Heute wollen wir uns jenen unscheinbaren Plätzen widmen, die in Wahrheit Zentren auf der Landkarte unseres Alltags sind – aber nie hinreichend gewürdigt werden.Die Orte der Entscheidung. Einer dieser Plätze befindet sich zum Beispiel unmittelbar vor meiner Haustür. Jeden Morgen trete ich dorthin und bin vor eine Entscheidung gestellt. Rechts gehen und im Café noch einen Kaffee trinken, bevor ich mich in die Einsamkeit meines Büros begebe? Oder gleich links, den Stier bei den Hörnern nehmen und sofort hinauf – an die Arbeit!? Fast immer gehe ich rechts. Oder noch früher, im Morgengrauen, wenn ich über die Isarbrücke jogge: rechts Richtung Tierpark? Links friedensengelwärts? Auch hier überlege ich jeden Tag neu, um mich fast jeden Tag gleich zu entscheiden: rechts, flussaufwärts. Warum? Weiß nicht. Links wäre auch gut, im Grunde.Bin ich Rechtsabbieger, von Natur aus? Weil ich Rechtshänder bin?Bei näherem Hinsehen zerfällt die deutsche Bevölkerung in jene, die – wenn sie nach Süden reisen und dabei Auto fahren – in Kroatien Urlaub machen, und die anderen, die gewohnheitsmäßig nach Italien fahren. Alle anderen Urlaubsländer lassen wir jetzt mal außer Betracht. Kroatien-Typ, Italien-Partei: Eine Vermischung von beiden scheint unmöglich, man trifft jedenfalls nur selten Menschen, die schon mal sowohl in Kroatien als auch in Italien Ferien verbrachten.Falls man mir mit Gegenbeispielen kommen sollte, behaupte ich vorbeugend, dass es sich nur um Irrtümer handeln kann, dergestalt, dass jemand, der sowohl in Kroatien als auch in Italien war, eines der beiden Länder versehentlich besucht haben muss.Ein rätselhaftes Phänomen.Könnte es sein, dass der Ort der Entscheidung für die zu treffende Entscheidung wichtiger ist als das Ziel? Dass es also im konkreten Fall weniger um das Verhältnis der Menschen zu Kroatien oder Italien geht, sondern um ihr Verhalten am Inntal-Dreieck: ob sie eher Rechtsabbieger oder Linksabbieger sind? Denn das Inntal-Dreieck ist ein Ort der Entscheidung. Wer nach Italien will, biegt dort in der Regel rechts ab. Wen es kroatienwärts zieht, der hält sich links.Schwierig ist es, wenn sich Rechts- und Linksabbieger zu einem Ehepaar vereint haben. Paola, die Kinder und ich fahren am Wochenende aufs Land. Es gibt zwei verschiedene Autobahnen dorthin, die sich erst hinter München vereinen. Unser Ort der Entscheidung befindet sich ein paar hundert Meter von unserer Wohnung entfernt. Ich biege dort rechts ab, Richtung Giesing.»Warum fährst du nicht links?«, fragt Paola. »Über die Rosenheimer Straße?«Ich versuche, meiner Entscheidung eine rationale Begründung zu geben, dabei bin ich nur einer Gewohnheit gefolgt oder einem Gefühl.»Hier geht es schneller.«»Das glaube ich nicht.«Natürlich haben wir in der nächsten Straße einen Stau.»Hier geht es also schneller«, sagt Paola.»Es ist nur wegen dem Lieferwagen dort vorne. Hey, wir kämpfen doch nicht um Minuten.«Aber ihre Finger trommeln auf dem Armaturenbrett.So geht das fast jeden Freitag. Eines Tages werde ich an dieser Straßenecke ein kleines Messingschild aufs Trottoir nageln, auf dem geschrieben steht: »Dies war einer von Hackes Orten der Entscheidung. Er entschied fast immer falsch.«