In den Zeitungen las ich von der Ernährungskrise in den Meeren, vom dramatischen Schwinden des pflanzlichen Planktons (das man auch Phytoplankton oder einfach Algen nennt). Ich stellte mir vor, ich wäre ein Ruderfußkrebs oder ein garnelenähnliches Kleintier der Ordnung Euphausiacea, ich schwömme mit Millionen meiner Freunde im großen Meer, nähme eine schöne Phytoplankton-Mahlzeit zu mir, und plötzlich käme ein Blauwal daher und saugte uns in sich hinein, wir blieben in den Barten hängen, wanderten in seinen Magen – und das war’s, adieu, du schöne Welt.
Das ist, als ginge man durch seine Straße, auf dem Weg ins Büro vielleicht, plötzlich verschattete sich die Sonne, ein Riesensauger lutschte den Asphalt entlang, und du verschwöndest zappelnd in seinem Inneren, zusammen mit dem Zeitungsladenbesitzer, dem Blumenhändler, der Tengelmann-Kassiererin und dem netten Typen, dem das kleine Kino gegenüber gehört. Diese Wehrlosigkeit, dieses Ausgesetztsein, das Schicksalhaft-Plötzliche!
Neulich habe ich gelesen, ein Blauwal vertilge pro Tag vierzig Millionen Kleinkrebse, das heißt, wenn wir alle Kleinkrebse wären, könnten zwei Blauwale Deutschland an einem Tag leer fressen. Diese Winzgarnelen heißen übrigens Krill, was ein norwegisches Wort ist und »Walnahrung« bedeutet, sodass diese Tiere bereits in ihrem Namen ihre Bestimmung und ihr Schicksal mit sich herumtragen. Muss irgendwie deprimierend sein, ein Leben als Nahrung zu führen, aber sie wissen es ja nicht. Sie genießen ihr Krilldasein bis zu dem Moment, da der Wal kommt, sie fressen sich voll mit Algen, sie färben das Meerwasser rot durch ihre Körper und machen es dick wie Erbsensuppe, und das mag durchaus ein schönes Gefühl sein.
Der Krill ist, das muss mal gesagt werden, das erfolgreichste Tier der Welt. Pro Jahr zieht die Menschheit etwa 100 Millionen Tonnen Fisch aus allen Meeren. Aber man schätzt, dass es allein im Südpolarmeer bis zu 125 Millionen Tonnen Krill gibt, genau weiß man das nicht, dazu müsste man das Südpolarmeer einmal mit und einmal ohne Krill wiegen, und wer macht das schon? Was man aber weiß: Es gab früher mehr Krill als heute – das ist seltsam. Denn wie jeder weiß, gab es früher auch mehr Blauwale, noch vor neunzig Jahren waren es ungefähr 220 000 auf der ganzen Welt, heute sind es höchstens 20 000.
Wenn aber die Blauwale ausgerottet werden, müssten doch die Krillzahlen geradezu explodieren, mangels Fressfeind, nicht wahr?, wir müssten im Sommer an den Meeresufern geradezu in Krill baden. Das ist aber nicht so, gleichzeitig mit den Walen ist auch der Krill weniger geworden, man nennt das »Krill-Paradox«.
Der Lösung dieses Rätsels sind Wissenschaftler jetzt näher gekommen. Es ist nämlich so, dass Wale mit ihrem Kot unfassbar große Mengen Eisen ausscheiden, ein Stoff, der im Meer sehr selten ist. Dieser eisenhaltige Kot schwimmt auf der Meeresoberfläche, er wirkt dort wie Dünger und löst üppiges Algenwachstum aus. Die Algen dienen dem Krill als Nahrung, den Krill wiederum frisst der Wal, der dann wiederum Eisen, räusperräusper, scheißt – ein Kreislauf, ein System, ja, eine Tatsache, die einen fast an Gott glauben lässt, zumal die Wal-Exkremente noch einen anderen Effekt haben.
Indem sie nämlich das Algen-Wachstum fördern, tragen sie sehr viel dazu bei, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen. Denn wie viele wissen (viele aber auch nicht), bilden Pflanzen Sauerstoff und binden dabei Kohlendioxid, sie reinigen also unsere Luft, und die Algen im Wasser tun das auch, ja, das Kohlendioxid wird mit Hilfe der Wale sozusagen in den Tiefen der Ozeane versenkt.
Die Pottwale im Südpolarmeer, das ergibt sich aus einer kürzlich von der Royal Society in London veröffentlichten Untersuchung australischer Wissenschaftler, stoßen zwar wie die anderen Säugetiere auch Kohlendioxid aus, nämlich 200 000 Tonnen pro Jahr, aber sie sind für die Entfernung von 400 000 Tonnen verantwortlich, und stünde nicht der Pottwal am Rande der Ausrottung, könnte er noch weit mehr zur Verbesserung des Weltklimas beitragen.
So viel für heute, liebe Freunde, über Wale und Krill. In der nächsten Woche wird es um ein anderes Thema gehen, aber ich weiß noch nicht, um welches.
Illustration: Dirk Schmidt