?
Ja wir sollten anstoßen. Ich bin gespannt, wie er dir schmeckt.
Woah, super geil. Das ist wirklich super geil. Schmeckt gar nicht doll nach Alkohol. Das ist wirklich lecker und nicht so stark.
Der hat sieben Volumenprozent – also eher wenig. Aber ist ja logisch, weil ja Zucker in Alkohol umgewandelt wird und hier ist noch extrem viel Zucker „übrig“.
Wie viel ich lerne. Ich muss anfangen, mir Notizen zu machen. Ohne Spaß – ich finde das super interessant.
Eiswein hat schon etwas Magisches, geht mir auch so.
Der ist wirklich lecker. Ich hatte schon befürchtet, ich muss dir aus Freundlichkeit sagen, dass mir das schmeckt. Aber das ist wirklich lecker.
Ich weiß nicht, ob du mehr der Dessert- oder Käsetyp bist, aber dazu kann man ihn auch richtig gut trinken...
Was glaubst du? Dessert! Ich finde es eine Unverschämtheit, zum Nachtisch noch mal Käse und damit die Vorspeise zu essen oder was auch immer gerade auf der Stulle war. Das geht wirklich nicht. Dessert muss mit Zucker sein. Deswegen lasse ich auch immer Vorspeisen weg. Weil ich danach sonst schon satt bin – ab sofort immer mit Eiswein dazu. Aber warum hast du mir nur einen Zentimeter eingeschenkt?
Für viele ist das wie flüssiges Gold. Man schenkt lieber weniger ein und dann noch einmal nach, damit der Wein nicht warm wird. Sonst verliert er seine Spannung. Jetzt riecht er so schön nach Honig, reifer Zitrone und Karamell.
Und warum schwenkt man den Wein immer, außer dass es gut aussieht?
Die Aromen können sich besser freisetzen. Man nimmt einfach mehr wahr, wenn der Wein etwas Luft bekommt. Du machst das schon fast wie ein Profi.
Wenn ich merke, ich kapiere das, dann habe ich auch richtig Lust, mehr zu darüber zu lernen. Bisher sitze ich immer wie ein Idiot neben den Leuten, die Wein trinken. Und ich wünschte, ich wäre einer von denen, die diese bauchigen Gläser vor sich haben – das würde mir so gut stehen. Jetzt kann ich zumindest immer einen Eiswein in meinem Glas schwenken. Ab sofort tue ich so, als hätte ich Ahnung.
Wenn du in Berlin durch die Straße läufst, erkennen dich dann viele Leute?
Die Hochzeiten davon sind vorbei. Erwachsene neigen dazu, mich zu sehen und stupsen dann ihren Partner an: „Guck jetzt nicht hin, aber da ist Sarah Kuttner“. Ich bin so ein überempathischer Mensch – ich sehe alles. Manchmal denke ich: „Wenn du es nicht unauffälliger hinkriegst, dann winke ich“ – nur um ihnen das Gefühl zu geben, dass sie erwischt wurden. Dabei ist das eigentlich assi, ich wäre ja genauso. Wenn ich auf der Straße Thomas Gottschalk sehen würde, würde ich exakt zu meinem Freund sagen: „Guck jetzt nicht hin, aber da ist Thomas Gottschalk“.
Das passiert also noch häufig?
Ja. Tatsächlich stresst mich das ein wenig. Ich trage viel Mützen und Sonnenbrillen, um nicht aufzufallen. Ich bin mit der Sache nicht ganz so entspannt. Mein ganzes Leben kam ich nicht wirklich damit klar, diesen privaten Teil von mir aufzugeben. Manchmal glaube ich, dass nur die Hälfte meiner Person in diesem Business richtig aufgehoben ist. Ich bin viel introvertierter als Leute denken, von Ruhm und Aufmerksamkeit überfordert, lasse mich nicht gerne fotografieren. Ich glaube sogar, dass viele Künstler nur diesen Beruf wählen, weil sie früher zu wenig Zuspruch oder Aufmerksamkeit bekommen haben. Heute mache ich wirklich nur noch ausgewählte Sachen.
Zur zweiten Folge: Auf ein Glas Wein mit Sven Hannawald
Zur dritten Folge: Auf ein Glas Wein mit Paul Ripke
Zur vierten Folge: Auf ein Glas Wein mit Gregor Gysi
Zur fünften Folge: Auf ein Glas Wein mit Hartmut Engler