Wenn die Ferien beginnen, erhält der Deutsche von evangelischen Pfarrern, Tourismusfachleuten und der Tante Hilda den Rat, er solle nun die Seele baumeln lassen. Mag auch unklar sein, wie eine Seele beschaffen ist, ja, ob es sie überhaupt gibt, egal – was mit ihr in den Ferien zu geschehen hat, weiß jeder: Baumeln soll sie, und zwar »einfach mal«.
Der Satz geht auf Tucholsky zurück, er hat’s nicht böse gemeint, sondern in Schloss Gripsholm den damals neuen Satz geschrieben: »Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele.« Wobei hier gleich mal die Frage wäre: Wer baumelt da denn nun? Nur die Seele, mit der wir baumeln, wie man mit einem Fußball spielt oder mit einem Messer schneidet? Oder baumeln auch wir, sozusagen im Gleichklang mit der Seele, die dann etwas quasi von Natur aus Baumelndes wäre. Und es käme nur darauf an, wenigstens auf der Wiese mal »mit ihr« zu baumeln, also »wie sie«, im Gleichklang?
Nicht gewusst wird übrigens gern, dass Tucholsky schon Jahre, bevor er Schloss Gripsholm verfasste, 1926 in der Weltbühne über norddeutsche Urlauber schrieb, die sich in der Sommerfrische als Tiroler verkleiden: »Die Männer sehen alle viereckig aus, auf dem Hals tragen sie eine kleine Tonne, daran ist vorn das Gesicht befestigt. Morgens setzen sie es auf, und was für eines –! Die Frauen schlapfen daher. Alles baumelt an ihnen, auch die Seele.«
Das ist einen Zacken schärfer, nicht wahr? Wird aber seltener zitiert. »Liebe Urlauberinnen und Urlauber, lassen Sie im Urlaub bei uns in Tirol mal alles baumeln, auch die Seele!« Könnte sein, dass einiges in Tirol bei diesem Slogan zu wünschen übrig ließe, auch die Bettenauslastung.
Interessant ist, dass, wenn Ferien sind, dem Deutschen heutzutage erst mal erklärt wird, was Ferien überhaupt sind, im Falle, dass er das vergessen haben sollte. In der Welt am Sonntag las ich ein Interview mit der Arbeitspsychologin Carmen Binnewies von der Universität Münster (die in ihrem Urlaub übrigens auch die Seele baumeln ließ) zur Frage: »Wie erhole ich mich im Urlaub richtig?« Frau Binnewies gab allerhand Antworten: aktive und passive Erholung kombinieren, Sport ist gut, muss aber Spaß machen – und, ähem, »loslassen«, auch einfach mal. Bemerkenswert ist aber vor allem: dass man dem Baumeldeutschen jetzt schon erklären muss, wie man sich erholt. Ja, können denn die Leute gar nichts mehr von alleine?!
Es fällt auf: Was immer in der Welt geschieht, die Medien veröffentlichen Ratschläge dazu. Kommt eine Hitzewelle, stehen in der Zeitung »Zehn Tipps, wie Sie die Hitze überstehen«. Wetten, dass dabei auch der Hinweis ist, man solle genug trinken? Ja, ist es denn zu fassen?! Haben die Menschen keinen Durst mehr? Welcher Grad an Verblödung hat uns erfasst? In welchem Stadium der Infantilisierung leben wir, dass wir uns von der Zeitung sagen lassen, dass wir TRINKEN müssen?!
Die Wahrheit ist: Die Deutschen sind dem Stadium der totalen Unfähigkeit sehr nahe. Sie können gar nichts mehr. Ein kurzer Blick in die neuesten Untersuchungen über ihr tägliches Verhalten lehrt: Sie bekommen zu wenig Kinder, sie heiraten nicht, sie wissen nicht, wie man eine Steuererklärung ausfüllt, sie verlernen Lesen und Schreiben, Mathematik haben sie noch nie beherrscht, sie machen keinen Freischwimmer mehr und ertrinken jetzt schon im Spaßbad, sie haben vergessen, wie man flirtet, sie können keine Großprojekte planen, sie treiben zu wenig Sport, sie setzen keine Kommata, sie schreiben »Strasse« statt »Straße«, ernähren sich falsch, kennen keine Kinderlieder, gehen nicht zur Wahl, sehen nicht mehr fern. Sie blinken nicht mal mehr, wenn sie die Fahrbahn wechseln.
Der Deutsche ist total bescheuert. Er verkommt. Wie lange wird es dauern, bis er morgens sein Smartphone anschaltet und auf dem Display erscheint der Satz: »Du musst Dich anziehen!« Wenn doch mal ein Ruck durch uns ginge! Oder wenigstens ein Aufbäumeln …
Illustration: Dirk Schmidt