Mancher Tag beginnt so, dass ich dringend einen Text zu verfassen hätte, aber vorher nachsehen möchte, ob noch Geld auf meinem Konto ist, das beruhigt mich immer, dieses Nachsehen und das Geld. Ich gehe auf die Internetseite meiner Bank, möchte mich einloggen, doch direkt über dem Feld, das ich anklicken muss, befindet sich ein Angebot zur Baufinanzierung mit Top-Konditionen, das klicke ich versehentlich an. Da kommen die Top-Konditionen, aber seltsamerweise befindet sich hier auch ein Geldautomaten-Sucher. Man kann herausfinden, wo sich Geldautomaten meiner Bank befinden.
Wollte ich nicht kürzlich am Ostbahnhof Geld abheben und fand den Automaten nicht, sodass ich den einer anderen Bank für die Unverschämtheit von 5,50 Euro benutzen musste? Ich suche jetzt kurz einen Automaten in Ostbahnhofnähe, da fällt mir ein: Bruno erzählte, man müsse bei maps.google.de nur eine Adresse eingeben, dann klickt man auf »Satellit«, schon sieht man die Adresse von oben. Du musst jetzt mal deinen Text schreiben, Hacke! Jaja. Klick. Satellit. Klick. Ich betrachte eine Weile den Ostbahnhof per Satellit, dann denke ich, dass ich die Adresse meines Geburtshauses … Oh, da steht wirklich noch dieser Baum, den mein Vater pflanzte, der ist ja gigantisch jetzt, war es nicht ein Mammutbaum? Ich gebe bei wikipedia.de »Mammutbaum« ein, finde Mammutbaumfotos – ja, das ist ein Mammutbaum in meinem Geburtshausgarten!
Die Dinger werden wirklich riesig, der größte lebende Baum der Erde ist ein Mammutbaum, er heißt »General Sherman Tree« und steht in Kalifornien. General Sherman? Klick. General Tecumseh Sherman, ein General im Bürgerkrieg. Tecumseh? Klick. War ein Indianerhäuptling, den Williams Vater verehrte. Sherman kämpfte für die Nordstaaten, eroberte Atlanta.
Atlanta, da war ich mal, 1996.
Du musst schreibäään! Klick. Atlanta, richtig, dieser Riesengranitfelsen, Stone Mountain. War ich drauf. In mir johlt es: Schreib endlich, schreib! Aber, bitte, wieso hat Atlanta eine Städtepartnerschaft mit Cotonou in Benin? Was gibt es da für eine Verbindung? Klick.
Interessant ist doch, dass ich diese Surferei immer nur in Zeitnot betreibe, nie, wenn ich Zeit hätte. Dann sitze ich vor dem Computer und weiß nicht, wohin ich klicken soll. Cotonou, Hauptstadt Benins in Westafrika, 690 584 Einwohner, darunter zwei berühmte Söhne, der eine ist Fußballschiedsrichter, namens Coffi Codjia. Wer ist das denn? Pfeift der bei der WM in Südafrika?
Die Stimme weint jetzt: Du vergeudest deine Zeit. Klick. Der ist gar nicht schlecht, hat bei der WM in Deutschland zwei Spiele gepfiffen – bloß: Was ist das? Er ist jetzt gesperrt, warum? Klick. Hat bei einem Spiel Ägypten gegen Algerien drei Algerier des Feldes verwiesen. Aber der algerische Torwart namens Chaouchi hat ihm einen Kopfstoß verpasst, den hat er nicht geahndet, deshalb die Sperre. Klick.
Ich bin jetzt auf lebuteur.com, da wird Arabisch geredet und man sieht Coffi Codjia Rote Karten schwenken, aber wo ist der Kopfstoß? Klick. Mal auf YouTube, jawoll, da ist er, der Hammer, ein zumindest angedeuteter Kopfstoß ins Schiedsrichtergesicht – und der macht nichts gegen diesen Chaouchi.
Gott, dem möchte man ja auch nicht im Dunkeln begegnen, diesem Chaouchi. Ein Riese. Einer namens TarikAbdelkader0031 schreibt unter comments: »Dieser verdammte Sklavenschiedsrichter … bezahlt von Ägypten … So einen muss man killen …« Die sind verrückt, da.
Du aber auch. Arbeite, bitte, es ist schon spät …
Direkt neben dem Kopfstoß-Video steht eines, da wird minutenlang der Straßenverkehr an einer Kreuzung in Kairo gezeigt, unfassbar, daneben ein Film über Verkehrschaos in Moskau, dann ein Riesenstau in Karachi, es ist unfassbar, Tausende von Autos, nichts passiert, 81 637 Leute haben das angeschaut, jetzt ich. Stimme (mit zusammengebissenen Zähnen): Arrrbeiiiteeee jetzttt endliiiich …
Illustration: Dirk Schmidt