Wir sind heute an der Hochschule für Film und Fernsehen. Was bringt dich immer wieder hier her?
Veronica Ferres: Ich habe das große Glück, dass ich hier in den Serien und Seminaren der Studierenden Gastdozentin sein darf. Als damals 17-Jährige bin ich in die Filmhochschule gegangen und habe eine Info über mich an das schwarze Brett gepinnt. Dort standen Anfragen von jungen Regisseuren, die Schauspieler gesucht haben. Ich habe mich für ein Vorsprechen beworben und die Rolle bekommen. Das Projekt hieß „Fotofix“ von Patrick Hörl und war eine stille Liebesgeschichte. Durch diese erste Filmrolle habe ich unglaublich viel gelernt. Ich verdanke der Hochschule sehr viel. Hier habe ich meine erste richtige Schauspielarbeit gemacht, während ich in direkter Nachbarschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität Theaterwissenschaften, Germanistik und Psychologie studiert habe.
Warum genau diese Fächerkombination?
Psychologie, weil ich finde, dass der Beruf des Schauspielers nichts anderes ist als der eines guten Psychologen. Du musst die Menschen, die du portraitierst, erkennen. Du musst sie in ihren psychischen Strukturen zeichnen und auch auf ihre wunden Punkte eingehen. Alles, was ein guter Therapeut auch können muss. Deshalb hat mich die Menschenkunde der Seele und der Gefühlswelt sehr fasziniert. Theaterwissenschaften wollte ich studieren, um die Rollenanalyse und Dramaturgie zu lernen. Germanistik habe ich studiert, weil mich die Literatur begeistert hat. Das habe ich mit 18 Jahren an der LMU begonnen, wollte aber eigentlich immer Schauspielerin werden. Deshalb hatte ich währenddessen immer Vorsprechen an Schauspielschulen, die mich aber alle nicht genommen haben. Sie meinten, dass eine Frau von über 1,80 Meter Größe ein Sozialfall im Theater wird.
Was war in deren Augen der Nachteil, wenn man so groß ist?
Ich bin sechs mal unabhängig voneinander in die letzte Runde gekommen. Das heißt, man hatte 1000 bis 1200 Bewerber pro Jahr und in der letzten Runde nur noch 30. Also war ich immer eine dieser 30. Jedes Mal habe ich gedacht: „Jetzt hast du‘s“. In die Klasse werden dann acht bis zwölf Schüler aufgenommen. Diese letzte Runde habe ich allerdings nie geschafft. Jedes mal hieß es: „Das geht nicht. Wir können dich nicht besetzen.“ Sie meinten, dass im Theater die Männer immer klein sein würden. Man könne keine Julia spielen, die größer ist als der Romeo. Sie meinten „Lass das, du wirst ein Sozialfall.“ Das hat mich damals in eine schwere Krise geworfen. Aus dieser Verzweiflung habe ich aber so viel Kraft geschöpft, dass ich richtig stur wurde und dachte: „Ich lass mir doch nicht wegen ein paar Zentimenter Beinlänge meine Berufung klauen.“ Danach hatte ich dann meine ersten kleinen Rollen und irgendwann die erste größere Hauptrolle in „Schtonk“.
Also Film statt Theater?
Ich hatte damals viel Theater in den Knochen und wollte nie zum Film. Ich empfand das als nichts für Schauspieler (lacht). Im Casting zu „Schtonk“ war Uwe Ochsenknecht mein Partner. Ich bin damals zu ihm gegangen und meinte: „Ich weiß nicht mehr, wovon ich die Miete zahlen soll. Ich brauch den Job. Kannst du mir helfen? Ich bin noch nicht so kameraerfahren.“ Dass jemand mit so einer Offenheit kommt, hat ihn erstaunt. Er hat mir wertvolle Tipps gegeben und absolut durch dieses Casting getragen, sodass dann die Zusage kam. Das verbindet mich mit München. Aus Schwabing kriegt mich keiner raus. Irgendwann nur waagerecht (lacht).
Aufgewachsen bist du auf einem Hof in Solingen. Deine Eltern wollten aber nicht, dass du den Hof übernimmst, sondern eigentlich war ein Medizinstudium geplant, richtig?
