Der Winter geht zu Ende. Seit Jahren habe ich das Gefühl, er werde Jahr für Jahr länger und anstrengender. Es ist, als vegetiere man am Winterende nur noch dem Frühling entgegen. Man hofft, es möge endlich Schluss sein mit den Halsentzündungen und Nebenhöhlenverschleimungen um einen herum, mit den immer neu variierten Brechviren, welche die kleine Sophie aus dem Kindergarten nach Hause bringt, mit schneematschfesten Schuhen, den Schals und Mänteln, mit der den Hals dörrenden Heizungsluft, der trockenen Haut und dauernden Dunkelheit. Die haben früher nicht so lange gedauert, die Winter. Da stimmt was nicht.
Einmal in diesem Winter saß ich auf einem Bauernhof in Tirol und starrte ins Schneetreiben. Es schneite seit Tagen ununterbrochen, auch eine Zeiterscheinung: Entweder es gibt keinen Schnee oder viel zu viel. Vor der Tür türmten sich zwei Meter hohe, vom Bauern mit dem Traktor zusammengeschobene Schneehaufen. Die Kinder hatten Tunnel in diese Haufen gegraben, ein System von Tunneln, das war schön für die Kinder. Paola und ich standen am Fenster und überlegten, ob so ein Schneehaufen vielleicht einstürzen und die Kinder begraben könnte. (Das hatten wir früher auch nicht: solche Angst um die Kinder. Kann sein, es hängt damit zusammen, dass wir früher keine Kinder hatten. Irgendeinen Grund wird es haben.)
Es schneite also, ich glotzte hinaus und fand es einfallslos von der Schöpfung, dass immer nur Flocken vom Himmel fallen oder Tropfen, eins von beiden, vom Hagel als Ausnahme mal abgesehen. Schnee schneit, Regen regnet, Hagel hagelt. Könnte es nicht mal Würfel würfeln, die sich anmutig zu kleinen Mäuerchen sammeln und die Landschaft neu einteilen? Herr, lass es Kommas regnen oder Marshmallows oder Geheimzahlen! Oder Geld.
Ich fände es interessant, wie die Welt damit umgehen würde, wenn es einmal im Jahr irgendwo in Deutschland Geld regnen würde. Ob da der Deutsche dem Deutschen ein Wolf würde? Ob die Polizei das in den Griff bekäme, wenn es abends im Wetterbericht hieße: »Morgen Geldregen möglich! Geldwolke zieht von Holland her nach Südosten.« Und unter diese Wolke führe ein Schwarm von Autos voller Geldgeier, in offenen Cabrios…
An diesem Tag las ich in der Zeitung etwas über eine Insekten-Ausstellung im Tierpark Hellabrunn, in der, so stand da, es auch einen Goliathkäfer zu sehen gebe. Der Goliathkäfer werde bis zu 15 Zentimeter lang und lebe in West- und Zentralafrika, wo er bei Kindern sehr beliebt sei. Sie bänden, las ich, dem Tier Schnüre um den Leib und ließen es fliegen wie Kinder bei uns einen gasgefüllten Luftballon.
Immer leben die wirklich interessanten Tiere woanders! Bei uns hängen an den Leinen nur Hunde. Nicht mal Flughunde. Wie schön wäre es, auch ich könnte einen fliegenden Goliathkäfer mit mir führen, von mir aus auch einen Davidkäfer. Hauptsache Käfer und fliegend.
Herausragendes Ereignis dieses Winters: eine Pferdeschlittenfahrt durch den Winterwald. Bemerkenswert dabei, dass die Pferde heutzutage in Tirol eine Auffangvorrichtung für ihre Rossäpfel tragen müssen, vorbildliche Sache, man sollte sie auch für deutsche Hunde verpflichtend einführen.
Viele Pferdeschlittenbesitzer haben das Problem mithilfe eines immer wieder zu leerenden Apfelsacks am Rosshintern gelöst, unser Schlittenkutscher aber mit einer Art Rutschbahn, auf denen Rossapfel auf Rossapfel in einen Eimer rutschte oder jedenfalls rutschen sollte, denn einer von ihnen kam von seiner Rutschbahn ab, flog in die Luft, wo ihn (das Pferd war irgendwie nervös und schlug ein bisschen aus) ein Huf traf und nach hinten kickte, sodass seine Bestandteile auf meine im Schlitten sitzende Familie und mich niederregneten. Wir aßen gerade Popcorn, welches Luis mit seiner neuen Popcornmaschine daheim angefertigt hatte.
Das war ja nun doch mal eine Variante zu den immer gleichen, lautlos fallenden Schneeflocken. Sagte ich schon, wie sehr ich mich auf den Frühling freue?
Illustration: Dirk Schmidt