Eine unbequeme Wahrheit

Al Gore hat den Oscar gewonnen und den Friedensnobelpreis bekommen, doch der Traum seines Lebens wird sich nie erfüllen. Über das tragische Geheimnis eines fast ganz Großen.

Kann man sich von der Politik »entlieben«? Kann man einfach nicht mehr wollen, das süßeste aller Ziele aufgeben – nach 30, manche sagen nach 59 Jahren? Al Gore sitzt in seinem eigenen weißen Haus am Lynnwood Boulevard in Nashville, Tennessee, und behauptet, er sei »befreit«: »Es ist jetzt leichter für mich loszulassen.« Hübsch gesagt mit einem auf hundert Millionen Dollar geschätzten Vermögen, umgeben von knapp tausend Quadratmeter Wohnfläche, ausgezeichnet mit dem Grand Slam im internationalen Wettbewerbs-Zirkus: Oscar, Emmy und Friedensnobelpreis.

Zweimal wollte Al Gore Präsident der Vereinigten Staaten werden. 1988 war er zu jung und zu ambitioniert. 2000 war er nur noch ambitioniert. Ein Kandidaten-Klon, das synthetische Produkt von Beratern, die ihn irgendwann während der Kampagne in erdfarbene Kleider steckten. Gore verlor 2000 nicht wegen des Obersten Gerichts oder wegen schlecht gestanzter Wahlkarten in Florida – er verlor wegen Al Gore, und zwar schon in Tennessee oder in New Hampshire, Bundesstaaten, die ein Demokrat nicht verlieren darf. 2008 werden die Demokraten gute Chancen haben, den US-Präsidenten zu stellen. Aber Gore tritt nicht an. Der richtige Zeitpunkt ist verpasst, die Berater alle unter Vertrag bei anderen Kandidaten, das Spendengeld verteilt. Gore, der viele Anrufe erhalten hatte, ließ Finanziers und potenzielle Helfer wissen, sie sollten sich durch ihn nicht gebunden fühlen.

Aber warum? Ist er nicht einer der beliebtesten Politiker seines Landes? Feierte er nicht eine glanzvolle Auferstehung nach der Schmach von 2000? Hat er nicht einen neuen Politiker-Typus geschaffen, den globalen Öko-Aktivisten, vernetzt mit unzähligen Gleichgesinnten, ein Meister des viral marketing, der Flüsterpropaganda im Internet. War es nicht er, der sich als Einziger richtig entschieden hatte gegen Krieg im Irak und für das Klima?

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Es wird das Schicksal Al Gores sein, dass ihm sein Lebenstraum versagt bleibt, dass er niemals im Oval Office regiert. Die letzte Chance vergab er im Frühjahr 2007, als er kurz nach der Oscar-Verleihung hätte starten müssen. Aber er zögerte. Und schließlich war sie wieder schneller, diese Sippschaft aus Arkansas, inzwischen verzogen nach New York. Da war Hillary Clinton, das eigentliche Problem.

Hillary und Bill Clinton spielen im Leben von Al Gore eine komplizierte Rolle. Von den ersten Tagen der Kampagne von 1992 an trugen sie ihre Spannungen aus. Hillary sah sich in der Rolle einer Art Vizepräsidentin. Sie verlangte nach einem Büro auf dem Flur neben dem Oval Office, sie wollte Politik machen – obwohl eigentlich er gewählt worden war.

Hillary Clinton und Al Gore sind ähnliche Charaktere, kopfgesteuert, kontrollbesessen, feinnervig in Machtfragen. Beide erheben einen hohen moralischen Anspruch, sehen die Welt in Schwarz und Weiß und sind unfähig, spielerisch mit den Stärken und Schwächen anderer umzugehen. Sie tun sich überhaupt schwer im Umgang mit Menschen, sind eher misstrauisch als offenherzig und wollen nichts dem Zufall überlassen. Al Gore war der Mikromanager der Clinton-Präsidentschaft – und Hillary die Controlling-Abteilung. Beide konnten nichts ausrichten gegen die größte Bedrohung: die nicht zu steuernde Emotionalität und am Ende eben auch die Libido Bill Clintons.

Diese Ohnmacht hat beide gleichermaßen niedergezogen, aber während Al Gore den Abstand suchte, in falscher Einschätzung der Stimmung Bill Clinton als Ballast empfand und sich im Wahlkampf 2000 von ihm distanzierte, arrangierte sich Hillary Clinton mit ihrem Schicksal.

Hillary Clinton und Al Gore leben in einer politischen Symbiose, und wieder einmal ist Al Gore der schwächere Teil. Dies muss er gewusst, zumindest geahnt haben. Ein Duell mit Hillary wollte er nicht herausfordern, nicht im Sommer 2007. Es gehört zur Tragik in Gores Leben, dass er ein schlechtes Gespür für den richtigen Zeitpunkt hat und dass er im Zweifel nicht zubeißen kann. So kam es zur Wiederkehr eines Lebensmotivs, zur dritten Wiederholung eines tragischen Themas. Mag sein, dass er später eine Rolle einfordert, dass er Druck macht von außen, oder eingebunden werden muss in die nächste Clinton-Präsidentschaft als Sonderminister. Aber er wird nicht an der Spitze stehen. Nicht Al Gore.


Vom Autor erscheint im Dezember die politische Biografie »Al Gore –
Mission Klima«.