Ich habe damals festgestellt, dass ich das nicht schaffen werde. Die nötige Distanz auf der Station konnte ich nicht aufbauen. Das war für mich sehr schwer. Ich glaube sogar, dass die Medizin und die Schauspielerei ganz nah beieinander sind. Du hast nämlich sehr viel mit Menschen zu tun und kümmerst dich darum, dass es den Menschen, wenn sie dich gesehen haben, danach besser geht. Schauspieler sind Geschichtenerzähler. Ich möchte gerne, dass Leute anders aus dem Theater gehen als sie reingegangen sind. Dass man sich entweder unterhalten fühlt, man etwas dazu gelernt hat oder eine alte, sehr verkrustete Ansicht ein bisschen aufbricht. Als Schauspieler möchte man etwas bewirken können. Ich bin mir absolut sicher, dass die Kunst, die Filme, die Theater und die Literatur in Menschen etwas verändert. Deshalb habe ich den schönsten Beruf der Welt, ich darf Geschichtenerzählerin sein.
Leider haben es genau diese Geschichtserzähleneden Berufe aktuell nicht leicht.
Das ist es. Die Kultur fällt aktuell durchs Raster. Die Kunst- und Theaterindustrie ist eine nicht anerkannte Industrie. Was da gerade passiert, ist eine Katastrophe. Die Menschen werden nicht gehört. Wir erleben das ja selbst mit unserer Produktionsfirma. Es kostet Geld, das Team zu halten, die Drehverzögerung, die Crew... Es ist der Wahnsinn.
Jetzt sind wir schon so tief im Gespräch, dass wir fast das Weintrinken vergessen. Ich schenke uns mal ein.
Die Farbe ist ja eine Überraschung. Sie sieht sehr kräftig aus, etwas dunkler. Was ist das? Es sieht aus wie ein Chardonnay. Darf ich schon probieren?
Klar. Die Farbe ist etwas kräftiger, weil es ein gereifterer Riesling ist. Ein 2014er Jahrgang. Wie schmeckt er dir?
(Probiert). Mmmh. Damit hast du voll meinen Geschmack getroffen. Normalerweise – mein Mann ist ein Riesling-Fan – ist mir Riesling oft zu leicht, zu hell, zu trinkig. Aber der hat richtig Tiefgang. Deshalb liebe ich Chardonnay so sehr, aber der Riesling geht in die Richtung von diesem vollem Aroma. Das freut mich sehr. Zum Wohl.
Man möchte ja einen Wein mitbringen, der zur Person passt. Bei dir war mir sofort klar, ich muss etwas von einer starken Winzerin mitbringen.
Finde ich großartig. Was ist das? Ein Burgberg?
Burgberg ist die Weinbergslage, eine „Große Lage“. Also so etwas wie ein Filetstück im Weinberg – eine Spitzenlage. Die Winzerin heißt Caroline. Kennst du die Region an der Nahe?
Nicht wirklich. Wo liegt das? Darf ich mir das Etikett fotografieren? Das muss ich uns bestellen, dann habe ich schon eine Idee für ein Weihnachtsgeschenk.
Die Nahe ist in Rheinland-Pfalz. Burg Layen ist ein Dorf dort mit gerade mal etwa 60 Einwohnern. Caroline war in sämtlichen Weinbauländern der Welt unterwegs und lässt das nun auf dem familären Weingut einfließen. Was schlummert bei euch zu Hause so im Keller?
Mein Mann trinkt gerne Riesling. Heute Morgen war ich extra noch mal unten im Keller und habe mir die Weingüter für dich aufgeschrieben, um ein bisschen zu klugscheißern (lacht). Dönnhoff, Schäfer-Fröhlich, Christmann und Keller. Sagen die dir irgendwas?
Ja. Dönnhoff ist zum Beispiel auch an der Nahe. Was trinkst du sonst gerne?
Ich bin mehr der Rotwein-Fan. Aber ich habe durch die Riesling-Leidenschaft meines Mannes ab und zu auch Riesling probiert und ich muss sagen, das ist der beste. Wir haben vor zwei Jahren eine Wine-Tasting-Tour durch die Toskana gemacht, uns einfach ins Auto gesetzt und sind losgefahren. Es gibt Bilder, auf denen ein Tisch voller Weingläser steht und eigentlich probiert man ja nur – aber ich hab den Wein dann doch oft getrunken (lacht). Am nächsten Morgen sind wir dann wieder weitergefahren. Auf diesem Trip haben wir eigentlich nur Wein probiert und Pasta gegessen. Ich habe in der Woche drei Kilo zugenommen.
