Leute, wir müssen einen Augenblick in Ruhe reden. Alle setzen sich hin. Handys aus! Können Sie die Kaffeemaschine abstellen? Das Geräusch stört.
Und die Tür schließen, bitte.
Fest steht, dass draußen etwas passiert, was keiner von uns versteht. Der Kurs der Volkswagen-Aktie verfünffacht sich zeitweise, gleichzeitig steht die Welt-Autoindustrie am Rande des Kollapses. Porsche kauft Volkswagen, keiner weiß, wie. Und warum. Gleichzeitig macht Porsche einen Gewinn, größer als der Umsatz, unfassbar. Ständig finden Konferenzen statt, an deren Ende Hunderte von Milliarden ausgegeben werden – woher kommt das Geld immerzu? Das ist unheimlich.Kürzlich wurde im Spiegel die Weltwirtschaftslage mit einer Fahrt über einen afrikanischen See verglichen: Irgendwo da unten, das wüssten die Leute im Boot, lauerten Krokodile. Aber wie viele? Und wo? Keine Ahnung. Später hieß es: »… der See mit den Krokodilen. Man sieht nichts, der See liegt glatt. Aber im Dunkeln darunter passiert eine Menge. Unbemerkt haben die Bankenschnösel ein Netz gespannt, haben durch Verkäufe in aller Herren Länder Zusammenhänge geschaffen, unkontrolliert, ohne große Worte, elektronisch. Sie sind stille Meister der Globalisierung. Sie haben eine zweite, eine heimliche Welt gebaut.« Oha! Unter Wasser, zwischen Krokodilen, ein von Bankenschnöseln gespanntes Netz, heimliche Wasserschnöselwelt…
Bitte denken Sie an Frank Schätzings Buch Der Schwarm! Es beginnt damit, dass Tiere im Wasser sich seltsam verhalten, Wale, Quallen. Tiefseewürmer lassen Norwegen ins Meer rutschen. Die Menschheit sieht sich konfrontiert mit den Yrr, einzelligen Gallertwesen im Meer, fähig zum zellulären Zusammenschluss mit anderen Yrr, zum Yrr-Schwarm, der über ein kollektives Gedächtnis verfügt und andere Wesen steuern, ja, sie perfekt nachbilden kann. Ähnliches geschieht in Michael Crichtons Beute, nur dass dort winzige Nano-Roboter aus einem Labor abgehauen sind, sich in Freiheit zu lernenden Lebewesen zusammenschließen und diesen und jenen Laboranten killen.
Was wir verstehen müssen, hier im Raum: Das Wirtschaftssystem – unsere eigene Schöpfung, wie einst Viktor Frankenstein das Monster schuf! – wendet sich gegen uns. Es scheint zu einer neuen Wesensform geworden zu sein, die wir nicht verstehen und steuern können. Ein zentrumsloser Yrr-Schwarm. Was das einzellige Gallertgeschöpf bei Schätzing ist, mag hier der Geldschein sein. Wie eine Meute gieriger Nano-Roboter einen Menschen nachbilden kann, so können vielleicht viele Geldscheine die Gestalt einer Person annehmen – aber wessen? Wiedeking? Mehdorn? Die eines Fahrkartenkontrolleurs, der ein Kind ohne Fahrschein an einem einsamen Bahnhof aussetzt, ein yrres Verhalten, das in letzter Zeit mehrmals zu beobachten war, so wie zu Anfang von Schätzings Buch Wale Ungewohntes taten.
Was will der Wirtschaftsschwarm? Richtet er alle Autokonzerne zu Grunde, sodass wir keine Autos mehr kaufen könnten, selbst wenn wir wollten? Sodass wir eine Weile mit verrottenden Mobilen sich leerende Autobahnen beführen, um dann auf die Bahn angewiesen zu sein. Aus deren Zügen uns aber nachts mit hackender Gestik und meckerndem Lachen Kontrolleure würfen; ihre Körper wären von silbernen Streifen durchwirkt, neben denen man Wasserzeichen fluoreszieren sähe.
Vielleicht leben wir ja auch in einem Roman? Vielleicht sind wir Figuren eines Autors? Wie unschwer zu erkennen steuert dieser Roman auf sein Finale hin. Weshalb der Gegenspieler des Wirtschaftsschwarms, Mister Obama, die Bühne betreten hat.
Leider gehört es nicht zu den Rechten von Romanfiguren, den Autor in einer Sprechstunde zu besuchen. Bitte öffnen Sie die Tür, gehen Sie raus, tun Sie, was zu tun ist. Hoffen wir, dass wir einen Autor haben mit Sinn für Happy Ends. Und vielleicht wird ja auch noch alles verfilmt.
Illustration: Dirk Schmidt