Theresa Olkus: Endlich schaffen wir es, uns zu treffen. Solange am Stück wie in den letzten Monaten warst du noch nie in den USA, oder?
Paul Ripke: Ja! Zehn Monate. Bevor ich wieder nach Deutschland gekommen bin, waren meine Familie und ich mit unseren Nachbarn essen. Die haben uns auch gefragt: „Oh, jetzt seid ihr ja schon sehr lange nicht mehr in Europa gewesen?“ und meine Frau sagte: „Zehn Monate, zwölf Tage und 17 Stunden – but who’s counting?“. Wir waren eine sehr lange Zeit am Stück in Amerika und jetzt bin ich für vier Wochen wieder hier.
Du meintest mal, dass du lieber in den USA lebst. War das auch so ab dem Zeitpunkt als du wusstest, dass du auch erst mal eine Weile nicht zurück nach Deutschland kommen kannst?
Gut! Wir wohnen in einem doch sehr touristischen Ort. In den letzten Wochen waren dort weniger Touristen, was ganz angenehm war. Meine Frau und meine Kinder waren ja da – entsprechend hatten wir eine lustige und schöne Zeit. Fairerweise muss man sagen: Wir wohnen dort am Strand und man kann vieles draußen machen. Ich habe es sehr genossen, endlich einmal nicht die Option zu haben, irgendwo hinzufliegen, sondern dass es entschieden war, an einem Ort zu bleiben.
Wie war das Zurückkommen in die Heimat?
Grün. Sehr grün. Deutschland ist wirklich grün – erst recht nach zehn Monaten kalifornischer Wüste. Auch wenn ich mich freue, hierher zu kommen, ist Amerika meine Heimat. Während der letzten Monate und in der Corona-Zeit haben mich Freunde immer wieder gefragt: „Aber jetzt kommt ihr doch nach Hause?“. Meine Antwort war dann immer: „Ich bin zu Hause“. In meinem Leben ist in den letzten zwölf Jahren so viel passiert, was unplanbar war. Wir planen nicht langfristig und aktuell fühlen wir uns nach wie vor wohl in Kalifornien.
Was schätzt du an Amerika?
Ich bin nach wie vor Fan von diesem Land. Ich bin kein Trump-Fan. Die menschliche Kultur mag ich dafür sehr. Die Amerikaner sind schnell und entscheidungsfreudiger. Sie interessiert nicht so richtig, ob du studiert hast oder nicht, ihnen ist es egal, ob man sich etwas „verdient“ hat. Man freut sich mehr für dich, es gibt wenig Neid. Ehrlich gesagt wurde ich das ganze Jahr nicht so viel angemault wie in den letzten zwei Wochen in Deutschland. Es ist eine andere Energie – auch wenn sicher nicht alles immer nur positiv ist. Obwohl ich kein schöner Mann bin, sagen mir Leute in Amerika mehrmals am Tag: „Mensch, du siehst heute toll aus“. Vielleicht bin ich auch nur dumm genug, diese Oberflächlichkeit zu glauben, aber im Moment sind wir sehr glücklich da drüben.
Mit einem gemeinsamen Bekannten warst du letzte Woche auf Radtour durch einige Weinbauregionen. Als ich ihn gefragt habe, was du wohl gerne trinkst, meinte er: „Weißwein und nicht zu wenig“. Ich habe jetzt mal einen Grauburgunder vom Kaiserstuhl mitgebracht. Soll ich uns einschenken?
Ja, bitte! Der Kaiserstuhl ist doch da unten bei Freiburg, richtig? Ich bin großer Fan von Freiburg und vom Europapark. Immer her damit – ich bin gespannt, wie’s schmeckt. Kennst du den Song „Alles verboten“ von meinem Freund Marteria? Er und Casper erzählen darin, was alles verboten ist. Eben unter anderem „So tun, als ob man Ahnung von Wein hat“. Tschuldigung, Marten. Wir tun jetzt mal so.
Eine gewisse Verbindung zum Wein hat man aber schon, wenn man hier aufgewachsen ist…
Natürlich! Meine Mutter ist Pfälzerin und wir hatten als Familie schon immer ein Weingut, bei dem wir regelmäßig Wein gekauft haben. Das zieht sich bis heute so durch. Von dort hatte ich auch den Wein für meine Hochzeit. Der Grauburgunder schmeckt echt gut!
Was ist dir in Erinnerung geblieben von eurer Wein-Rad-Tour?
Es ist ja tatsächlich besserer Wein, wenn man auf so einem regionalen Weingut ist – so dumm wie es klingt. Klar kann ich billigen Wein von sonst woher trinken. Es macht aber mehr Spaß, einen 13-Euro-Riesling zum Beispiel von der Nahe zu trinken und dabei zu wissen, welche Qualität das hat. Ich glaube, dass Leute das echt wertschätzen und es deshalb mehr nachfragen werden. Wenn man ein gutes Produkt macht, wird sich das durchsetzen.
Tatsächlich war ich erst letzte Woche am Kaiserstuhl. Wir saßen am Tagesende in der Abendsonne ganz oben in den Weinbergen und hatten eine wahnsinnig schöne Aussicht bis ins Elsass und die Vogesen. Dort müsste man mal mit dem Fahrrad hin.
