Kürzlich hielt ich mich zu Erholungszwecken outdoor auf. Ich ging an einer Seenplatte spazieren. Es war ein warmer Tag, und es regnete nicht. Aber natürlich hatte es an den vorhergehenden Tagen geregnet, wie es an allen vorhergehenden Tagen geregnet hatte. Die Luft war feucht, in den Traktorspuren auf den Wegen waren Pfützen, auf den Wiesen stand das Wasser. Die Seen: randvoll.
Ich hatte mein Auto noch nicht verlassen, da umsirrten mich erste Mücken. Sie stachen mir ins Gesicht. Ich trug ein Polohemd, sie stachen hindurch. Ich trug Jeans, kein Hindernis für die Tiere. Ich trug Socken, lächerlich, moderne Mückenrüssel durchdringen dicksten Sockenstoff.Ich besprühte mich mit Autan, aber ich war allein und konnte meinen Rücken nicht erreichen, weshalb sich die Tiere auf diesen Rücken konzentrierten, spezielle Rückenmücken bildeten hinter mir eine Wolke, von fern muss es ausgesehen haben, als trüge ich einen Rucksack, aber es waren saufende Mücken, nahezu besinnungslos vor Gier, eine nach der anderen ihren Rückenmückenrüssel in mein Fleisch senkend, dann glücklich lallend abfallend.
Ich brach den Spaziergang ab, es war ohnehin keiner gewesen. Wäre ich weitergegangen, hätten mich die Mücken in ihre Mitte genommen und wären mit mir weggeflogen, um mich in Ruhe irgendwo leer zu saufen. Als ich heimkam, erkannte meine eigene Frau meinen Rücken nicht wieder. Sie habe so was noch nie gesehen, sagte sie, so verkraterte, verwulstete, blutleere, doch tiefrote Haut; sie kenne diesen Rücken nicht, er sei ihr fremd.
Man hört und liest ja viel von der Lust der Menschen, sich outdoor aufzuhalten. Die Frage ist aber, ob dieses Draußen noch uns gehört. Man hört aus Schweden von einer so gewaltigen Mückenplage, dass elektrische Mückentöter den Dienst versagen, weil sie verstopft sind von Mückenkörpern. Man vernimmt aus Norddeutschland von einer Marienkäferinvasion, bei der ganze Norddeutsche nicht mehr als solche erkennbar waren: ihre Körper komplett von Käfern bedeckt!
In England, heißt es, habe das Grillenzirpen den Gesang der Feldlerche als Sommersound abgelöst. Und im Süden des Landes sei zu beobachten, dass fliegende Ameisen sich in Schwärmen biblischen Formates über das Land erheben. Wobei diese Ameisen erstens die Eigenschaft haben, im Fluge den Geschlechtsverkehr auszuüben, und zweitens männliche Tiere unmittelbar nach dem Vollzug desselben sterben, also im Gegensatz zum Menschenmann gleich für immer einschlafen.
Man sitzt dann auf der Terrasse, und plötzlich trommelt ein Regen männlicher Ameisen nieder, alle mit dämlich-glücklichem Grinsen auf dem toten Gesicht, in der Luft pfeifendes Wie war’s für diiii …? aus Millionen Ameisenkehlen.
Vor Jahren las ich, ein einziger Borkenkäfer habe pro Jahr 50 000 Nachkommen. Da steht man machtlos vis-à-vis. Wobei wir froh sein dürfen, dass nur Insekten sich in diesem unverschämt-rücksichtslosen Ausmaß vermehren. Was wäre, wenn wir eines Morgens auf die Straße schauten und dort unübersehbare Pinguinmengen erblickten, weil in Hellabrunn die Fortpflanzung eines einzigen Pinguinpaares entgleiste? Oder riesige Rinderherden durchdrängten die Fußgängerzone, weil eine Rinderplage ausgebrochen ist? Schweine in Scharen in den Vorortzügen, hungrig grunzend, auf der Suche nach Schweinefutter in Schweinekrippen …
Und dann stand ich morgens nach dem Joggen an der Isar an einem Brückengeländer, dehnte die Waden und blickte auf einen einzelnen Grashüpfer herab, der nachdenklich auf einem Augustiner-Kronkorken saß. Den ganzen Tag dachte ich an ihn. »Bruder Grashüpfer«, dachte ich vor mich hin, »so einsam da auf deinem Kronkorken, was mag aus dir geworden sein?« Abends dachte ich, dass er jetzt wohl schon die Kommunion seines 200 748sten Sohnes feierte. Aber wo?
Der Kronkorken lag jedenfalls sicher immer noch da, outdoor, wie ich unsere Stadtreinigung kenne.