Das Beste aus aller Welt

Dass Tauben grundsätzlich eher das Gegenteil eines Nutztiers darstellen, ist bekannt. Der Trambahnfahrerohrläppchenzupfer hingegen könnte im städtischen Alltag sehr hilfreich sein. Unser Autor über drei Tierarten, die wir in der Stadt dringend benötigen.

Seit Jahrzehnten versuchen Tauben meinen Bürobalkon zu besiedeln, Jahr für Jahr machen sie sich zwischen den Blumentöpfen zu schaffen, sie gurren und scharren, reiben ihre Schnäbel aneinander, schaffen Zweiglein herbei, bauen Nester. Und ich, der ich mich als natürlichen Feind der Tauben betrachte, trete hinaus, klatsche und rufe, vertreibe die Tiere, schieße mit der Wasserpistole, die mir mein Sohn Luis zum Bürojubiläum schenkte, zerstöre Nester.

Diese Tauben sind mir persönlich nicht bekannt. Sind es immer dieselben? Ich weiß es nicht. Bin ich Konrad Lorenz, dass ich mir Vogelgesichter merke? Aber ich las nun etwas über Forschungsergebnisse, die Pariser Biologen auf einer Konferenz in Glasgow präsentierten: Wilde Stadttauben sind fähig, sich Gesichter zu merken. Die Wissenschaftler stellten das fest, indem sie Tauben in einem Pariser Park von zwei in Laborkleidung gehüllten Personen füttern ließen, wobei die eine Person, während die Tauben fraßen, sich gleichgültig verhielt, die andere feindselig.

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Dann wiederholte man das Ganze, aber nun blieben beide Menschen gleichgültig. Ergebnis: Die Tauben mieden die Person, die vorher unfreundlich gewesen war. Sie hatten sie erkannt, an ihrem Gesicht, eine andere Möglichkeit gab es angesichts der Kleidung der beiden nicht, die nur die Gesichter frei ließ.

Das ist kein schönes Gefühl, dass ich eines Tages vor dem Jüngsten Gericht in einer Reihe mit zehn Männern stehen werde, alle tragen wir Laborkleidung, zwei Tauben stehen vor uns, zeigen mit den Flügelspitzen auf mich und sagen: Der war’s, wir erkennen ihn wieder, ganz sicher.

Seit einiger Zeit, so lese ich, interessieren sich Biologen für evolutionäre Prozesse, die unter Tieren in großen Städten stattfinden. Einige dieser Biologen arbeiten in New York. Sie haben dort Weißfußmäuse gefunden, die in Wäldern und Buschländern Nordamerikas zu Hause sind, sich aber mit dem Stress des Stadtlebens arrangiert haben. Auch entdeckte man, dass im Hudson Fische leben, die resistent gegen giftige Chlorverbindungen sind, die sonst Deformationen in Fischlarven auslösen. Und auf dem Mittelstreifen des Broadway fand man allerverschiedenste Ameisenarten, einige amerikanischen Ursprungs, andere aus Europa eingewandert, manche nie zuvor in New York gesehen.

Nun frage ich: Wenn es wirklich so viele wilde Tiere in der großen Stadt gibt, sind es die richtigen? Geht die Evolution in eine akzeptable Richtung? Was heißt überhaupt: wilde Tiere? Benötigen wir nicht mehr städtische Nutztiere? Wie der Bauer mit Rindern, Schweinen, Hühnern lebt, möchte auch der Stadtmensch Tiere, die auf seine spezifischen Bedürfnisse abgestimmt arbeiten. Nicht nur Hunde und Katzen, sondern … Also, ich möchte drei Tierarten vorschlagen, die wir in der Stadt vermissen und dort dringend benötigen.

Erstens:
der Gefleckte Hundehaufenvertilger. Ernährt sich von Hundehaufen, schleckt bei Bedarf mit seiner riesigen Zunge Gehwege ab. Frisst nachlässige Straßenkehrer.

Zweitens: der Grasgrüne Tätowiertenverdecker. Ein riesiges, sehr schmales und hohes Tier, das sich in der Badeanstalt und zum Beispiel an der Isar vor Personen mit besonders scheußlichen Tattoos legt, sie verdeckt und uns so vom Blick auf dieselben befreit. Wird oft in Begleitung der Schwarzen Schmerbauchmamba angetroffen, die unter Betroffenen für Bewegung sorgt.

Drittens: der Gemeine Busfahrerverwarner. Beschäftigt sich mit groben Münchner Buslenkern wie jenem, der kürzlich direkt vor mir an der Schrannenhalle aus seinem Bus sprang und den Fahrer des Autos vor sich »Drecksau« nannte – oder rief er »blöde Sau«, wie Paola verstand? Der Gemeine Busfahrerverwarner, dessen Haut grau wie Asphalt ist und der in seiner Tarnung mit bloßem Auge nicht erkennbar ist, springt in solchen Fällen direkt auf den Busfahrer zu und duscht ihn mit der Scheibenwaschanlage des Busses. Sein nächster Verwandter ist der Entsetzliche Trambahnfahrerohrläppchenzupfer.

 

Illustration: Dirk Schmidt