Gab es mal eine Rolle, in der du etwas mit Wein spielen musstest?
Das ist noch gar nicht so lange her. Einmal musste ich Nelly Mann, eine ganz wunderbare, tragische Frau, spielen. Sie hat ihren Gatten Heinrich Mann so sehr geliebt, dass sie für ihn zum Blutspenden gegangen ist, um ihm mit diesem Geld Rotwein zu kaufen.
Was für eine Symbolik.
Sie hat ihn über alle Maßen geliebt. Eine Symbolik der Liebe. Damit er sein Vergnügen hat. Ich hatte aber auch ein besonderes Erlebnis beim Film „Meister des Todes“. Ich spielte eine Ehefrau und wir haben eine Szene gedreht, die sich „Geburtstag im Garten“ nannte. Ich wusste damals nicht, dass der Requisiteur ausgefallen war. Denn normalerweise ist beim Dreh immer klar: Alkohol am Set ist alkoholfrei.
Scheinbar nicht an diesem Tag...
Man fängt ja morgens sehr früh an und muss den ganzen Tag hochkonzentriert sein. Der Requisiteur ist aber ausgefallen und wurde von einem Assistenten ersetzt. Wir haben die Szene geprobt und mir wurde gesagt, in der Szene solle ich die Flasche aufmachen, mir eingießen und während des Dialogs die Flasche leer trinken. Wir drehten das und ich dachte noch: „Der schmeckt aber richtig gut“. Nach der Dreiviertel-Liter-Flasche Wein war die Szene vorbei und plötzlich wurde mir etwas schwummrig. Ich meinte zum Assistenten: „Irgendwie geht’s mir nicht gut. Du bist schon sicher, dass das Wasser mit Farbstoff oder Apfelsaft (wie beim Dreh üblich) ist? Was hast du denn eingefüllt?“. Er meinte: „Gar nichts.“ Dann war mir klar, ich habe innerhalb von zehn Minuten eine ganze Flasche Wein getrunken. Es war morgens halb neun. Daraufhin habe ich viel Espresso und Massagen bekommen – irgendwie ist es mir später dann gelungen, wieder etwas auszunüchtern. Aber der Schock über diese Flasche Wein war sehr groß.
Echter kann man den Rausch nicht spielen, oder?
Wenn du dir die Szene heute anschaust, dann sieht man auch nicht, wie sehr ich gegen Schwindel ankämpfe. Man denkt einfach nur, das ist eine verpeilte, verlorene Seele.
Spielst du lieber ernste oder unterhaltsame Rollen?
Ich liebe die Vielfalt, die uns der Beruf schenkt. Komisch zu sein ist viel schwieriger und anstrengender. Du musst viel mehr deine Technik beherrschen. Es geht um Timing, um Pointen, um Pausen, um Betonungen. Wenn du komisch sein willst, bedarf das einer ganz anderen Technik und das können – das sage ich jetzt mal ganz eitel – nicht viele. Tragisch zu sein ist viel einfacher. Das Komische ist auch, dass bei tragischen Szenen oft gelacht wird am Set – weil man das als Ventil braucht. Andersherum ist bei Komödien die Stimmung am Set häufig total ernst.
Gerade dann sollte man öfter mal anstoßen. Worauf stoßen wir an?
Auf den Nachwuchs, auf die jungen Regisseure und Autoren hier an der Hochschule. Eine Regisseurin, die gerade ihren Abschlussfilm hier gemacht hat, hat übrigens tatsächlich die Regie für einen 70-Millionen-Dollar-Netflix-Film gemacht, den ich produziere. Eigentlich stand ein etablierter, männlicher Regisseur fest und ich dachte aber: „Nein, er passt nicht zu diesem Frauenstoff.“ Jetzt haben wir es geschafft, dass die Regisseurin nach ihrer Erstlingsregie diesen großen amerikanischen Film gedreht hat. Auf die Kunst, cheers.
Zur ersten Folge: Auf ein Glas Wein mit Sarah Kuttner
Zur zweiten Folge: Auf ein Glas Wein mit Sven Hannawald
Zur dritten Folge: Auf ein Glas Wein mit Paul Ripke
Zur vierten Folge: Auf ein Glas Wein mit Gregor Gysi