Total! Ich war schon einige Male da und es ist wirklich schön. Nach wie vor hat Freiburg auch die meisten Sonnenstunden. Das macht ja etwas mit einem. Das ist anders, als wenn man immer nur im Regen in Kiel sitzt. Da verstehe ich, dass man dort eher seltener mittags bei einem Grauburgunder die Seele baumeln lässt.
Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 warst du mit deiner Kamera so nahe an den Spielern der Nationalmannschaft wie kein anderer. War das ein Meilenstein in deiner Karriere?
Ja! Wobei man ja auch nicht auf einen Tag begrenzt werden möchte. Es gab viele Leute, die gesagt haben: „Egal, wen man da rein gelassen hätte, jeder hätte die gleichen Fotos gemacht“. Das glaube ich nicht. Aus echter, voller Überzeugung glaube ich, dass das mit Beziehungen, Erfahrung, Mut und sicherlich auch viel Zufall und Glück zu tun hatte.
Nichtsdestotrotz stimmt es. Das war das erste Mal, dass Menschen von mir in breiter Masse gehört haben. Das war ja ein Moment, den kein Deutscher vergisst. Dass ich damals ein paar Fotos gemacht habe, ist das eine. Dass aber die Fotos genutzt wurden, um Deutschland danke zu sagen, das andere. Das macht mich eigentlich am stolzesten. Irgendwas muss ich also in dieser Nacht doch getroffen haben. Man darf auch nicht vergessen, dass mein Beruf auch immer damit zu tun hat, was vor der Kamera passiert. Und das war damals eben sehr emotional. Bis heute bin ich darüber noch tief demütig. Die Jungs sind Weltmeister geworden und ich war an der richtigen Zeit am richtigen Ort.
Stimmt es, dass Oliver Bierhoff gesagt hat „Wir schießen die Tore, du die Fotos“?
Das müsst ihr ihn fragen (lacht). Es gab damals bekanntlich viel Ärger, auch weil ich anderen Fotografen im Weg stand. Ich war vier Jahre bei der FIFA gesperrt und habe ein paar Regeln gebrochen. Aber ja, die E-Mail ist echt. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die nicht gesagt haben: „Du kannst dann auf den Rasen kommen“ sondern „Du kannst vielleicht zwei, drei Bilder auf der Party danach machen, falls wir gewinnen“. Dass dann andere Sachen passiert sind, lag an vielen Zufällen und Leuten, die mir zwischendrin geholfen haben.
Dennoch war es die richtige Entscheidung, das gemacht zu haben?Absolut. Bis heute sehe ich das so. Damals habe ich einfach nur funktioniert. Ich wusste – jetzt oder nie. Mein Telefon in der Tasche hat nicht aufgehört zu klingeln, weil ich wohl ständig im Bild im Fernsehen war. Leute, die ich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen habe, haben versucht, mich anzurufen.
Folgt man dir auf Instagram, hat man das Gefühl, dass du ständig mit jemandem unterwegs bist und immer in Gesellschaft. Kannst du auch gut für dich alleine sein?
Wenn ich alleine bin, zeige ich das nicht. Tatsächlich bin ich das aber sehr oft. 40 Prozent will ich immer Leute dabei haben, 40 Prozent bin ich mit meiner Familie ganz privat – davon zehre ich sehr. Und dann gibt es noch 20 Prozent, in denen ich ganz alleine bin. Vor kurzem erst bin ich eine Woche mit dem Fahrrad seelenallein nach San Francisco gefahren. Ich finde das sehr wichtig. Aber ja, mir wird sehr schnell langweilig. Zudem habe ich ja ein paar Telefonnummern, die ich immer spontan anrufen kann und das bereichert meinen Tag jedes Mal.
Ein Alltag existiert bei dir nicht?
Ich finde es eben viel lustiger, wenn man etwas Außergewöhnliches macht als den langweiligen, vernünftigen Weg zu gehen. Deshalb trinken wir auch schon das zweite Glas Wein hier. Ich kann nur ganz schwer „grau“ – es ist immer schwarz oder weiß. Ein Alltag existiert nicht.
Wenn du dir dann einen Wein aufmachst, was trinkst du dann?Allgemein versuche ich die Regel meines Opas einzuhalten: Ein Tag in der Woche, eine Woche im Monat, einen Monat im Jahr und ein Jahr im Leben keinen Alkohol trinken. Das Jahr hätte ich fast letztes Jahr geschafft. Aber auch das war mir dann zu „gerade“, nach elf Monaten habe ich dann die Regel gebrochen. Das finde ich aber auch wichtig: Sich selbst etwas vornehmen und es dann aber doch anders machen. Grundlegend ist es aber so, dass wir vor 16 Uhr zu Hause nichts trinken. Meine Frau und ich trinken aber sehr gerne Rosé bei uns in Newport Beach.
Zur ersten Folge: Auf ein Glas Wein mit Sarah Kuttner
Zur zweiten Folge: Auf ein Glas Wein mit Sven Hannawald
Zur vierten Folge: Auf ein Glas Wein mit Gregor Gysi
Zur fünften Folge: Auf ein Glas Wein mit Hartmut Engler