In der Zeitschrift brand eins habe ich ein Interview mit Thomas Hoof gelesen, dem Gründer von Manufactum. Hoof hat sich auf die Land- und Forstwirtschaft verlegt, er bewirtschaftet seit einer Weile Wälder, hält auch Kühe und Schafe und möchte Flusskrebse züchten. Anfangs, sagt er, sei er auch selbst mit Beil und Säge in den Wald gegangen, um Bäume zu fällen, habe harte körperliche Arbeit geleistet an einem Zehn-Stunden-Tag und dabei »die Erfahrung einer tiefen, wohligen, in alle Fasern des Körpers reichenden Müdigkeit« gemacht, »wie man sie am Schreibtisch auch mit drei Nachtschichten nicht zustande kriegt«.
Das ist der Trend jetzt, nicht wahr? Wer es sich leisten kann, kauft in der Katastrophe einer Finanzwirtschaft, die aus Nicht-Greifbarem, komplett Unverständlichem und Surreal-Abstraktem besteht, physisch Vorhandenes: Gold, Wälder, Häuser, Grundstücke. Und wer es sich noch mehr leisten kann, der hackt auch das Holz für den Kamin persönlich, statt es fertig portioniert im Baumarkt zu holen – und befreit sich auch persönlich aus der Entkörperlichung unserer Welt. Hat nicht der Nachbar diesen Sommer den Rasen öfter gemäht, als es nötig gewesen wäre? Ja, auch der möchte einmal wohlig müde sein. So sind die Zeiten.
In London ist kürzlich auf einer Antik-Messe die älteste Spielzeuglokomotive der Welt aufgetaucht, ein knuffiges Holzding von 1820 oder 1830, die Räder aus einem alten Möbelstück geschnitzt, der Rumpf aus einem Treppengeländer und der Schornstein aus ’nem Stuhlbein. Der Besitzer selbst schätzte es auf 30 Pfund, in Wahrheit sind es wohl 5000, aber so was verkauft keiner in diesen Jahren. Ein rührend rundes Bastelwerk voller Spielspuren: Man möchte sofort den Bürostuhl mit Holzmessern bearbeiten, um selbst so was zu schaffen. Aber wer kann denn schnitzen? Und wer hat noch einen Bürostuhl aus Holz?
Das Interessante ist: Wirklich zufrieden ist der Mensch nur, wenn er Greifbares geschaffen hat, wenn er der Welt um sich herum zu Leibe gerückt ist und sie umgestaltet hat. Würde ich schreiben, wenn ich nicht am Ende etwas Gedrucktes in der Hand hielte? Wenn ich nie das Gefühl bekäme, dass aus einer Idee und ein paar Gedanken etwas Fassbares geworden ist? Selbst die größten Internet-Propheten schreiben irgendwann Bücher, sie können nicht anders, ihre Hände befehlen es ihnen. Sie möchten etwas halten, die Hände!
Der berühmte Historiker Paul Kennedy hat neulich über seine Kindheit in Newcastle upon Tyne gesagt, einer Stadt, die damals noch vom Schiffbau lebte: »Es gab dort bei allen Menschen eine tiefe Befriedigung darüber, dass Dinge hergestellt wurden. Wenn ein Schiff vom Stapel lief, rannten die Kinder der Schule dorthin, um zu sehen, was unsere Väter gebaut hatten, und wenn wir vom Zaun aus zuschauten und versuchten, Onkel Mick, Onkel Jim oder den Vater zu finden – diese Vorstellung einer zusammengehörigen, produktiven Gemeinschaft war ganz erstaunlich.
«Angesichts der Tatsache, dass nun bald wieder Weihnachten ist, halte ich übrigens den Gedanken, auch die eigene Familie mal wieder als zusammengehörige, produktive Gemeinschaft zu verstehen, weder für abwegig noch kitschig. Man muss nicht unbedingt eine Holzlokomotive für die Kinder schnitzen, aber irgendwas gemeinsam herstellen, und wenn es eine Krippe ist oder ein Adventskranz oder ein Christstollen, bitte, das müsste möglich sein, wenn man nicht nur im Unwirklichen leben will.
In der Bunten habe ich ein Interview mit Stephanie zu Guttenberg gelesen, die auf die Frage nach ihrem privaten Herzenswunsch zum Fest antwortete: »Zeit für Freunde, Familie, für Entschleunigung.« Wenn das so ist, fragt man sich nur, warum der Guttenberg-Gatte ausgerechnet jetzt wieder so auf die Tube drückt – wenn er doch mal eine Weile komplett entschleunigt in Connecticut sitzen könnte, was, nebenbei gesagt, nicht nur seiner Frau das Liebste wäre. Er könnte dann, wie erwähnt, auch die Zeit nutzen und – ganz im Stillen, ganz für sich – einmal die Freuden des Selbermachens kennenlernen.
Illustration: Dirk Schmidt