Täuscht der Eindruck, oder wird in Deutschland mehr und mehr die Kneipe an der Ecke durch den Matratzenmarkt abgelöst? Jedenfalls stehen doch die vielen kleinen Pinten, in denen man sich früher mit ungezählten Zigaretten, Bier und fantastischsten Cola-Rum-Kombinationen die Stimme heiser machte, die Haut gerbte und die Leber zirrhodierte, unter erheblichem Druck, während das Matratzenwesen sichtlich blüht, mit Sonderangeboten lockend. Was sagt das über unser Land und seine Entwicklung aus? Und wann wird der erste dieser Märkte mit einem Namen wie Zur fröhlichen Matratze, Conny’s weiches Eck, Federkern-Stüberl oder Beim lustigen Schnarchsack ausgestattet?
Interessant übrigens, dass sowohl die Eckkneipe als auch der Matratzenmarkt die letzten Reservate des Lebens sind, die keine Luxusvariante haben, wie sie inzwischen sogar für den Süßwarenhändler existiert, nämlich als eine Art Pralinen-Juwelier, in dem jedes einzelne Stückchen Schokolade wie kostbares Geschmeide sorgfältig ausgeleuchtet hinter Glas aufgebahrt der Käufer harrt. Wann wird zum ersten Mal ein solches Geschäft Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls? Sogar die Bäckerei findet sich ja in besseren Gegenden längst als »Brot-Manufaktur« wieder, nicht wahr? Wobei: Da wäre noch der Drogeriemarkt mit seinen Scheuermitteln, Topfschwämmchen und Kachelpolituren. Auch dort haben wir keine Entsprechung auf der Edel-Ebene, bisher jedenfalls, denn die britische Supermarktkette Waitrose bietet nun Kaschmir-Toilettenpapier an, 2,29 Pfund für vier Rollen, das sind 2,67 Euro, ungefähr. In diesem Papier sind allerdings keine Haare der Kaschmirziege enthalten, wohl aber Fett, das man aus diesem Haar gewonnen hat, das ist ja auch schon was.
Hier einige Textvorschläge, wie dieses und ähnliche Produkte nun in Deutschland angemessen beworben und verkauft werden könnten.
Bei Manufactum: »Im Jahr 1465, also in Zeiten, in denen sich mancher deutsche Fürst sein Hinterteil mit den Federn lebenden Geflügels oder gar nicht abwischte, meldete der Hoftoilettist der Grafen von Ärschlingen-Anhalt ein Papier zum Patent an, in das die zartesten Haare der ärschlingisch-anhaltinischen Hofziegen eingewebt waren. Das Material schmeichelte den gräflichen Hintern aufs Allerwerteste, jedoch war dem Verfahren, das damals noch gar nicht erfundene Toilettenpapier sozusagen bereits vor seinem Indieweltkommen zu verweichlichen, keine große Karriere beschieden.
Jahrhundertelang von einer kleinen Firma im südlichen Ärschlingen-Anhalt in geringster Auflage nur für den eigenen Bedarf produziert, bringen aber nun wir den edlen Stoff im Wortsinn wieder unter die Leute, jetzt jedoch gefertigt aus handgeschöpftem Bütten und dem feinen Unterhaar des frisch geborenen weiblichen Nachwuchses ostkaschmirischer Wäh-Wäh-Ziegen, das, von Hand zugeschnitten und breit abgesteppt, für einmalig wolligen Griff sorgt, jahrzehntelange Haltbarkeit gewährleistet und anschmiegsames ›Wisch‹ mit robustem ›Weg‹ verbindet.«
Bei Pro Idee: »Endlich: das legendäre Toilettenpapier der Hollywoodstars. Was haben George Clooney, Sandra Bullock und Meryl Streep gemeinsam? Nie würden sie einen Filmvertrag unterschreiben, in dem nicht zugesichert wird, dass auf ihrer persönlichen Toilette dieses duftend-weiche, blütenzarte, edel-handgesteppte Papier mit aufwendig gecrashtem und gesmoktem Relief hängt. In Zehntelsekunden passt sich dieses herkömmlichem Toilettenpapier nicht vergleichbare, aus den Haaren exklusivster Kaschmirziegen gefertigte, hochvolumig-atmende, genial-seidig schimmernde, perfekt gewebte, hochwertig-bewährte und faszinierend-elegante, höchstflorig-anschmiegsame Material Ihren individuellen Körperformen an. Bisher nicht im Handel erhältlich, macht es auch aus Ihrer Toilette ein Beverly-Hills-Bad.«
Bei Ikea: »Da wird dein Ärschlö strahlen! Freu dich auf Pupsjö, das Papier aus dem Fell nordschwedischer Rentiere. Das Richtige für den Moment, in dem Köttbullar und Knäckebröd deinen Körpär värlassän. In Sekundenschnelle zusammengelegt und im Dutzend billiger.«
Illustration: Dirk Schmidt