Vor einigen Monaten wurde bei uns eingebrochen, die Sache beschäftigt uns immer noch, seelisch und materiell: Man verspürt plötzlich ein Gefühl von Unsicherheit in der eigenen Bude, verdächtigt Leute, wird argwöhnisch, zu Recht eigentlich. Aufgeklärt wird die Sache nie, vermute ich. Anfangs dachte ich, sicher werde alles sehr schnell gehen, Untersuchungen, Vernehmungen, Kommissare, das ganze Programm. Davon geschah wenig, alles ging einen ausgeprägt langsamen Gang, und wenn wir wissen wollten, ob etwas Neues passiert sei, mussten wir bei der Polizei anrufen. Meistens war nichts Neues passiert.
Ich lernte dann: Das ist alles ganz normal, die Polizei kann auch gar nichts dafür, ihre Leute sind komplett überlastet. In der Zeitung las ich, in Deutschland sei im vergangenen Jahr in 140 000 Wohnungen eingebrochen worden, fast neun Prozent mehr als im Jahr davor und eine Steigerungsrate von dreißig Prozent in drei Jahren. Von solchen Zuwächsen träumt manche Branche. Beim Einbruch gibt es keine Rezession, der Einbruch boomt.
Ich habe das dann mal mit anderen Arten von Verbrechen verglichen und festgestellt, dass sich zum Beispiel Mord in Deutschland seit Jahren in einer gigantischen Rezession befindet: 1993 gab es hier 1465 Morde, 2012 nur noch 801, ein Rückgang um nahezu die Hälfte. Das ist aber in unserem Bewusstsein kaum verankert, weil wir, kaum schalten wir den Fernseher an, einen Mord sehen. Unser TV-Programm ist von
Morden durchsetzt wie ein Sieb von Löchern, permanentes Erschlagen, Erwürgen, Ertränken, Erschießen und Erhängen wird nur durch Nachrichten und Talkshows unterbrochen.
Das Bild vom Leben, das der Fernsehzuschauer gewinnt, ist das eines andauernden gegenseitigen Abschlachtens, moderiert von Günther Jauch und Maybritt Illner. Im Grunde reichen die vorhandenen Kanäle für die Zahl der Fernsehmorde kaum aus, man wird eigene Mord-Sender gründen müssen, mit neuen Mordsgebühren, und weiteren Planstellen, einem Mord-Koordinator der ARD etwa.
Während also im wirklichen Leben die Zahl der Tötungen kontinuierlich sinkt, steigt sie im Fernsehen weiter, weiter und weiter. Beim Diebstahl ist es genau umgekehrt. Seit Jahren habe ich auf dem Bildschirm keinen einzigen Einbruch gesehen, in Wahrheit aber wird Wohnung um Wohnung, Schrank um Schrank, Auto um Auto geknackt. Es muss da einen Zusammenhang geben, und ich bin sicher, es ist folgender: Die potenziellen Killer sitzen, wie wir alle, vor ihren Empfangsgeräten und sehen all die Morde. Sie lernen aber: Immer kommt irgendwann auch ein Kommissar um die Ecke, Schimanski prügelt sich herbei, Til Schweiger nuschelt um die Ecke – und verhaftet den Täter. In des Zuschauers Bewusstsein bleibt: Mord ist sinnlos, man wird mich garantiert erwischen, dann sitze ich lebenslang. (Übrigens entspricht das fast der Wahrheit, etwa 96 Prozent aller Morde werden auch in Wirklichkeit geklärt.)
Hingegen sieht der Dieb nichts dergleichen. Seine Tat-Gattung ist für das Fernsehen nicht relevant, Diebstahls-Kommissariate scheinen dort kaum vorhanden. Also gibt der Dieb sich seinen Neigungen hin und klaut, was das Land hergibt. Und er sieht: Tatsächlich werde ich auch in Wirklichkeit kaum erwischt, denn nur gut 15 Prozent aller Wohnungseinbrecher schnappt die Polizei, alle anderen bleiben komplett straffrei – eine Tatsache, über die man sich kaum genug wundern kann. Wer den Beruf des Mörders gelernt hat, tut angesichts solcher Zahlen gut daran, eine Umschulung zu erwägen.
Wie wäre es aber nun mal mit wenigstens einer neuen Serie im deutschen Fernsehen? Knackort. Pro Folge ein Einbruch, Aufklärung garantiert. Zwei Vorteile: Erstens wären unsere Sender in mancher Hinsicht wieder näher am realen Leben. Zweitens würde die Zahl der Einbrüche vermutlich bald rapide sinken.
Illustration: Dirk Schmidt