Die Welt der Dinge zerfällt in Gegenstände, die Geräusche machen, auf der einen, und Dinge, die still sind, auf der anderen Seite. Das Papier, auf dem dieser Text steht: tonlos. Mein Ehering: stumm. Das Treppengeländer: schweigsam. Hingegen dringt der Schlagbohrer, mit dem der Nachbar in seiner Wohnung arbeitet, unüberhörbar in die Wände, und mein Handy gibt bei jeder Tastenberührung leise elektronische Antworten.
Was aber geschieht, wenn Dinge die Geräuschgrenze überschreiten, wenn also, zum Beispiel, bisher der lauten Welt Zugehöriges geräuschlos wird? Nehmen wir das Auto, das in seiner teilweise oder komplett elektrifizierten Form alles Brummen und Röhren hinter sich lässt und leise wird, ja, still. Ist es nicht die Erfüllung eines Traums? Bisher unerträgliche Wohnlagen an großen Straßen werden schön, Menschen, die an Kreuzungen leben, glücklich.
Jedoch: die Gewohnheit. Der Bürger ist es gewöhnt, eine Straße auch nach Gehör zu überqueren; vernimmt er nichts, geht er los. So ist es zu Unfällen mit Elektromobilen gekommen, so konnte es wahr werden, dass der japanische Autoproduzent Nissan im nächsten Jahr in Großbritannien einen batteriebetriebenen Wagen auf den Markt bringt, der serienmäßig dröhnt, ein künstlich erzeugtes Geräusch, das Fußgänger warnen soll, das uns aber gleichzeitig einen Blick in die Hölle der Zukunft gewährt.
Denn ganz offensichtlich ist unsere gesamte Gesellschaft akustisch so verroht, dass sie ohne Geräusche nicht mehr leben kann, dass sie also, statt laute Gegenstände über die Grenze zur Stille zu befördern, den umgekehrten Weg geht: Sie macht Stummes geräuschvoll. Nur so ist zu erklären, dass man in den Fahrstühlen nobler Hotels Klanginstallationen renommierter Künstler hören muss oder dass in Geschäften aller Art den Verkauf fördernde Musik ertönt.
Und nur so ist es möglich, dass jemand auf den Gedanken kommen kann, uns den Weg zur Erlösung vom Verkehrslärm zu verschließen und jedes Elektroauto künstlich lärmen zu lassen, ja, vielleicht gar künftig dem Elektromobilisten die Möglichkeit zu geben, für seinen Wagen aus dem Internet Fahrgeräusche aller Art herunterzuladen, wie beim Handy den Klingelton. Sodass wir dann die abendliche Rückkehr des Nachbarn bereits am Wiehern seines Kfzs erkennen. Dass unter unserem Wohnzimmerfenster ein Fremder sein Fahrzeug zu den Klängen des Fanfarenzuges Niederblödenbach einparkt. Und dass unsere Straßen, die bisher von Motorengeräusch erfüllt waren und nun lediglich noch durch leises Reifengeräusch und kaum hörbares Summen von sich hören lassen könnten, am Ende ein Irrenhaus aus Wagner-Opern, Walgesängen, Brandungsgeräuschen, Dielenknarzen, Rindermuhen und dem Ruf des südindischen Riesenpirols sein werden.
Wo wird das enden? Werden schließlich alle Dinge reden? Wird auch das Papier, auf dem dieser Text gedruckt steht, mit einem leisen, nicht abschaltbaren Sound versehen sein? Wird mein Ehering in zyklischen Abständen Paolas Liebesgeflüster ertönen lassen? Wird das Treppengeländer rufen: Berühr mich, fass mich an, jaaaa, danke dir ..?
Wird es nichts mehr geben, was einfach still ist? Übrigens haben Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology eine Textilfaser entwickelt, die Schallwellen in elektrische Signale umwandelt. Man wird also, grob gesprochen, hörende Hemden tragen, die zum Beispiel schon aus dem Herzpumpern des Trägers dessen Gesundheitszustand herauslauschen und an die zuständigen Stellen übermitteln können. Diese Kleidungsstücke wären in einer fernen Zukunft aber auch in der Lage, aus dem Schall elektrische Energie zu erzeugen, sodass mit dem Gespräch eines Telefonierenden der Akku seines Mobiltelefons wieder aufgeladen würde.
Letztlich würde es bedeuten: Der Lärm der Welt ist unsere letzte Energiequelle. Indem wir alle Hörhemden trügen, würden wir Strom aus dem Krach um uns herum gewinnen – die Weltenergieprobleme wären gelöst. Aber das Seltsame ist, dass einem in diesem Fall eine Welt lieber ist, deren Energieprobleme ungelöst sind.