Wir befinden uns im Jahr 2030. Das SZ-Magazin wird 40 Jahre alt. Ich selbst bin 74, aber die Kolumne schreibe ich noch, nun heißt sie Das Beste aus meinem Seniorenheim. Ich kann nicht aufhören zu arbeiten. In der großen Inflation der Jahre zwischen 2014 und 2022 habe ich zu viel verloren. Als mir vor zehn Jahren meine Lebensversicherung ausgezahlt wurde, konnte ich mir von dem Betrag ein halbes Pfister-Brot kaufen (und auch das nur im Laden für Brote von gestern am Viktualienmarkt). Die Roboterin hinter dem Tresen lächelte mich freundlich an und sagte, sie lese meine Texte jeden Freitagmorgen, bevor sie ihren Akku auflade. Sollte ich ihr das glauben? Mein Honorar für die Kolumne betrug am Ende der Inflationszeit achtzig Millionen Euro pro Folge, eigentlich ein ganz ordentlicher Betrag. Aber sechzig Millionen wurden an Steuern und sonstigen Abgaben einbehalten, weitere zehn Millionen gingen nach Griechenland, Portugal, Spanien und Italien, nachdem der Solidaritätszuschlag von den neuen Ländern auf diese etwas älteren Länder umgewidmet worden war.
Seit dem Währungsschnitt vor acht Jahren erhalte ich 1,80 Gulden pro Text, nicht viel, aber eine sichere Sache. Das Geld ist ja wieder etwas wert, Louis van Gaal sei Dank, der 2022 zum Vorsitzenden der Europäischen Kommission berufen wurde, nachdem er zwölf Jahre lang ununterbrochen die Champions League mit dem FC Bayern gewonnen hatte. Noch heute steht vor dem Münchner Rathaus seine linke Wade, in Bronze gegossen. Die Menschen küssen oder berühren sie im Vorbeigehen, das bringt angeblich Glück.
Van Gaal hat die Länderstrukturen in Europa aufgelöst, er hat den Kontinent stattdessen in Quadrate aufgeteilt, wie er das Trainingsfeld beim FC Bayern auch in Quadrate unterteilt hatte. Er ersetzte den Euro durch den Gulden. Er hat uns »die Ordnung« gelehrt. Jedem von uns teilte er einen persönlichen Holländer zu, mit dem wir jederzeit per Gedankentelefon in Kontakt treten können, der uns unsere Aufgabe in diesem Quadrat beziehungsweise dessen Unterquadraten erklärt. Stets verabschiedet er sich von mir mit dem Gruß »Ordnung, gute Ordnung!«, ermahnt mich, ich solle täglich »die Liebe« machen mit Paola, meiner Frau, und ich gehe wieder an die Arbeit, glücklich, zufrieden.
Ist es denn zu glauben, dass Louis van Gaal sogar die demotivierten Griechen wieder ins Spiel brachte, in dem er ihnen erklärte, wie sehr er sie liebe, dass er aber gerade aus dieser Liebe heraus so streng zu ihnen sein müsse. Und natürlich hat es den Griechen auch geholfen, dass in der Nähe von Athen vor drei Jahren riesige Zaziki-Vorkommen entdeckt wurden, mit deren Hilfe die Versorgung des Landes auf Jahrzehnte hinaus gesichert ist. Nur Portugal und Spanien hat Louis van Gaal an Südamerika verkauft, der Kader sei zu groß gewesen, sagt er, 27 Staaten zu viel. Einmal im Jahr dürfen wir auf den Straßen tanzen, aber nur wenn wir gut waren. Wenn wir die Ziele erreichten.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich in meinem Alter noch einmal so viel Freude an der Arbeit haben würde, zumal ich ja die Kolumne seit einem Jahr täglich schreiben muss, weil das SZ-Magazin alle 24 Stunden erscheint, mit der Süddeutschen Zeitung als Beilage, deren Hauptausgabe die Menschen nun auf ihren iPads lesen.
Ehrenamtlich verwalte ich das kleine Benzinmuseum unseres Heims, in dem wir Alten unsere Enkel an Rohöltropfen riechen lassen und ihnen Filme von der letzten Formel-1-Weltmeisterschaft 2015 vor deren Abschaffung zeigen, als Michael Schumacher noch einmal gewann. Für sie ist das eine Art Dick-und-Doof-Film, und sie kreischen vor Lachen, weil sie sich etwas so Verrücktes kaum vorstellen können.
Außerdem leite ich den Elektroauto-Fuhrpark in der Seniorenanstalt und muss dafür sorgen, dass immer alle Akkus aufgeladen sind, nicht die interessanteste Arbeit, doch gibt sie mir die Möglichkeit, gelegentlich für fünf Minuten Bosch, meinen alten Kühlschrank und Freund, nachts heimlich an den Stromkreis anzuschließen und mit ihm über all das Schöne zu reden.
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Als Axel Hacke seine erste SZ-Magazin-Kolumne aus dem Jahr 1990 wieder zur Hand nahm, entdeckte er ein Weltgesetz. Der Schlusssatz beschrieb nämlich schon damals recht genau, was viele über die Problemlösungsfähigkeit der Weltenlenker denken, und ist heute gültiger denn je. Er lautet: "Wie sollen die das denn noch schaffen?