Als ich klein war, sagte man mir: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not! Früh bekam ich, wie viele andere auch, mein erstes Sparbuch mit einem kleinen Grundguthaben geschenkt; in einem weihevollen Akt ging nach einem Jahr der Vater mit mir zur Bank, »um die Zinsen nachtragen zu lassen« – und siehe: Aus dem Geld war mehr Geld geworden. Bruno, mein alter Freund, kann heute noch, nach Jahrzehnten, auswendig die Nummer seines ersten Sparkontos hersagen. In Österreich begann 1956 die Sparefroh-Kampagne der Sparkassen mit einem Plakat, auf dem ein biegsam’ Männlein mit einer Münze als Bauch einer Schar von Kinderlein voranschritt, darüber der Spruch: »Kleiner Mann geht voran, weiß, wie man sich helfen kann; mach es frisch und froh, wie der Sparefroh!«
Ja, wir waren fröhliche Sparerlein!
Alles vorbei, alles dahin. Es gibt keine Zinsen mehr, ja, es ist nun schon vom »Negativzins« die Rede, was bedeutet, dass Erspartes, bei der Bank deponiert, weniger wird und immer weniger. Warum? Weil die Banken früher das Geld des Sparers benötigten, um damit Geschäfte zu machen. Warum ist das nun anders? Weil Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank, Geld ohne Ende produziert, aus Riesenrohren strömt es ins Wirtschaftsleben. Die Banken brauchen unser Geld nicht mehr, ja, man liest in der Zeitung: »Schweizer Notenbank ächzt unter hohen Bankguthaben«.
Was wird aber nun aus uns, den Sparern? Wir haben nichts anderes gelernt! Sollen wir Geld, das wir erübrigen, wieder in Matratzen stopfen, Strümpfe, Büchsen, Schweine? Altgediente Sparer erinnern sich an Zeiten, in denen es fünf, sechs Prozent Zinsen gab. Nun gibt es schon länger gar nichts mehr, und mancherorts zahlt man Strafgebühren dafür, dass man spart. Werden die Negativzinsen auch auf fünf, sechs Prozent steigen? Wäre es dann nicht logisch, dass die Brüder und Schwestern Leichtfüße unter uns für die roten Zahlen auf ihren Konten noch ein Honorar bezahlt bekämen? Und dass, wer einen Kredit nähme, der Bank nicht Zinsen zahlen müsste, sondern solche selbstverständlich zusätzlich überwiesen erhielte?
Gewiss wird es so sein.
Der Zins war stets der Lohn von morgen für den Verzicht von heute. Gibt es keinen Zins mehr, lohnt auch der Verzicht nicht. Dann wird aus Sparefroh ein Sparedoof, und ich bin gespannt auf die Kampagnen der Sparkassen, mit denen neuen Generationen neues Verhalten anerzogen werden muss. Aus dem Sparbuch für den Grundschüler wird gewiss ein Kreditheftchen, mit dem bereits die Jüngsten sich bei der Bank ein Stapelchen von Scheinen abholen können, um es dem Wirtschaftskreislauf anzuvertrauen. Aus dem Weltspartag wird man einen Hau-es-raus-Day machen, an dem die Kleinsten lernen, Geld möglichst zügig auszugeben, ja, bereits gibt es in Stuttgart Selbsthilfegruppen, in denen hartnäckige schwäbische Sparer mit Hilfe von Rollenspielen, psychologischer Betreuung und Gruppentherapie ihr ererbtes Verhalten verlernen sollen; Ziel ist, am Ende des Kurses gemeinsam alle Sparbücher einem Reißwolf anzuvertrauen und vom abgehobenen Geld pro Nase drei Flachbildschirme zu erwerben. »Macht es frisch und froh wie der Zockefroh!«, ruft der Kursleiter dann – und: »Wir können alles. Außer Sparen!«
Aber für viele von uns, sparabhängig von Kindheit an, ist es schwer. In manchen deutschen Kleinstädten gehört bereits der Sparjunkie zum Stadtbild: ordentlich gekleidete, jedoch blasse und übermüdete Menschen, die, Sparbücher in der Hand, Passanten murmelnd um Zinsen anbetteln. In Böblingen überfiel kürzlich ein mit Sparstrumpfmaske vermummter Rentner eine Bankfiliale, den Ruf »Dreieinhalb Prozent oder Leben!« auf den Lippen.
Schlimm Sparsüchtige dürfen deshalb vielerorts nach dem Vorbild staatlicher Methadon-Programme in Spar-Entzugs-Stuben unter Aufsicht weiter sparen, natürlich Spielgeld.
Illustration: Dirk Schmidt