Kürzlich saß ich im Zug von Duisburg nach Gelsenkirchen, kein Zug der Deutschen Bahn, sondern der »Eurobahn«, also ein Konkurrenz-Unternehmen. Wir standen im Bahnhof, die Uhr schritt wie immer voran, der Zug fuhr nicht gleich los. Hinter mir saß ein Ehepaar. Der Mann nörgelte: Warum der Zug nicht fahre?
Aus dem Lautsprecher eine Stimme: »Wegen einer Zugkreuzung verzögert sich die Abfahrt um einen Moment.«
Der Mann: »Könnten se doch wenichstenz mal den Grund sagen.« Seine Frau: »Hat er doch. Zugkreuzung.« Der Mann: »Die müsste mal Konkurrenz kriegen, die Scheißbahn.« Seine Frau: »Dat is doch hier die Konkurrenz. Eurobahn. Kannze nich lesen?«
Egal. Der Zug fuhr los, der Mann beschwerte sich weiter, die ganze Fahrt lang rhabarberte er über dieses und jenes, Argumente waren nicht wichtig, es ging ihm ums Klagen. So ist das ja überall: Wo die Angehörigen anderer Völker einfach nur atmen, nölt der Deutsche zusätzlich. Gereiztheit ist sein Grundzustand, und wenn ihm das Nölen nicht reicht, schaltet er den Computer an und kotzt sich auf einer Internetseite aus, unter den Leserkommentaren zu einem Bericht über Uli Hoeneß vielleicht, zur Not auch bei der Wettervorhersage.
Vor zwei, drei Jahren hat der jüngst verstorbene frühere französische Widerstandskämpfer und Diplomat Stéphane Hessel eine dünne Streitschrift unter dem Titel Empört Euch! veröffentlicht, ein Aufruf zum Widerstand gegen dieses und jenes. Mir wäre danach, ein Pamphlet namens Entspannt Euch! zu verfassen. Motto: Was wollt Ihr?! Wenn Euch schon in einem weitgehend wunderbar funktionierenden Land wie Deutschland nichts richtig passt, wie würde es Euch in Griechenland oder Italien gehen? Von anderen Kontinenten nicht zu reden.
Aber das klingt auch schon wieder so klagend. Wie Genörgel über Genörgel.
In Norwegen hat jetzt das Fernsehen acht Stunden lang nichts anderes gezeigt als ein flackerndes Kaminfeuer, also ein echtes jetzt: wie es langsam herunterbrannte, wieder neu mit Holz versorgt wurde und dann herrlich luderte und glohte, wie Edmund Stoiber sagen würde. Es war ein Quotenhit! Die Leute konnten ihre Augen nicht vom Feuer wenden, sie guckten und guckten.
Wie wäre es, man würde eine solche Sendung bei uns einführen? Einen Tag lang pro Woche zeigt das Fernsehen nur ein richtiges, immer wieder neu geschürtes Kaminfeuer. Nichts sonst. Interessanter als das gegenwärtige Programm wäre es ja allemal, und vielleicht würde es die Leute endlich zufrieden machen? Beruhigen. Enthysterisieren.
Vermutlich würde sich aber noch am selben Tag, mit Feuerbeginn, auch eine Debatte entzünden.
Die Linkspartei gibt eine Erklärung heraus: Kamine seien doch hierzulande nur im Besitz der Reichen, »das Bonzenfeuer« müsse weg. Die Grünen fordern eine Sondersteuer für Vielverbrenner sowie ein Streichholzpfand, die SPD einen einheitlichen Mindestlohn für Holzfäller und eine Reichenholzabgabe. Bayerische CSU-Abgeordnete lassen ihre Kinder nachts in Staatsforsten Holz für Bürokamine holen und bezahlen sie dafür; Horst Seehofer lässt zur Strafe die Betroffenen die Scheite wieder zu Bäumen zusammensetzen und zurückpflanzen. Die Kanzlerin wartet ab. Bei den Staatsanwaltschaften stapeln sich die Anzeigen gegen das TV-Feuer wegen Körperverletzung: Holzrauch sei noch ungesünder als Zigarettenqualm. In einigen Baumärkten findet man Pferdefleisch in Kaminholzgebinden. RTL produziert die Show Deutschland sucht das Superfeuer. Bei Sky werden die Flammen von Wolf-Christoph Fuss kommentiert. Alle ARD-Talkshows thematisieren die Frage »Deutschland am Kamin - wann geht uns das Holz aus?« Das ZDF zeigt Berge in Flammen von Luis Trenker. »Glutbürger« wird Unwort des Jahres.
Wissen Sie, was das Haupt-Diskussionsthema in Norwegen war, nach der Sendung? Ob man Holzscheite besser mit der Rinde nach oben oder nach unten stapelt!
Ich lerne jetzt Norwegisch.
Illustration: Dirk Schmidt